Designerin am Tegernsee:Der Leonhardiritt auf Seide

Sylvia Kerr Designer

Die Hommage an den Leonhardi-Ritt ist Teil der Winterkollektion 2014.

(Foto: Manfred Neubauer)
  • Ein urbayerischer Brauch hat es als Motiv in die Boutiquen der Modemetropolen geschafft: der Leonhardi-Ritt.
  • Die Schottin Sylvia Kerr entwarf das bayerische Tuch für den Franzosen Pierre-Alexis Dumas, den Kreativdirektor von Hermès.
  • Er hatte sich ein Tuch mit einem Motiv aus Deutschland gewünscht.

Von Anna Günther

Diane von Fürstenberg, Christian Lacroix, Hermès - wenn Modefans diese Namen hören, träumen sie von Mailand, New York oder Paris. Nie vom Tegernsee. Dabei hat es ein urbayerischer Brauch längst in die Boutiquen der Modemetropolen geschafft: Die Wallfahrt zu Ehren des Heiligen Leonhards, dem Schutzpatron des Viehs, vor allem aber der Pferde.

Seit Jahrhunderten wird der Brauch im November gepflegt. Der älteste in Urkunden erwähnte Leonhardi-Ritt soll 1442 durch die Tegernseegemeinde Kreuth geführt haben. 570 Jahre später liegt "Parade de Leonhardi" in Luxus-Boutiquen. Gedruckt auf die Seiden-Carrés des französischen Modehauses Hermès.

Sylvia Kerr Designer

Stundenlang zeichnet Kerr mit dem Bleistift Details, bis das auf dem Papier genauso aussieht wie das Original, malt mit Tusche und Aquarellfarben.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der Weg vom Pferde-Zaumzeug zum Seidentuch ist ein Paradebeispiel europäischer Verständigung: Die Schottin Sylvia Kerr entwarf das bayerische Tuch für den Franzosen Pierre-Alexis Dumas. Der Kreativdirektor von Hermès wünschte sich bei der Wiedereröffnungsfeier der Münchner Boutique 2010 ein neues deutsches Tuch. Die Wiesn hatte gerade begonnen, man sprach über Bayerns Brauchtum, Trachten und geschmückte Pferdegespanne. Sylvia Kerrs erstes Carré "Fleurs d'Ecosse" war zwar eine Hommage an Schottland, doch die solventen Münchnerinnen kombinierten es eifrig zum Dirndl. Der Rest ergab sich im Gespräch: Sie schlug Festtags-Zaumzeug als Motiv vor. Die Kutsche ist Teil des Firmenlogos, Pferde ziehen bei Hermès immer. Der in Krefeld geborene Sattler Thierry Hermès eröffnete 1837 in Paris ein kleines Geschäft für hochwertiges Zaumzeug und Sättel, bis heute können reiche Reiter ihre Rösser dort ausstatten. Auch wenn längst Taschen, Gepäck, Mode und Tücher den Umsatz bringen.

Arbeit, wenn die Kinder in der Kita sind

Die Inspiration zu ihrer "Parade de Leonhardi" fand die Textildesignerin Kerr im November 2010 beim jährlichen Wallfahrtsritt. Seit fünf Jahren lebt sie in Tegernsee und verbrachte vorher unzählige Stunden im Wochenend-Ausflugs-Stau zwischen München und See. Wer beim Klingeln Künstlerattitüde erwartet, wird angenehm überrascht. Sylvia Kerr öffnet lächelnd, neben ihr steht der zweijährige Sohn mit Schokocreme-Semmel in der Hand. "Sorry, er will immer die Türe öffnen", sagt sie mit leichtem englischen Akzent. Der Kleine fremdelt, seine Mutter serviert erst einmal Kräutertee. Vom Tegernsee, natürlich. Entspannt plaudert Kerr über Mode, Zeichnen und ihre Liebe zum Detail. Geduld muss also ihre Stärke sein. Sie lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen als die kränkelnde Tochter, 4, und der Sohn abwechselnd auf ihren Schoß klettern. "Der Kindergarten hat auch Ferien", sagt die 35-Jährige entschuldigend.

