Süddeutsche Zeitung

Debatte über Schulreform:Bürgervotum zum G8 rückt näher

Acht oder neun Jahre am Gymnasium? Wenn es nach den Freien Wählern geht, sollen Schüler bald selbst entscheiden dürfen, nach wie vielen Jahren sie das Abitur machen. Eines steht für Parteichef Aiwanger allerdings fest: Auch das G9 müsste komplett umgekrempelt werden.

Von Tina Baier

Nachdem sich die Freien Wähler am Wochenende für eine Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium in Bayern ausgesprochen haben, signalisiert die SPD Unterstützung: "Wir werden gemeinsam an einem Strang ziehen", sagte Julian Nida-Rümelin, bildungspolitischer Berater von Spitzenkandidat Christian Ude, der Süddeutschen Zeitung. "Der Murks G 8 muss rückgängig gemacht werden."

Mit nur einer einzigen Gegenstimme hatten sich die Freien Wähler am Wochenende auf ihrer Landesmitgliederversammlung in Geiselwind für eine Wahlmöglichkeit zwischen achtstufigem (G 8) und neunstufigem Gymnasium (G 9) in Bayern ausgesprochen. "Trotz zahlreicher Reformversuche ist das G 8 ein Rohrkrepierer und dient von seiner Konzeption her nicht dazu, die Schüler umfassend studierfähig zu machen", sagt Günther Felbinger, bildungspolitischer Sprecher der Partei. An diesem Dienstag wird das Thema auf Antrag der Freien Wähler in einer Aktuellen Stunde im Landtag diskutiert.

In den kommenden zwei Wochen will der Vorstand der Freien Wähler darüber entscheiden, ob die Partei ein Volksbegehren zur Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 initiiert. "Von der Basis ist das jetzt abgesegnet", sagt Michael Piazolo, hochschulpolitischer Sprecher der Freien Wähler und einer der Hauptorganisatoren des erfolgreichen Volksbegehrens gegen die Studiengebühren in Bayern. "Wir müssen schnell und klar sagen, was wir machen wollen", sagt Piazolo. Das Thema sei jetzt virulent, "da können wir nicht bis Juni warten".

Anders als Nida-Rümelin, der ein Volksbegehren so kurz vor der Landtagswahl nicht für sinnvoll hält, sieht Piazolo kein Problem darin, dass das Volksbegehren vor den Wahlen nicht mehr abgeschlossen werden kann. Im Gegenteil: Den Freien Wählern sei es wichtig, das Thema vor der Wahl im Herbst intensiv mit den Bürgern zu diskutieren.

Nur Unzufriedenheit mit G 8

"Das Thema lag auf der Straße", sagt Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler. Mit wem man auch spreche, alle seien unzufrieden mit dem G 8. An der Basis herrsche eine ganz andere Stimmung als in den Spitzen der Lehrer- und Elternverbände. Diese hatten sich erst vergangene Woche hinter das Konzept von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) gestellt, der den Schülern der Mittelstufe durch ein "Flexibilisierungsjahr" mehr Zeit einräumen will. Gymnasiasten, die Probleme mit dem G 8 haben oder die beispielsweise ein Jahr im Ausland verbringen wollen, sollen demnach in der achten, neunten oder zehnten Klasse ein zusätzliches Jahr einschieben können.

Aiwanger hält davon überhaupt nichts: "Spaenle verfährt nach dem Motto ,Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht'", sagt er. Er habe es dagegen lieber einfach als kompliziert. Auch mit Blick auf die Nachbarländer Hessen und Baden-Württemberg, in denen das G 9 wahlweise angeboten und von Schülern und Eltern begeistert angenommen wird, sei es "verantwortungslos, den bayerischen Schülern diese Wahlmöglichkeit vorzuenthalten". Das sei ähnlich wie bei den Studiengebühren, die die bayerischen Studenten hätten zahlen sollen, Studenten in anderen Bundesländern aber nicht.

"Es geht um ein neues G 9"

In den kommenden Tagen und Wochen werden sich die Freien Wähler Gedanken machen, wie ihr G-9-Konzept aussehen könnte und wie sich das Volksbegehren am besten formulieren ließe. Schon jetzt ist klar, dass die Partei auf keinen Fall zurück zum alten G 9 mit seinem Prinzip aus Leistungs- und Grundkursen will.

"Es geht um ein neues G 9, das den Zeitdruck von Schülern und Lehrern nimmt und dafür sorgt, dass wieder nachhaltig Unterrichtsinhalte vermittelt werden können", sagt Piazolo. Zumindest bis zu diesem Punkt dürfte auch der bayerische Philologenverband nichts einzuwenden haben, der offiziell voll hinter Spaenles Flexibilisierungsjahr steht. "Wir werden auf jeden Fall mit den Freien Wählern reden", sagt Max Schmidt. Der Philologenverband lehne eine Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 nicht grundsätzlich ab. Mit der CSU sei das derzeit aber undenkbar. Deshalb arrangieren sich die Philologen mit den zusätzlichen Lehrerstunden, die sie von der bayerischen Staatsregierung für das Flexijahr und zusätzliche Förderstunden bekommen haben.

Auch bei den Schülervertretern gibt es eine offizielle Pro-G-8-Position, die der Landesschülerrat vertritt, und eine inoffizielle gegenteilige Meinung: "Das Flexibilisierungsjahr stellt aus Schülersicht keine Verbesserung des Gymnasiums dar und kostet den Steuerzahler jede Menge Geld, das anderweitig wesentlich sinnvoller und effektiver eingesetzt werden kann", schreiben die LandesschülerInnenvereinigung Bayern und die StadtschülerInnenVertretung München in einer gemeinsamen Presseerklärung.

Warum hält die CSU, die bei anderen Themen wie etwa den Studiengebühren oder der Atomkraft schnell auf die Stimmung der Wähler reagiert hat und umgeschwenkt ist, derart eisern am ungeliebten G 8 fest? "Das wäre ja ein Eingeständnis von Fehlern, und diese Staatsregierung macht keine Fehler", sagt Hubert Aiwanger.

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SZ vom 16.04.2013/infu
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