Debatte im Landtag:Investitionen gegen die Landflucht

Die öffentliche Aufregung über die Zukunftskommission hat sich zwar gelegt - aber der Schock sitzt tief: Fachleute diskutieren über die Entwicklung strukturschwacher Räume.

Christian Sebald

Im Allgäu, da haben sie den Kampf um eine gute Zukunft aufgenommen. Vor wenigen Wochen haben die Landkreise Lindau, Oberallgäu, Ostallgäu und Unterallgäu, dazu die Städte Kaufbeuren, Kempten und Memmingen die AllgäuGmbH gegründet, auf dass sie nicht mehr nur als wunderschöne Urlaubsregion in den Köpfen der Menschen gespeichert sind. Sondern als starker Wirtschaftsstandort mit namhaften Autozulieferern genauso wie Elektrofirmen, Maschinenbauern und anderen Branchen mehr.

Aprilwetter in Bayern, 2006

Dunkle Regenwolken ziehen über der Dorfkirche von Jenhausen im Landkreis Weilheim-Schongau.

(Foto: dpa/dpaweb)

"Wir müssen im Wettbewerb mit Augsburg und München bestehen", sagt der Oberallgäuer Landrat Gebhard Kaiser (CSU), "Das können wir nur, wenn wir uns gemeinsam vermarkten." Denn auch im Allgäu, das gewiss nicht zu den strukturschwächsten Regionen im Freistaat zählt, steht nicht alles zum Besten. "Die Versorgung mit schnellem Internet ist bei uns das gleiche Trauerspiel wie in Ostbayern", sagt Kaiser, "und es fehlen hier nicht weniger Fachkräfte wie dort."

Wenn es ein Fazit gibt aus der Anhörung "Entwicklung und Zukunft strukturschwacher ländlicher Räume in Bayern" am Donnerstag im Landtag, dann dies: Es geht eine gewaltige Angst um - nicht nur in Nord- und in Ostbayern, sondern auch im übrigen Franken, in Schwaben und in Oberbayern, dass sie abgehängt werden von den Boomregionen München, Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg, Regensburg und Würzburg. Das zeigte allein der frostige Empfang, den sich Herbert Henzler, der Chef der Zukunftskommission des Freistaats, gefallen lassen musste.

Es war Henzlers Kommission, die der Staatsregierung Anfang des Jahres empfohlen hatte, sich künftig strukturpolitisch auf genau jene sechs Ballungszentren zu konzentrieren. Ansonsten werde der Freistaat im globalen Wettbewerb nicht bestehen. Den Gebieten abseits davon prognostizierte der Unternehmensberater eine düstere Zukunft, geprägt von Bevölkerungsverlust, immer weniger Arbeitsplätzen und Kaufkraftverlust, aber auch Defiziten in der Infrastruktur.

Zwar hat sich die öffentliche Aufregung über die Zukunftskommission längst gelegt. Aber der Schock sitzt tief. So tief, dass Henzler bei der Anhörung auf taube Ohren stieß, als er zum Beispiel sagte, der Freistaat werde in den nächsten zehn Jahren exakt so viel Geld für sein gesamtes Straßennetz zur Verfügung haben wie allein der Bau eines zweiten S-Bahn-Tunnels in München kostet: 1,7 Milliarden Euro.

Dafür herrschte große Einigkeit bei Lokalpolitikern und Wirtschaftsleuten, wie der Niedergang der ländlichen Regionen gestoppt werden könne. Das Patentrezept hierfür lautet: Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Das erklärten nicht nur der Miesbacher Landrat und Vorsitzende des Landkreistags, Jakob Kreidl (CSU), und der Iphofener Bürgermeister und Vizechef des Gemeindetags, Josef Mend (Freie Wähler). Auch Jürgen Helmes, der Hauptgeschäftsführer der IHK Regensburg, und Franz Prebeck, der Präsident der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, schlossen sich dem an. Damit aber die vorhandenen Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden können, müsse der Freistaat massiv in die Infrastruktur investieren. Etwa ins schnelle Internet. Aber auch ins Straßen- und vor allem ins Schienennetz. Und vor allem ins Schulsystem. So wollen die ländlichen Kommunen endlich auch Zwergschulen mit Klassenstärken von weniger als zehn Kindern. "Nur so werden wir die flächendeckende Versorgung mit Schulen aufrecht erhalten können", sagte Mend. "Unsere Schulen sind aber ein Garant für die Zukunft unserer Orte." Denn, so das Credo vieler Bürgermeister: Die Schulen sind wie die Kindergärten Herzkammern des Ortslebens. Sind sie weg, haben junge Familien einen Anreiz weniger, am Ort zu bleiben.

Experten wie Holger Magel, der Präsident der Akademie für den ländlichen Raum und Professor für Landesplanung an der TU München, sehen das nicht anders. Für Magel steht der Freistaat schlicht am Scheideweg. Wenn es jetzt nicht gelinge, so sagte der Professor, die Abwärtsspirale etwa in der nördlichen Oberpfalz umzudrehen, dann wird man "Schrumpfungsstrategien wie in Ostdeutschland fahren müssen". Und das heißt zum Beispiel: Wohnblocks abreißen statt Neubaugebiete ausweisen.

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