Süddeutsche Zeitung

Bildung in Bayern:Von Trollen und Lügen

Beim Workshop des Blattmacher-Schülerzeitungswettbewerbs lernen Jugendliche, warum Fake News so gefährlich sind.

Von Viktoria Spinrad, Deggendorf

Für ihn, sagt der Polizist, sei die Sache klar. "Das sind Fake News", sagt er und pocht mit dem Finger auf den Tisch. Erfundene Nachrichten, und das im beschaulichen Schmachnow? Das will die Moderatorin so nicht gelten lassen. Sie lehnt sich nach vorne, breitet die Hände aus. Es sei keine Straftat gewesen, was hier gepostet wurde, sagt sie. Und überhaupt. Im Internet stünden doch so viele schlimme Dinge. "Das hätte überall stehen können", sagt sie und verschränkt die Arme. Der Bürgermeister schaut ratlos.

Kein Wunder, es ist ja auch ein kompliziertes Szenario. Demzufolge hat eine örtliche Online-Plattform verbreitet, dass ein vorbestrafter Marokkaner eine schwangere Frau angegriffen habe. Daraufhin machten sich 50 Menschen zum Wohnheim für Geflüchtete auf, bedrohten die Bewohner und schlugen Scheiben ein. Nur, dass der Vorfall sich so nie zugetragen hat. Und nun, was tun mit der Online-Plattform mit dem schmissigen Namen "Schmach-Now"? Weiterlaufen lassen? Abschalten?

Es ist ein Vormittag an der Staatlichen Wirtschaftsschule Deggendorf. Draußen ist Baustelle, die Schule wird umgebaut, und auch drinnen rumort es. In einem Besprechungsraum sitzen sechs Redakteure der Schülerzeitung DWirZ und diskutieren. Sie haben unter den Realschulen den ersten Platz beim Blattmacher-Schülerzeitungswettbewerb gewonnen, den die Süddeutsche Zeitung zusammen mit dem Kultusministerium und der Nemetschek-Stiftung ausrichtet. Wie alle Gewinner bekommen sie einen Workshop, in diesem Fall ist es ein Rollenspiel. Deshalb sind sie nun nicht mehr Martin oder Melissa, sondern Polizisten und Politiker.

Was tun mit einer Plattform, auf der immer wieder Falschnachrichten verbreitet werden?

Was sind Fake News überhaupt? Wie erkennt man sie? Und wie kann man mit ihnen umgehen? Es sind Fragen, die kaum aktueller sein könnten. Dabei hilft ihnen Peter Correll, Workshopleiter bei Planpolitik. Bevor die Schüler in ihre neuen Rollen schlüpfen, gibt es deshalb erst mal ein Bingospiel. Es geht um Menschenrechte, Deep Fakes und Social Bots. Also technische Mittel, die angewendet werden, um politische Meinungen im Netz zu beeinflussen.

Was ist ein Troll?, fragt Wadim, zwölf, seinen Redaktionskollegen Martin, elf. "So ein Zwerg?", rät der. Fast, muss man sagen. Heutzutage bezeichnet man mit dem unangenehmen Wesen aus der nordischen Mythologie Internetuser, die provozieren und zündeln, bis eine sachliche Debatte unmöglich erscheint. Wadim berichtet, dass er in der Vergangenheit schon einmal auf Fake News reingefallen sei. Im Internet habe gestanden, dass an seinem Geburtstag ein Meteorit einschlagen würde. So kam es freilich nicht.

Dann schlüpft jeder in seine Rolle. Vorne an der kurzen Seite des Tisches sitzt jetzt Hannes. Der 16-Jährige im Metallica-Shirt macht eine Merkel-Raute. Er ist der ernannte Bürgermeister der Runde. Sein Ziel: einen Kompromiss finden und zukünftige Mobs in seiner Gemeinde vermeiden. Er krempelt sich die Ärmel hoch, begrüßt die Runde und kommt schnell auf den Punkt: "Es wurden Fake News verbreitet", sagt er. Melissa, die Vertreterin von "Schmach-Now", ist in die Rolle der Verteidigerin geschlüpft. Und spielt sie sehr überzeugend.

"Ich verstehe nicht, warum wir überhaupt hier sind", sagt sie. Mit dem Artikel über den Angriff sei ja bloß eine Meinung gepostet worden. Wenn man eine Plattform einrichte, müsse man eben auch mit verschiedenen Meinungen rechnen. Es ist das typische Argument von Plattformen, wenn diese keine Verantwortung für ihre Inhalte übernehmen wollen. Wie weit reicht die Meinungsfreiheit, ab wo beginnt die Hetze?

Eine Frage, die auch Julia, die Vertreterin der fiktiven "SDP", umtreibt. Sie will zukünftig Lügen vermeiden, aber auch dem Argument der Hetzer keinen Vorschub geben, dass der Staat Meinungen diktiere. Mit der Online-Zeitung würde ein wichtiger Gesprächskanal verloren gehen, mahnt sie. Martin, der Polizist, Vertreter von Recht und Ordnung, hält dagegen. Abschalten, so seine Devise, solange man Falschnachrichten nicht als Straftat verfolgen könne.

Und nun? Wie kommt das beschauliche Schmachnow raus aus dem Schlamassel? Da hat Hannes, der Bürgermeister eine Idee. Die Leute sollten sich in Zukunft auf der Plattform anmelden müssen, um etwas zu posten. So könnte man in Zukunft rückverfolgen, wer was geschrieben hat. "So was können wir nimmer gebrauchen", sagt er über den Vorfall, schließlich schade es dem Ruf der Stadt. Und dann ist da plötzlich ein Nicken, eine kollektive Übereinkunft zwischen den Streithähnen. "Dann probieren wir es jetzt mal so", grummelt selbst der gestrenge Polizist. Auf dass in Schmachnow nie wieder der Mob los ist.

Bereits zum 17. Mal laden die "Süddeutsche Zeitung" und das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus die bayerischen Schülerzeitungen ein, am großen Blattmacher-Wettbewerb teilzunehmen. Mitmachen können Schülerzeitungen von Grundschulen, Mittelschulen, Förderschulen, Realschulen, Gymnasien und Beruflichen Schulen aus Bayern. Es werden auch Preise für die besten Online-Schülerzeitungen vergeben.

Die drei besten Print-Redaktionen pro Schulart bekommen zwischen 200 und 500 Euro Preisgeld von der Nemetschek-Stiftung. Auch die besten Online-Schülerzeitungen erhalten Geldpreise. Die Sieger jeder Kategorie zählen zum "Club der Besten" und bekommen ein spezielles Belohnungsprogramm von Nemetschek-Stiftung und SZ. Wie diese Belohnung aussieht, wird erst bei der Siegerehrung verraten.

Einzureichen sind sechs gedruckte Exemplare einer Ausgabe, die zwischen dem 16. Oktober 2021 und dem 10. Juni 2022 erschienen ist. Bei reinen Online-Schülerzeitungen genügt das Absenden des Anmeldeformulars. Einsendeschluss ist der 10. Juni. Weitere Details zur Teilnahme gibt es unter sz.de/blattmacher-wettbewerb.

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