Ein Jahr als Flüchtling in Bayern:"Ich habe Gott jeden Tag dafür gedankt"

Ein Jahr als Flüchtling in Bayern: "Heute kann ich sagen: Ich hatte Glück. Lange sah es danach nicht aus." Im Sommer fährt die Familie mit dem Zug an den Chiemsee.

"Heute kann ich sagen: Ich hatte Glück. Lange sah es danach nicht aus." Im Sommer fährt die Familie mit dem Zug an den Chiemsee.

  • "Die Menschen, die meine Frau und mich umbringen wollen, sind weit weg von Teisendorf" - der Flüchtling Fred Osas blickt zurück auf sein erstes Jahr in Bayern.
  • Es war das erste gute Jahr seit Langem für die Familie, die sonntags in Freilassing in die Kirche geht und gemeinsam mit den Dorfbewohnern einen Christbaum und ein Kripperl aufgebaut hat.

Protokoll: Korbinian Eisenberger

Meine Macheten-Narben sind fast neun Jahre alt, genau wie mein Sohn Lorl. Seit dem Frühjahr geht er in Teisendorf in die Grundschule, die Helfer haben ihm ein Fahrrad geschenkt. Meine Familie und ich, wir wohnen jetzt in Oberbayern. Hier gehen wir sonntags in Freilassing in die Kirche. Manchmal essen wir Schweinsbraten. Die Menschen, die meine Frau und mich umbringen wollen, sind weit weg von Teisendorf. Es war das erste gute Jahr seit Langem.

Frühjahr

Ich heiße Fred Osas und bin 34 Jahre alt. Meine Frau Sera ist 31, unsere Tochter Sophia ist drei, unser Sohn Enoch eins und Lorl ist acht. 2006 sind wir aus Nigeria geflohen, wir waren acht Jahre auf der Flucht. Heute kann ich sagen: Ich hatte Glück. Lange sah es danach nicht aus. Es muss die Autobahn am Brennerpass gewesen sein, auf der uns der Busfahrer Anfang des Jahres über die Grenze nach Bayern bringen wollte. Dort standen Polizisten und nahmen uns die Pässe weg. Ich habe ihnen mit Händen und Füßen erklärt, dass wir ins Flüchtlingscamp wollen. Mein Geld reichte gerade für ein Taxi zur Bayernkaserne nach München.

Die ersten Wochen in Bayern waren nicht so schön. Der Raum mit den Stellbetten erinnerte mich an Italien, wo wir halb erfroren in Lampedusa aus einem überfüllten Schlauchboot kletterten. Schließlich wurden wir in einen Container verfrachtet, wo wir dann wohnten. Verstopfte Toilettenabflüsse, die Heizung leckte, meine Tochter Sophia und mein Sohn Lorl steckten sich damals mit Infektionskrankheiten an. Und ich habe zu Gott gebetet, dass es uns in Deutschland besser ergehen möge.

Es war ein Tag im April, als sie mir in der Bayernkaserne Zugtickets in die Hand drückten. "Teisendorf" stand darauf. Wir hatten unsere Sachen schnell gepackt. Viel war es nicht, ich hatte in Italien fast alles verkauft, um die Reise nach Deutschland bezahlen zu können. Geplant war das eigentlich nicht, ich hatte dort nämlich schon einen Job in einer Fabrik gefunden. Nach zwei Jahren haben sie mich aber wieder entlassen. Beim Betteln traf ich einen Nigerianer, der mir von Deutschland erzählte. Dass dort die Duschen sauber seien und die Klospülung funktioniere. Als wir in Teisendorf vor dem schönen Haus mit den großen Fenstern standen, dachte ich: Er könnte recht haben.