Für die Familie zog sie an den See, bis dahin war sie Weltenbummlerin: Kerr wurde in Wien geboren, wuchs in Paris und Schottland auf, studierte Design in Edinburgh und ging mit 21 zurück nach Paris, um Stoffe zu entwerfen. Sie machte sich selbstständig, arbeitete mit 25 in New York für die amerikanische Designerin Diane von Fürstenberg, die für ihre femininen, bunten Wickelkleider bekannt ist. Zurück in Paris designte Kerr weiter für Fürstenberg und schuf Muster für Christian Lacroix und Balenciaga. 2007 ging sie mit ihrem Mann nach München, entwarf für Boss oder Lala Berlin - und pendelte zwei Jahre lang jede Woche an die Seine.

Der Teufel steckt im Detail

Sylvia Kerr Designer

Das schottische "Fleurs d' Ecosse" trägt auch Queen Elisabeth II.

(Foto: Manfred Neubauer)

Auf die Frage, wie sie das alles so schnell geschafft habe, zuckt Kerr mit den Schultern und schmunzelt. Sie habe eben früh angefangen. "In Deutschland beenden viele erst mit 30 ihr Studium und ich war schon mitten in meiner Karriere." Der Vorteil an der Selbstständigkeit sei eben, dass sie sich ihre Zeit frei einteilen und parallel arbeiten könne. Entwürfe schickt sie heute per Internet vom Tegernsee an ihre Auftraggeber und fliegt nur für Meetings in die Metropolen. Sie arbeitet, wenn die Kleinen im Kindergarten sind. "Das ist das Gegenteil vom Trubel mit den beiden", sagt Kerr und läuft in ihr Atelier. Aus dem Gästezimmer nebenan tönt leise Trickfilm-Geplapper.

Am Zeichentisch habe sie Ruhe, könne träumen, Klavierkonzerte hören und malen. Stundenlang zeichnet sie mit dem Bleistift Details, bis das auf dem Papier genauso aussieht wie das Original, malt mit Tusche und Aquarellfarben. Inspiration findet Kerr in der Natur. Sie zieht Bilder von Blumen, Schmetterlingen, Insekten und Obst aus einer Mappe. "Ich liebe Blumen und feminine Muster, oh, und ich liebe meine Birnen", sagt Kerr und lacht wieder. Liebevoll blickt sie auf das Papier mit gemaltem Obst und Laub. Auch auf ihrem ersten Seidentuch für Hermès rahmen vier typisch schottische Blumen zwei steigende Einhörner ein. "Sogar Queen Elisabeth II. besitzt ein Tuch wie dieses", sagt Sylvia Kerr, ihre Wangen färben sich rosa als sie die silbergraue Seide auseinanderfaltet. Die Verkäuferin in der Boutique in Glasgow hatte damals prompt angerufen.

Die erste detaillierte Zeichnung war ein Instrument

"Andere Textildesigner arbeiten am PC wie Grafiker, ich male nur auf Papier", sagt Kerr. Als sie 13 war, entdeckte ein Lehrer im Internat ihr Talent. Bis dahin war Kunst kein Thema. Sie habe eher Musiker in der Familie, sagt die Schottin. Die erste detaillierte Zeichnung war dann auch ein Instrument, ein Horn. "Das war echt komisch, auf einmal konnte ich zeichnen", sagt Kerr. Ernst nahm sie die Kunst nicht. Erst kurz vor dem Schulabschluss entschied sie, auf die Kunsthochschule zu gehen.

Bei "Parade de Leonhardi" überforderte Kerrs Genauigkeit sogar die Kunsthandwerker von Hermès. Wochenlang recherchierte sie zu Zaumzeug und Sätteln, klapperte Dutzende Bauernhöfe ab, ließ sich Hunderte Trensen zeigen. Der Sattler Karl Stecher in Gmund erklärte ihr sein Handwerk und die Federkielstickerei . "Die Feinheit der Stiche ist beeindruckend", sagt Kerr. Sie brachte die Stickerei auf Papier - und musste umarbeiten. Die Linien waren für den Seidendruck zu fein. Recherche, erste Zeichnungen und Besprechungen mit Hermès dauerten ein Jahr. Für die eigentliche Malerei brauchte Kerr sechs Wochen. Das aufwendige Prozedere sei aber üblich. Drei Jahre später lag das Festtags-Pferdegeschirr der Tölzer Familie Moralt auf weiß-blauen Rauten als Seidentuch in den Boutiquen der Modemetropolen.

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