Automobilkonzern:Warum kleine Unternehmen um Ingolstadt Audi fürchten

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Sie haben es hinter sich: Dieter und Monika Uhlmann haben ihren Betrieb zu einem guten Preis verkaufen können. (Foto: Ritchie Herbert)

Durch den Automobilhersteller bekommen viele Zulieferer in der Region Aufträge, die ihnen die Existenz sichern. Zugleich verlieren sie ihre Belegschaft an den Großkonzern.

Von Andreas Glas, Ingolstadt

Nach Arbeit riecht es immer noch, nach Öl und Metallspänen. "Das ist der allerletzte Auftrag", sagt Dieter Uhlmann und deutet auf die stählernen Platten auf dem Boden der Werkstatthalle. "Die werden jetzt noch gekantet und gebohrt, dann sind wir fertig", sagt Uhlmann, 58, ein kleiner Mann mit rundem Gesicht, das Resthaar kurz geschoren. Die Werkstatt war sein Reich, sein Stolz, aber er lächelt trotzdem. "Manchmal", sagt er, "habe ich das Gefühl, dass der Herrgott das so wollte. Erst hat er mir die Leute genommen, dann die Firma und jetzt bin ich froh, dass es vorbei ist."

Der Herrgott war's. Uhlmann mag diese Vorstellung, sie macht es ihm leichter, den Ärger hinter sich zu lassen. Den Ärger darüber, dass ihm die besten Leute abgehauen sind, einer nach dem anderen, und fast immer sind sie rüber gewechselt zu Audi. "Wenn am Montag in der Früh einer mit einem weißen Kuvert in mein Büro kam, dann wusste ich, was Sache ist", sagt Uhlmann. Praktisch jedes Jahr habe er so ein Kuvert geöffnet und eine Kündigung rausgeholt. "Aber jetzt mag ich nicht mehr."

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Warum er nicht mehr mag? Wegen Audi, sagt Uhlmann, das hat er auch der Lokalzeitung so gesagt. "Eine Welle der Sympathie" habe seine Familie überrollt und das nur, "weil endlich mal einer den Mund aufgemacht hat". Weil er laut gesagt hat, was vielen Handwerksunternehmern in Ingolstadt Sorgen macht: dass ihre besten Mitarbeiter früher oder später zu Audi wechseln, weil dort höhere Löhne gezahlt werden. Dass ihre Betriebe mit dem Automobilgiganten nicht mithalten können im Wettbewerb um Fachkräfte.

Die zwei jungen Schlossermeister sollten den Betrieb übernehmen

Uhlmann marschiert ans Ende der Werkstatthalle, steigt eine Metalltreppe hinauf und öffnet die Tür zum Meisterbüro. Dort stehen zwei verwaiste Drehstühle hinter einem leeren Schreibtisch. Hier seien sie gesessen, sagt er, die zwei jungen Schlossermeister, die den Betrieb übernehmen sollten, weil seine Kinder andere Pläne haben.

Der eine habe hier "von der Pike auf" gelernt, man habe ihn immer unterstützt, von der Pubertät bis zur Meisterschule. "Als der dann zu Audi gegangen ist, hat ein anderer seinen Job übernommen", auch ein junger Kerl, "aber es hat nur ein halbes Jahr gedauert, dann ist der auch gegangen. Da war ich fertig mit den Nerven." Als kurz darauf weitere Facharbeiter zu Audi gingen, hatte Uhlmann die Schnauze voll.

Auf Dauer, sagt er, hätte er eh keine Wahl gehabt. "Wir sind seit Jahrzehnten dafür bekannt, dass wir vernünftige Arbeit machen. Aber wenn dir die Leute ausgehen, die vernünftige Arbeit machen, verlierst du irgendwann deine Reputation." Und ist die erst mal weg, kommen keine Aufträge mehr. "Das ist ein Thema, das unseren Mitgliedern unter den Nägeln brennt", heißt es aus dem Landesinnungsverband für das bayerische Elektrohandwerk.