Sommer

Die Sommer hier sind nicht so heiß wie in Nigeria. Aber das macht nichts, weil in der Dreizimmerwohnung, die wir von den Teisendorfern bekommen haben, kann man gut heizen. Alles war für uns vorbereitet. In unserem Haus wohnen noch neun andere Flüchtlinge, die meisten aus Eritrea. Wir haben im Sommer zusammen Bäume gefällt, sind mit den Helfern auf den Hochstaufen gewandert und haben im Chiemsee gebadet.

Und ich habe Gott jeden Tag dafür gedankt, dass er uns hierher zu diesen Menschen geführt hat. Ich bin gläubiger Christ, in unserem Flüchtlingshaus und im Deutschunterricht haben wir ein Kreuz an der Wand hängen. In Bayern sieht man das ja in den meisten Häusern. In Nigeria war das anders. Die Eltern meiner Frau Sera mussten verheimlichen, dass ihre Tochter einen Christen geheiratet hat. Der Clan, in dem Sera lebte, akzeptiert keine fremden Religionen.

Als herauskam, dass ich evangelisch getauft bin, war das mein Todesurteil. Ich kämpfte mit mehreren Männern, einer schlitzte mir mit seiner Machete das rechte Bein auf. Ich rettete mich mit einem Sprung von einem Hausdach. Die Männer folgten meiner schwangeren Frau und mir bis nach Benin. Von dort aus konnten wir nach Liberia entkommen.

Herbst

Im September habe ich in München ein gutes afrikanisches Restaurant entdeckt, es schmeckt dort ein bisschen wie Zuhause in Nigeria. Eigentlich bin ich aber sehr froh, dass meine Familie nicht mehr in München ist. Wir haben natürlich mitgekommen, dass immer mehr Flüchtlinge nach Bayern gekommen sind. Wir wissen, dass wir es gut erwischt haben.

Ich telefoniere ab und zu mit anderen Asylbewerbern, die ich in der Bayernkaserne kennen gelernt habe. Die meisten haben es nicht so gut erwischt wie wir, manche warten immer noch auf eine Unterkunft.

Fast jeden Vormittag lerne ich im Pfarrheim in Teisendorf mit anderen Flüchtlingen Deutsch. Unser Lehrer, Michael Kunz, ist Germanist. Er bringt uns Hochdeutsch bei, aber auf der Straße sprechen einen die Leute in tiefstem Oberbayerisch an. Das macht das Lernen schwieriger. Es dauerte einige Zeit, aber als sich bei uns in Teisendorf das Laub verfärbte, da habe ich langsam begonnen, die komplexe deutsche Grammatik zu begreifen.

Winter

Im November beginnt in Nigeria die Trockenzeit. Dort wo ich herkomme hat es jetzt schon mal 40 Grad im Schatten. Wir sind Hitze gewöhnt. Das ist hilfreich, wenn man auf der Ladefläche eines Lastwagens durch die Wüste gekarrt wird. Dort waren wir plötzlich von bewaffneten Wüstenräubern umzingelt. Ich war vorbereitet, konnte meine Familie mit Geld auslösen. Fünf Männer hatten kein Geld dabei und wurden aus dem Wagen gezerrt. Hinter den Dünen hörten wir nur noch die Schüsse.

Jetzt sitzen wir hier im Warmen. Wenn uns Schulfreunde von Lorl oder deren Eltern besuchen, dann ist es ihnen bei uns in der Wohnung manchmal sogar etwas zu heiß. Wenn wir vor die Tür gehen dann ist es zwar kalt, aber uns winken Menschen über die Straße hinweg zu oder sie sagen "Griaß God" zu uns, denn mittlerweile kennt uns in Teisendorf jeder. In Italien kannte mich praktisch niemand. Wenn wir in Nigeria geblieben wären, hätten sie uns umgebracht. Umso schöner ist es, hier sein zu können.

Im Dezember haben wir in Teisendorf Enochs ersten Geburtstag gefeiert und gemeinsam mit den Dorfbewohnern einen Christbaum und ein Kripperl aufgebaut.

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