Deutsche Bahn:Zweigleisig nach 150 Jahren Planung

Der Ausbau der Strecke von Markt Schwaben nach Freilassing wird seit dem 19. Jahrhundert verschleppt. Nun sieht es tatsächlich so aus, als ob die Bahn mit dem Vorhaben ernstmachen würde

Von Matthias Köpf, Mühldorf

Das Infrastrukturprojekt ist im aktuellen Bundesverkehrswegeplan bis 2030 im "vordringlichen Bedarf mit Engpassbeseitigung" verzeichnet und genießt damit allerhöchste nationale Priorität. Dass es schon seit ziemlich genau 150 Jahren in Planung ist, macht es dem aktuellen Projektleiter dabei nur leichter. Denn um die nötigen Grundstreifen für ein zweites Bahngleis von Markt Schwaben über Mühldorf bis Freilassing muss sich Klaus-Peter Zellmer praktisch kaum mehr kümmern. Die Flächen für das zweite Gleis gehörten schon bei der Eröffnung der eingleisigen Bahnstrecke durch den Osten Oberbayerns im Jahr 1871 dem Königreich Bayern. Inzwischen sind sie Eigentum des Bundes, und auf die Ausweisung von FFH-Flächen, Landschaftsschutzgebieten und dergleichen haben die Behörden bisher wohlweislich verzichtet. Allerdings ist all die Jahrzehnte auch sonst nicht viel passiert, weshalb Zellmer in manchen Gemeinden entlang der Strecke erst einmal deutlich machen muss, dass es jetzt wirklich ernst werden soll mit dem Ausbau der Strecke, auf der an jedem Werktag mehr als 15 000 Pendler unterwegs sind.

Dass der Ausbau wirklich bald komme, hat es in der Gegend aber schon seit Menschengedenken geheißen, zum ersten Mal eben mit dem Bau des ersten Gleises. Ursprünglich sollte damals eine Magistrale von München über Mühldorf, Simbach und Linz nach Wien entstehen, doch dann ging den Habsburgern das Geld aus und die Bayern bogen von Mühldorf nach Freilassing ab. Im ersten Weltkrieg wurden dann die Arbeiter als Soldaten gebraucht und so ähnlich ging es weiter, bis nach der Wende das Geld erst einmal in den Osten Deutschlands gesteckt wurde. Jetzt aber wäre das Geld gerade da, und seit 2013 hat die Bahn von der Politik den Auftrag, die Sache endlich voranzutreiben. Der Konzern selbst lässt keine Zweifel mehr aufkommen und baut auf jeden Fall schon einmal die zuständige Abteilung aus. Weil in den eigenen Gebäuden kein Platz mehr ist, hat die Bahn in München eine weitläufige Büroetage für knapp 80 Mitarbeiter gemietet. 29 Ingenieure sind dort schon am Werk, dazu noch dreimal so viele in externen Planungsbüros, sagt Projektleiter Klaus-Peter Zellmer. Vorplanungen gibt es bereits, und von Ampfing bis Tüßling seit Ende des vergangenen Jahres sogar schon ein zweites Gleis. Bis zum Ende dieses Jahres will Zellmer dann die ersten Entwurfspläne vorlegen können, wie genau das zweite Gleis zwischen Markt Schwaben und Ampfing verlaufen soll. Dazu kommen noch Oberleitungen bis Freilassing und Burghausen, denn seit dem Ende der Dampflok-Ära wird auf der gesamten Strecke mit Dieselloks gefahren. Diese sollen dann von Elektroloks abgelöst werden.

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Sieht romantisch aus, ist aber veraltet: ein Stellwerk bei Tüßling. Damit mehr Züge fahren können, bräuchte die Bahn neue Gleise und eine Oberleitung.

(Foto: Floria Peljak)

Ob es auch von Tüßling bis Freilassing ein zweites Gleis geben soll, werde sich wohl in den kommenden Monaten herausstellen, erwartet Zellmer. Im Bundesverkehrswegeplan sind bisher nur einzelne Ausweichstellen vorgesehen, an denen die Züge aneinander vorbeifahren können. Außerdem soll die Trasse so weit befestigt werden, dass schwere Waggons mit den international üblichen Achslasten darauf rollen können. Ein Ausbau auf durchgehend zwei Gleise wäre laut Zellmer auch ohne neuen Parlamentsbeschluss möglich, wenn sich das Bundesverkehrsministerium davon überzeugen ließe.

Hinter die Forderung nach einen zweiten Gleis auch auf dem Abschnitt stellen sich allerlei Abgeordnete, Landräte, Kommunalpolitiker und vor allem Wirtschaftsvertreter aus der ganzen Region. Schließlich rollt über die Gleise der Region laut DB immerhin ein Prozent des gesamten deutschen Güterverkehrs. Der kommt vor allem aus dem Chemiedreieck um Burghausen, wo 2015 ein neues Containerterminal eröffnet wurde. Die 25 Unternehmen der Initiative ChemDelta Bavaria exportieren etwa 60 Prozent ihrer Produktion, sagt der Sprecher der Initiative, Georg Häckl. Ihr Güterverkehr habe in zehn Jahren um ein knappes Drittel zugenommen, auf der Schiene um fast die Hälfte. Allerdings müsse man bisher oft weite Umwege zu den Adria-Häfen fahren oder die Güter gleich bis Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen rollen lassen.

Weitgehend unumstritten ist der Ausbau der Strecke allerdings nur im Grundsatz, nicht im Detail. So fürchten viele Menschen in Dorfen im Landkreis Erding, dass ihre Stadt von hohen Lärmschutzwänden gleichsam zweigeteilt wird. Sie verlangen stattdessen, die ganze Trasse in einen Trog zu legen, was die Bahn-Planer aber für zu teuer halten. Ähnliche Wünsche gibt es auch schon in Hörlkofen und Schwindegg. Manche Kommunen Richtung Freilassing warten mit verhaltener Skepsis auf die Entscheidung über ein oder zwei Gleise. Betroffen ist von dem Projekt jede Gemeinde, denn wo immer auf den 140 Kilometern eine der 160 Brücken oder einer der 23 Bahnübergänge umgebaut wird, ist die jeweilige Kommune gefordert. Will sie etwa eine Unterführung, die breiter ist als der Standard von 1871, muss sie dafür mitbezahlen, bei gleichzeitiger Förderung durch den Freistaat. Wann die Menschen aus Mühldorf und Umgebung endgültig über zwei Gleise pendeln können, plant Projektleiter Zellmer, der selbst so ein Pendler ist auch schon: Möglichst bis zu seinem Ruhestand vom Jahr 2030 an.

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