Das System Strauß:Als Amigo noch kein Schimpfwort war

Nach dem Tod des CSU-Chefs wurde klar: Das "System Strauß" funktionierte nur mit ihm selbst.

Hans Kratzer

Als die morsch gewordene bayerische Monarchie anno 1918 von den Stürmen der Revolution niedergerissen wurde, brach für die Schwabinger Metzgersfamilie Strauß eine Welt zusammen. Ihr und dem übrigen Haufen der Königstreuen blieb nur die Hoffnung, dass die Wittelsbacher bald auf den Thron zurückkehren würden.

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(Foto: Foto: AP)

Aber die Jahre gingen ins Land und es rührte sich nichts. Vielmehr schlitterte das Volk der Bayern nacheinander in ein irrlichterndes Rätesystem, in eine seltsame Republik und in eine Diktatur hinein. Eine neue Monarchie war jedoch nicht in Sicht, höchstens ein paar versprengte Monarchisten wie der Kronprinz Rupprecht (1869-1955) und, viele Jahre später, der Volksunterhalter Georg Lohmeier.

Ein Aufflackern der Königsherrlichkeit

Franz Josef Strauß war beim Sturz des bayerischen Throns noch ein unschuldiges Büblein, aber auf dem Münchner Nockherberg sollte er in den frühen 80er Jahren doch noch ein Aufflackern der weiß-blauen Königsherrlichkeit erleben. Er stand sogar selbst im Mittelpunkt jener unvergessenen Szene, in der sein Double, der Schauspieler Walter Fitz, ihm einen weißen Pelz auf die Schultern legte, eine Krone aufs Haupt setzte und ihn symbolisch zum König von Bayern kürte.

Als Strauß breit grinsend in die Menge winkte, hatte er tatsächlich eine Ähnlichkeit mit dem Popstar Ludwig II., dem bayerischen Sonnenkönig. Und die von dem Spektakel überwältigten Königstreuen seufzten auf ihrer Gammelsdorfer Proklamation wieder einmal: "Wir brauchen keinen König, aber schöner wär's schon."

Strauß aber modellierte da schon längst sein neues Superbayern, in dem nicht länger der kleine Erdäpfelbauer den Fokus der Politik bilden sollte, sondern der ungehemmte Fortschritt, die Global Player und das Tête-à-Tête mit den Großmächten. Die Sehnsucht nach der Monarchie ließ der CSU-Chef stets ironisch an sich abprallen: "Ich strahle auch ohne Krone einen Glanz aus."

Tatsächlich verkörperte Strauß wie kein anderer Ministerpräsident eine von barocken Zügen getragene Volkstümlichkeit, die gespeist wurde durch starke Sprüche, jubelnde Massen und der später von Gerhard Polt in Worte gefassten Maxime: "Ich brauche keine Opposition, ich bin schon Demokrat."

Der begnadete Volksredner füllte problemlos jedes Bierzelt, wo er, wie es seinerzeit der Karikaturist Ernst Maria Lang formulierte, bayerische Bildhaftigkeit, die Rabulistik eines Viehhändlers und militärische Diktion kraftvoll miteinander verflocht. Das mochten die Leute, sie sagten: "A Hund is er scho - der Strauß."

"Ein Hund, der Strauß"

Wenn einer in Bayern als Hund tituliert wird, dann darf er sich geehrt fühlen, aber oft schwingt in diesem Lob auch mit, dass hier ein Spitzbub am Werk ist, der das Gesetz gerne zum eigenen Vorteil auslegt. Im Falle Strauß sah das Volk durchaus, dass er von den Höhen der Macht hinabstieg in die Dunkelkanäle der Politik und der Halbwelt, wo er sich in dubiosen Affären und Geschäften verstrickte.