Fast zwei Drittel der Unternehmen sorgen sich um ihre Zukunft

Und eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) hat ergeben, dass sich fast zwei Drittel der Unternehmer in der Region um ihre Zukunft sorgen, weil sie kaum mehr Fachkräfte bekämen. "Das hängt mit den attraktiven Arbeitgebern der Region zusammen", sagt Elke Christian, die Leiterin der IHK-Geschäftsstelle Ingolstadt, "und da gibt es natürlich einen, der hervorsticht."

Diesen einen, Audi eben, nennt in Ingolstadt niemand gern beim Namen, wenn es um Kritik geht. Der Automobilhersteller ist nun mal der Motor der ganzen Region, im Wortsinne. Bei Audi arbeiten 40 000 Menschen, weitere 10 000 arbeiten bei Zulieferbetrieben. Der Konzern trägt massiv dazu bei, dass die Stadt boomt, dass Ingolstadt seit Jahren vorne steht, wenn Rankings über Wirtschaftskraft veröffentlicht werden. Die Stadt ist ein Stück weit abhängig von Audi - das spürt Ingolstadt.

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Weil die Stadt in Folge des Abgasskandals bei Volkswagen um Gewerbesteuereinnahmen durch die VW-Tochter Audi fürchtet, hat der Stadtrat eine Haushaltssperre verhängt - mit dem Ziel, die Ausgaben in den Jahren 2015 und 2016 um 15 Prozent zu kürzen. Die Stadtpolitik nimmt das hin. Man weiß, was man Audi zu verdanken hat. Und man weiß seit vergangenem Frühjahr, was passiert, wenn man den Konzern kritisiert: Ein CSU-Stadtrat forderte, Audi solle mehr für den öffentlichen Nahverkehr tun. Ziemlich undankbar, fand offenbar ein Audi-Vorstand, und konterte, man müsse dann eben "überlegen, ob es noch Sinn macht, im geplanten Umfang an diesem Standort zusätzlich Arbeitsplätze aufzubauen".

"Wir als Familie Uhlmann haben gut von und mit Audi gelebt"

Seine Audi-Kritik, das gibt Uhlmann zu, hätte er "vor ein, zwei Jahren auch nicht so formuliert, ich bin kein so mutiger Mensch". Er weiß eben: "Wir als Familie Uhlmann haben gut von und mit Audi gelebt", zeitweise war der Konzern wichtigster Kunde. Und wenn die Politik schon abgewatscht wird, wenn sie aufmuckt, dann kann man verstehen, dass sich ein Zulieferer erst recht nicht mit Audi überwerfen möchte. Man verfolge eben "eine strategische und bedarfsorientierte Personalplanung", teilt Audi etwas ausweichend mit, fragt man beim Konzern wegen der Klagen der Zulieferer nach.

Außerdem, heißt es, verzichte man in der Regel darauf, Fachkräfte bei Betrieben in der Region aktiv abzuwerben. Muss Audi wohl auch nicht. Das Unternehmen hat genug Strahlkraft, dass die Leute von allein kommen. Um trotzdem eine gemeinsame Lösung zu finden, haben sich zwei Audi-Vorstände kürzlich mit Vertretern heimischer Betriebe und der Handwerkerverbände getroffen. Geplant ist, dass Audi Bewerber, die nicht auf eine ausgeschriebene Stelle passen, an Unternehmen in der Region vermittelt.

Ob das fruchtet, braucht Dieter Uhlmann und seine Frau Monika nur noch als Beobachter zu kümmern. "Wir gehen jetzt in ein Sabbatical, wie sie bei Audi sagen würden. Allerdings ohne dass wir danach wieder anfangen", sagt er. Sie haben ihr Geld beisammen, haben die Werkstatt für einen guten Preis verkauft, die Mitarbeiter sind alle anderswo untergekommen. "Wir sind glücklich", sagt Uhlmann. Vor der Tür steht sein neues Auto. Kein Audi mehr, zum ersten Mal seit 40 Jahren. "Das haben wir uns jetzt gegönnt", sagt Uhlmann.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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