Debatte um den Zölibat:Lasset uns reden!

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Es bahnt sich eine neue Debatte um den Zölibat an - sie wird heftiger werden als je zuvor. Denn auch manche Bischöfe haben erkannt, dass sich etwas ändern muss.

Monika Maier-Albang

Auf den ersten Blick hatte sich die "Arbeitsgruppe 8" einen unverfänglich klingenden Titel gegeben: "Kirche - Ort vielfältiger Lebensformen". Doch eines der "pastoralen Ziele", die die Arbeitsgruppe vor Weihnachten dem Münchner Erzbischof Reinhard Marx unterbreitete, hat es in sich: Das Erzbistum solle ein unabhängiges Institut damit beauftragen, alle Priester des Erzbistums zu ihrem "zölibatären Lebensstil" zu befragen - anonym selbstverständlich. Die Frage also würde lauten: Wie hältst Du es mit der Enthaltsamkeit? Das Ergebnis wäre vermutlich brisant. Man darf davon ausgehen, dass es eine solche Umfrage nie geben wird.

Ist der Zölibat noch zeitgemäß? Immer mehr sind der Meinung, dass sich die Kirche bewegen muss. (Foto: Rolf Haid)

Dass es überall Priester gibt, die ein Doppelleben führen, die eine Freundin oder einen Freund haben, wissen alle im katholischen Milieu. Nur spricht man darüber höchstens im privaten Kreis. Denn sobald eine solche Partnerschaft öffentlich wird, muss der Bischof reagieren und der Priester muss wählen zwischen Amt und Partner. Immer wieder lassen sich Priester, die dieses Doppelleben nicht mehr aushalten, vom Amt entbinden - mit ungewissen Zukunftschancen.

Andere halten den Schein aufrecht, und oft sind es die Frauen, die darunter am meisten leiden. Erhebungen darüber, wie viele Priester den Zölibat halten, gibt es im deutschsprachigen Raum nicht. In den USA indes hat der frühere Priester und Psychologe Richard Sipe in 1990er Jahren Daten veröffentlicht, die auf der Befragung von 1500 Priestern beruhen. Demnach hat ein Fünftel von ihnen sexuelle Beziehungen zu einer Frau; weitere 20 Prozent sind homosexuell orientiert, die Hälfte von ihnen ist sexuell aktiv.

Der Pflichtzölibat ist ein Dauerthema in der katholischen Kirche. Bereits bei der Würzburger Synode, die vor genau 40 Jahren begann, stand es auf der Agenda. Doch alle Appelle aus Deutschland verhallten in Rom. Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", von vielen Bischöfen als Sektierer belächelt, überreicht seit Jahren Unterschriftenlisten mit der Bitte um Reformen. Unterzeichnet haben Zehntausende - bislang wurde die Stimme des Volkes nicht gehört.

Nun aber, nach den Missbrauchsskandalen des vergangenen Jahres, bahnt sich eine neue Diskussion an. Sie könnte heftiger werden denn je zuvor, denn auch unter den Bischöfen haben manche erkannt, dass die Kirche sich bewegen muss, will sie weiter ernst genommen werden. Was noch vor kurzem undenkbar schien, ist jetzt möglich, etwa dass in einem Dekanat fast die gesamte Pfarrerschaft eine Erklärung verabschiedet, die in zwei "Forderungen nach Rom" gipfelt. So geschehen in Freising, wo fast 40Seelsorger, aufgewühlt durch die Missbrauchsfälle, Reformen sehen wollen.

"Zwar gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Pflicht-Zölibat und sexuellem Missbrauch", schreiben sie, "aber im Sinne von Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Kirche muss ernsthaft überlegt werden, inwieweit die derzeitige obligatorische Verbindung von Priesteramt und Zölibat gelöst werden soll. Neben der Weihe von verheirateten Männern sind auch die Fälle jener Priester zu berücksichtigen, die faktisch in einer Beziehung leben." Mitformuliert hat die Freisinger Thesen der dortige Dekan Michael Schlosser.