Auch die in Bayern recht populäre Spezlwirtschaft hielt er im Zusammenspiel mit illustren Namen wie Zwick und Hendl-Jahn hoch in Ehren. Der Filmproduzent Luggi Waldleitner gewährte dem SZ-Reporter Herbert Riehl-Heyse im Sommer 1984 im italienischen Badeort Terracina diesbezüglich interessante Einblicke. Strauß feierte auf Einladung Waldleitners mit einer Ladung CSU-Prominenz in dessen Villa seinen Geburtstag. Riehl-Heyse, der zufällig im Nachbarhaus weilte, beobachtete amüsiert, wie die Gäste in Badehosen ihren Prosecco schlürften. Das war freilich in einer Zeit, in der das Wort Amigo unbefleckt war. "1984 ruhte die Bundesrepublik, was solche Fragen anging, noch sehr in sich", schrieb Riehl-Heyse später.

Als Amigo noch kein Schimpfwort war

Strauß bezeichnete sich selbst einmal als einen "Menschen in seinem Widerspruch". Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in seinem Umfeld auch das glatte Gegenteil eines genießenden Freunderls etwas werden konnte. Ein Mensch, dem alles fehlte, was Strauß auszeichnete, der selbst in den fröhlichsten Runden mit einem Stoß Akten aufkreuzte und als Erfinder des Mineralwassers im Maßkrug in die Geschichte einging. Freilich blieb es der Partei nicht verborgen, dass Strauß ohne einen sich in der Pflicht verzehrenden Arbeiter wie Edmund Stoiber aufgeschmissen gewesen wäre.

Dass einer wie Stoiber in Bayern an die Macht gelangte, zeigt, dass das System Strauß nur mit Strauß funktionieren konnte. Am Beispiel des Strauß-Nachfolgers Max Streibl wurde das für jedermann sichtbar: Streibls Amigo-Affären waren, verglichen mit jenen seines Vorgängers, geradezu lächerlich. Sein Sturz offenbarte jedoch, dass nun ein anderer Wind wehte. In den frühen Jahren der Globalisierung musste Bayern zusehen, dass es den Anschluss nicht verpasste.

Stoiber verfolgte dasselbe Ziel

Um besser agieren zu können, legte Stoiber den alten Sumpf trocken, verfolgte aber weiter Straußens Ziel, den Freistaat an die Spitze der Hochtechnologie zu führen. Sein Ehrgeiz bescherte ihm ein Heer von Zuwanderern aus dem Norden und grandiose Wahlsiege, aber ihm fehlte jenes Gespür für die Grundbefindlichkeit der Bayern, wie es Strauß besaß.

Das konnte Stoiber auch mit seinen Auftritten in der Gebirgsschützenuniform nicht wettmachen. Bei allem Fortschrittseifer, mit dem beide Politiker ihr Land nach oben führen wollten, wurzelte Strauß doch im humanistischen Bildungssystem, das sein Bewusstsein für Traditionen schärfte. Stoiber aber sah in dem Diktum von Laptop und Lederhose bald nur noch den Laptop.

Geblendet vom Erfolg, interessierten ihn Bayerns Wurzeln nur noch peripher. Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und das finanzielle Ausbluten bayerischer Kulturträger hätte der sehr auf die Balance von Erbe und Fortschritt achtende Strauß wohl nicht gewagt.

Stoiber erschütterte das barock-katholische Gerüst des Staatswesens so sehr, dass schließlich, bis dahin undenkbar, ein fränkischer Protestant auf den Stuhl des Ministerpräsidenten rückte. Sicher, die Protestanten hatten Bayern immer stark mitgeformt, sogar drei bayerische Königinnen waren evangelisch. Und doch erschien ein braver Nürnberger Stadtmensch, der im Trachtenanzug fremdelt, als Landesherr undenkbar. Noch dazu einer, dem das operettenhafte Barockbayern fast so fremd ist wie der hinterste Mondkrater.

So betrachtet, markiert der Weg von Strauß zu Beckstein sowohl die letzten Ausläufer des noch relativ homogenen Nachkriegsbayerns mit seinem starken Hang zum Monarchentum hin zu einem aufgeklärten Staatswesen, dessen sich rasant verändernde Strukturen allerdings eine Alleinherrschaft à la CSU immer schwieriger machen - von der Wiederkehr eines Königs ganz zu schweigen.

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