Integrationsdebatte:Wenn die Lehrerin zur Putzhilfe wird

Kurz nach den Thesen Thilo Sarrazins stellt Bayern seinen Integrationsbericht vor. Viele Migranten beschreiben ihre Situation ernüchternd: Ausländische Akademiker müssen oft weit unter ihrer Qualifikation arbeiten - Programme an Universitäten sollen das ändern.

Max Hägler

Thilo Sarrazins Thesen haben auch Bayern erreicht. Einige seien bedenkenswert, heißt es aus der CSU. "Manche Migranten wollen sich gar nicht richtig in Deutschland integrieren", sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der Passauer Neuen Presse. Am heutigen Montag wird er mit Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) einen Bericht zur Bevölkerungsentwicklung vorstellen - die Kernaussage dürfte sich decken mit Herrmanns Äußerungen in den vergangenen Tagen: "Deutschland ist kein Einwanderungsland." Und solle das auch nicht werden.

Vorstellung Migrationsbericht in Bayern

Kurz nach den Thesen von Thilo Sarrazin stellen sie den Integrationsbericht Bayerns vor: Integrationsministerin Christine Haderthauer und Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU).

(Foto: dpa)

Die bayerische FDP hatte am Freitag das Gegenteil betont und für eine "Willkommenskultur" geworben. Auch an bayerischen Universitäten, wo traditionell viele Ausländer studieren, schüttelt man den Kopf. "Es geht wieder darum, den Schaden zu begrenzen, den Migranten anrichten", seufzt Annamaria Fabian. "Wieso redet man nicht darüber, wie man ihren Nutzen maximieren kann?"

Die gebürtige Ungarin Fabian hat an der Passauer Universität einen studentischen Verein namens Akademigra gegründet, der ausländischen Fachkräften mit Sprachkursen und individuellen Bewerbungstrainings hilft, hier Fuß zu fassen. Denn seit die Studentin der Kulturwissenschaften vor fünf Jahren nach Passau kam - bereits mit akademischen Abschlüssen in der Tasche - hat sie immer wieder erfahren, wie es hakt mit der Integration.

Und diese Probleme haben nicht nur junge, schlecht ausgebildete Männer aus den Großstädten, sondern auch gut ausgebildete Menschen. Ihren Nebenjob bei einer Versicherung habe sie nur bekommen, weil sie besser gewesen sei als die deutschen Mitbewerber, sagt die 27-jährige Fabian. "Sonst hätte ich nie eine Chance gehabt." Ähnliches hörte sie immer wieder von Kommilitonen oder deren Eltern. Als sie über einen Nachhilfeschüler die 45-jährige Csilla Peters kennenlernte und deren Lebensgeschichte, wurde ihr klar: Das sind keine Einzelfälle. Ausländer werden in Bayern immer wieder daran gehindert, ihr Können einzusetzen.

Peters ist auch Ungarin, eine freundliche Frau, die sehr gut Deutsch spricht. Die Liebe hat die 45-Jährige nach Bayern verschlagen. Privat ist das schön, aus beruflicher Sicht aber ein Desaster: Geographie und Biologie hat sie in ihrer Heimat studiert und unterrichtet. In Bayern arbeitet die frühere Lehrerin nun als Verkäuferin. Man muss vorsichtig nachfragen, um mehr zu hören. Zu viele schlechte Erfahrungen hat Cilla Peters gemacht in Deutschland, vor allem mit Sachbearbeitern, die ihr immer wieder klar gemacht haben, dass man kein Interesse an ihr habe.

Spirale aus Scham

"Ich möchte doch mit meinem Kopf arbeiten", sagt sie schließlich schüchtern. "Ich möchte mein Wissen weitergeben, aber ich darf nicht." Ihr Diplom wird nicht anerkannt. Die Arbeitsagentur empfahl ihr Putzstellen oder einen Verkaufsjob. Den macht sie nun - und will gleichzeitig nochmals von vorne studieren. "Es werden hierzulande noch viele Talente verschwendet", urteilt Timo Baas, Migrationsforscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Es gebe erhebliche Probleme bei der Anerkennung von Ausbildungen. Bei wissenschaftlichen Umfragen würden viele Migranten ausführlich ihre ausländischen Abschlüsse angeben; doch in den offiziellen Statistiken überwiegt die Gruppe "ohne Abschluss".

Auch die Universität Regensburg will das aufbrechen und startet im Wintersemester das Programm "Primeros" - sofern die Finanzierung klappt. Mathematiker und Physiker aus dem Ausland können in zwei Semestern einen deutschen Bachelor- oder Masterabschluss draufsatteln, je nachdem, welches Vorwissen sie mitbringen.

Neben dem Abschluss gibt es noch den Kurs "Fit für Deutschland". Darin werden die Eigenarten des Landes gelehrt, dazu Englisch und Deutsch. "Häufig bleiben unseren Teilnehmern sonst die Türen in Deutschland verschlossen", sagt Projektleiterin Aleksandra Wroblewska. Mit dieser Nachhilfe soll es dann auf den Arbeitsmarkt gehen - zum Nutzen der Migranten und der Wirtschaft.

"Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, dass gut ausgebildete Migrantinnen aus formalen Gründen unserem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen", sagte Christine Hadertauer, als sie vor einem Jahr die finanzielle Förderung von "Interacta" vorstellte. In diesem Programm werden Migrantinnen von der Uni-nahen Führungsakademie in Nürnberg individuell geschult.

In Passau fehlt noch Geld, warten wollten die Studenten aber nicht. "Dann wären wieder ein paar in die Spirale aus Scham und vielleicht Hartz IV gefallen", sagt die energische Projektleiterin Fabian. Und so haben in den vergangenen Monaten rund zwei Dutzend Studierende ehrenamtlich 16 ausländische Akademiker betreut. Diesen Herbst startet das jeweils 300 Stunden umfassende Curriculum offiziell, mit professionellen Sprachlehrern. Kein Eintagsprojekt? "Nein", sagt Fabian, der Staat mache ja kaum etwas für die Förderung. "Also müssen wir etwas tun."

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