Was für ein Kontrast: Vor gerade mal 15 Jahren schlug die Geburtsstunde von "Wir sind Kirche" - in Form einer Unterschriftensammlung. Mancherorts wurden die Listen damals noch aus Kirchen und Pfarrheimen verbannt.

Den vielen Katholiken, die sich Reformen wünschen, haben vergangene Woche auch prominente CDU-Politiker eine Stimme gegeben. An die deutschen Bischöfe appellierten sie, angesichts des Priestermangels und der "Not vieler priesterloser Gemeinden" in Rom vorstellig zu werden. Der Altabt der Benediktiner, Odilo Lechner, hat anlässlich seines 80.Geburtstags wiederholt, was er vor Jahren schon bekundet hat: Die Ehelosigkeit von Priestern als Zeichen, "dass man ganz für Gott da ist", habe einen hohen Wert, aber der Zölibat sei kein unumstößliches Dogma. Gebe es nicht mehr genügend Priester, um die Eucharistie zu feiern, müsse man eben Laien berufen.

Die Mehrheit des Kirchenvolks und der Priester, da ist Lechner sich sicher, denke ähnlich. Das tun ja selbst Bischöfe: Der für den Norden der Erzdiözese zuständige Weihbischof Bernhard Haßlberger hat in der vergangenen Woche vor Schülern im Landkreis Dachau Farbe bekannt: Gäbe es den Zölibat nicht, hätte die Kirche mehr Priester und ein Problem weniger!

Davon ist auch der Vorsitzende des Münchner Katholikenrats, Uwe Karrer, überzeugt. Schon im Herbst hatte er beim Jahresempfang des Ehrenamtlichen-Gremiums über die Missbrauchsfälle gesprochen und die Demotivation, die er bei vielen Ehrenamtlichen spürt. Auch ihm sei es ein Rätsel, warum seine Kirche einerseits verheiratete evangelische Pfarrer aufnimmt, den eigenen die Familie aber verwehrt. "Ein Kirchenrechtler wird mir das sicher erklären können, aber: Verstehen muss ich das nicht." Er wünsche sich vor allem "gscheide Pfarrer, gerne verheiratet, gerne mit Kindern, gerne auch eine Diakonin oder Pfarrerin."

Nur, ob die Gemeinden überall das mittragen würden, da ist auch Karrer skeptisch. Schließlich gibt es in der Kirche auch einen starken beharrenden Flügel. Dass erst die Missbrauchsfälle eine breite Diskussion über den Zölibat anstoßen konnten, habe ihn überrascht und frustriert, sagt Karrer. "Es gibt einem das Gefühl: Da arbeitet man als Ehrenamtlicher brav mit, kann aber nur mühsam in kleinen Schritten etwas verändern und dann kommt ein Skandal und massiver öffentlicher Druck, und plötzlich kommen die Dinge richtig in Bewegung." Aber, so darf man Karrer wohl verstehen, besser jetzt als nie: ",Alles hat seine Zeit', heißt es in der Bibel und vielleicht ist jetzt die Zeit bei uns so weit."

Aber ist sie es tatsächlich? Derzeit tagt der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz im unterfränkischen Kloster Himmelspforten. Mit einem "symbolischen Weckruf" haben Mitglieder der Kirchenvolksbewegung die Bischöfe dort empfangen: Bei der Durchfahrt der Dienstfahrzeuge ließen sie einen Gong ertönen und hielten Transparente hoch mit Aufschriften wie: "Bischöfe, sprecht mit uns, nicht zu uns" oder "Reformdialog! Wovor habt ihr Bischöfe Angst?"

Die aber wollen es besonnen angehen lassen: "In den kommenden Jahren", ließ die Bischofskonferenz am Wochenende wissen, werde man all die "Anregungen zur Weckung von mehr Priesterberufen neu bedenken können". Wenn Papst Benedikt XVI. Deutschland besucht, solle der Zölibat keine Rolle spielen.

© SZ vom 25.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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