Ernst Kahl war Drehbuchautor, Schauspieler, Sänger, Maler und vor allem ein renommierter Cartoonist. Jetzt würdigen die Gemeinde Bernried und der Förderverein Komische Kunst den im Juli gestorbenen Universalkünstler mit einer Ausstellung. Einer seiner besten Freunde war der Regisseur, Produzent, Schauspieler und Landwirt Detlev Buck, der auf einem Bauernhof im Dorf Nienwohld in Schleswig-Holstein „allein unter Schweinen“ (Buck) aufwuchs.
Der 62-Jährige lebt dort noch immer mit seiner Familie. Doch nach der landwirtschaftlichen Lehre begann er, auch Filme zu drehen, darunter Kassenschlager wie „Männerpension“ oder „Rubbeldiekatz“. Gemeinsam mit Ernst Kahl schrieb er das Drehbuch für „Wir können auch anders“ (1993), der mit dem Bundesfilmpreis in vier Kategorien ausgezeichnet wurde.
SZ: Stören wir Sie beim Ackern?
Detlev Buck: Nein. Ich bin gerade nicht auf meinem Hof. Aber da Sie aus Bayern sind: Wissen Sie eigentlich, wo ich meine landwirtschaftliche Prüfung gemacht habe?
Nein.
In Dachau.
Ist die Erinnerung an diese Prüfung Ihr einziger Bezug zu Bayern?
(lacht) Nein. Da ist noch meine Frau Lisa, mit der ich drei Kinder habe. Sie hat vermutlich von den Bayern den Auftrag erhalten, im Norden eine Kolonie zu gründen. Ist ihr auch gelungen.
Wer war norddeutscher – Ernst Kahl oder Sie?
Eindeutig Ernst Kahl. Er war typisch norddeutsch. Telefonate mit ihm gab es sehr lange Zeit nicht, er hat korrespondiert und Briefe geschrieben. Da muss ich freilich gleich an unser letztes Telefonat denken, als er sagte „Vergiss mich nicht“. Da bin ich richtig erschrocken. Bald darauf starb er. Ich vermisse ihn.

Was vermissen Sie?
Die Gespräche mit ihm. Seine Angstfreiheit. Die ungeheure Chuzpe, die er hatte. Ihn hat nie interessiert, ob man etwas machen kann oder nicht. Das war ihm völlig gleichgültig. Er hat alles ohne Rücksicht auf Verluste gemacht.
Angeblich hat er 1991 den Zeitschriften Titanic und Konkret dasselbe Bild für den Titel verkauft.
Das hat ihm nicht geschadet, sondern, wie er selbst fand, seine Popularität gesteigert.
So eine Unverfrorenheit können sich nur wenige erlauben.
Heute haben die Leute einfach viel zu viel Angst. Ernst hatte definitiv keine Angst. Wir leben heute in einer Pseudo-Ökonomisierung oder besser in einer Verblödung durch Vorschriften und Absicherungen und des „So muss es sein“. Jeder Gedanke ist blockiert. Ernst hat Reglementierungen nicht akzeptiert. Deswegen war er glücklich in seinem Schaffen. Dabei ist es eine wahnsinnige Disziplinierung, sich jeden Tag vor die Staffelei zu stellen.

Wie haben Sie Ernst Kahl kennengelernt?
Das war, als wir gemeinsam am Drehbuch für „Wir können auch anders“ schrieben. Dadurch war ich fast ein Jahr ständig in seinem Atelier in Hamburg zu Gast. Ernst war ein echter Bohemien.
Wie meinen Sie das?
Ernst war großzügig, er liebte die Menschen. Wir hatten einen sehr schönen Lebensrhythmus, sind jeden Abend ausgegangen, haben philosophiert, gedichtet, auch zusammen gemalt. Eine tolle Zeit.
Hört sich gut an. Das Drehbuch entstand eher nebenbei?
Wir haben schon auch gearbeitet. Gedreht haben wir 1991. Zuvor sind wir durch die neuen Bundesländer gekurvt, haben Drehorte ausgesucht, es war herrlich. In den Roaring Nineties war alles möglich, alles neu. Das hat die Reise, die dann auch im Film stattfindet, so besonders gemacht. Übrigens standen damals noch Hunderttausende russische Soldaten um Berlin herum, der Abzug der Truppen zog sich bis 1994 hin. Da würde man sich heute vor Angst in die Hosen machen.
Russische Soldaten vor Berlin. Heute ist die Situation ganz anders.
Tja. Damals wirkten die Soldaten auf mich ein wenig desorientiert, weil sie zu nichts mehr nutze waren. Aber in unserem Film spielt der sowjetische Soldat noch eine große Rolle.
Gab es noch weitere Filme, in denen Sie mit Ernst Kahl zusammenarbeiteten?
Ich habe vier Kurzfilme mit ihm gemacht, die sind auch in der Ausstellung zu sehen. Ich habe ihn übrigens mal gefragt, woher er seine Sicherheit in dramaturgischen Entscheidungen nahm. Er hatte das ja nie gemacht.
Und?
Er antwortete nichts, kam aber später wieder und reichte mir ein Autogramm. Darauf stand „Für meinen Freund Ernst Kahl. Rainer Werner Fassbinder“. Und dann erzählte er, mit dem habe er auch schon Drehbücher geschrieben. Ich war total fertig, habe gesucht, nirgendwo was gefunden und immer wieder nachgebohrt. Aber erst spät löste Ernst das Rätsel auf und gab zu, er habe das Autogramm selbst unterschrieben. Er konnte eben auch hervorragend fälschen und testete leidenschaftlich gern aus, was ihm ein anderer glaubt.
Unvergessen seine Aktion während der Documenta 1992, als er in Kassel unter dem Titel „Pflanzen fasten für den Erhalt des tropischen Regenwaldes“ ein Schaufenster voller Grünpflanzen über Wochen hinweg verdursten ließ.
Das brachte ihm böse Briefe ein. Aber er führte damit eine Reihe von Aktionen für den Regenwald ad absurdum. Ernst ist immer gegen den Strom geschwommen und hat leidenschaftlich gern provoziert. Wenn er eine Meinung vertrat, brauchtest du nicht versuchen, sie zu verändern. Er war beratungsresistent. Aber trotzdem ist es uns gelungen, ein gemeinsames Bild zu malen.
Mit welchem Inhalt?
Es zeigt zwei schwarze Männeken auf Rot. Der eine würgt den anderen. Wir haben uns in einem positiv kreativen Sinn nichts geschenkt.
Woran arbeiten Sie gerade?
Ich habe keine Eisen mehr im Feuer, auch nichts in der Pipeline. Nur fünf Luftballons mit Drehbüchern, die hängen an einem Baum fest. Ich schüttle und mache und warte, bis einer hochsteigt. Bin neugierig, welcher es wird.
Als Bauer sind Sie auch noch tätig?
Logisch. Ernährung und Unterhaltung sind schließlich das, was der Mensch immer braucht.
Reminiszenz an Ernst Kahl, bis 16. Januar 2026, werktags von 8 bis 12 Uhr, donnerstags auch 16 bis 18 Uhr, Kunstraum Aquarium, Dorfstraße 26, Bernried am Starnberger See

