Cum-Ex-Geschäfte:Bayern fordert Hunderte Millionen Euro aus dubiosen Aktiendeals zurück

Finanzministerium

Der Schriftzug "Finanzen" steht am Bundesministerium für Finanzen.

(Foto: dpa)
  • Beim Handel von Aktien hatten bis 2012 große Gesetzeslücken bestanden. Das machte es Banken, Kapitalanlagefonds und Börsenhändlern möglich, sich mehr Steuern erstatten zu lassen, als zuvor überhaupt gezahlt worden waren.
  • Den in Bayern entstandenen Schaden beziffert das Finanzministerium mit mindestens 773 Millionen Euro.
  • Wer den Fiskus hintergangen hat, teilen die Behörden wegen des Steuergeheimnisses nicht mit.

Von Klaus Ott

773 Millionen Euro sind auch für den wohlhabenden Freistaat eine Menge Geld. Damit ließen sich ein ganzes Jahr lang Landtag, Rechnungshof und Verfassungsschutz finanzieren sowie das Blinden- und das Landeserziehungsgeld bezahlen. Zudem könnte die Staatsregierung ihre Ausgaben für Natur- und Verbraucherschutz bestreiten, für Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung, für den Katastrophenschutz und die Dorferneuerung und die Anpassung der Wälder an den Klimawandel. Alles wichtige Dinge. Und dann wären sogar noch etwa 50 Millionen übrig.

Diverse Banken, Finanzmanager und Börsenhändler haben den Fiskus jahrelang mit fragwürdigen, wenn nicht gar betrügerischen Aktiengeschäften hintergangen. Die Schadenssumme beläuft sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung und des Bayerischen Rundfunks auf eben jene 773 Millionen Euro - mindestens. Es handelt sich um eine offizielle Zahl des Finanzministeriums zum größten Steuerraubzug in Deutschland, der mit sperrigen Begriffen wie Cum-Ex verbunden ist und sich auch im Freistaat abspielte.

Banken und deren Kompagnons haben bei bestimmten Börsendeals die eigentlich fälligen Steuern vermieden. Oder gar in die Staatskasse gegriffen, indem sie sich von den trickreich getäuschten Finanzbehörden eine nur einmal gezahlte Steuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten ließen. Staatsanwälte in München und anderswo ermitteln. Inzwischen schlägt der Fiskus zurück, auch in Bayern, und hat 134 Millionen Euro wieder eingetrieben. 37 Millionen Euro wurden ebenfalls bereits in Rechnung gestellt, aber noch nicht bezahlt, da dieser Betrag laut Finanzministerium "Gegenstand eines laufenden Insolvenzverfahrens" ist.

Nach Auskunft des Ministeriums werden voraussichtlich noch in diesem Jahr weitere 352 Millionen Euro per Bescheid zurückgefordert. Vollständig offen sind demnach noch 250 Millionen Euro, um die sich der Fiskus ebenfalls noch bemühen wird. Unterm Strich fehlt also noch ein großer Betrag in der Landeskasse, fast 640 Millionen Euro. Das ist eine Summe, mit der sich der Landtag fast eine ganze Wahlperiode finanzieren ließe, immerhin fünf Jahre lang.

Wer da alles den Fiskus hintergangen hat, teilt des Finanzministerium wegen des Steuergeheimnisses nicht mit. Bekannt ist aber, dass die in München ansässige Hypo-Vereinsbank (HVB) als erstes Geldinstitut reinen Tisch gemacht und einen großen Betrag zurückerstattet hat. Mit einer Razzia fast auf den Tag genau vor sechs Jahren bei der HVB hatte die Aufklärung des Steuerskandals begonnen.

Schwacher Trost: Bayern LB ist nicht in den Skandal verwickelt

Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende hatten bis 2012 in Deutschland große Gesetzeslücken bestanden. Das machte es Banken, Kapitalanlagefonds und Börsenhändlern möglich, sich mehr Steuern erstatten zu lassen, als zuvor überhaupt gezahlt worden waren. In Bayern gibt es 21 Fälle, in denen sich laut Finanzministerium der Verdacht auf Cum-Ex-Gestaltungen erhärtet hat. Staatsanwälte und Steuerfahnder betrachten solche Aktiendeals als kriminell. Die Gesetzeslücke habe den Griff in die Staatskasse zwar ermöglicht, aber nicht erlaubt.

Davon zu unterscheiden sind sogenannte Cum-Cum-Geschäfte, die dazu dienten, dem Staat Steuern auf Dividenden vorzuenthalten. Das gilt bei den Behörden nicht als kriminell, aber unter bestimmten Bedingungen gleichwohl als unzulässig. Dem Finanzministerium zufolge hat sich bei acht Fällen in Bayern der Verdacht auf Cum-Cum-Gestaltungen erhärtet. Der Steuerschaden wird dabei auf 114 Millionen Euro geschätzt, während es bei Cum-Ex 659 Millionen Euro sind. Das sind zusammen die besagten 773 Millionen Euro und gibt den Stand der Dinge zum 30. Juni 2018 wieder. Aufgrund laufender Ermittlungen seien weitere Fälle möglich, erklärte das Ministerium.

In Behördenkreisen gilt die Dunkelziffer als groß. Der Schaden für den Freistaat könnte also noch deutlich höher ausfallen und die Milliardengrenze übersteigen. Wie in Hessen und in Nordrhein-Westfalen bereits geschehen, den beiden anderen Cum-Ex-Schwerpunkten in Deutschland. Bundesweit werden Verdachtsfälle im Umfang von mehr als fünf Milliarden Euro verfolgt. In Bayern hatte der Fiskus im Jahr 2015 eine Sondereinheit vom Finanzamt München gebildet, um Cum-Ex-Geschäfte zu Lasten der Staatskasse zu untersuchen. Das war ziemlich spät. Bereits 2009 hatten erste alarmierende Hinweise das Bundesfinanzministerium erreicht und waren von dort an die Länder weitergereicht worden. 2012 hatten sich Steuerbeamte aus ganz Deutschland über Cum-Ex ausgetauscht, und darüber, was nun zu tun sei.

Ein Trost bleibt dem Freistaat. Die landeseigene Bayern LB ist nach bisherigen Erkenntnissen nicht in den Skandal verwickelt. Die Landesbanken in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen sowie Hamburg und Schleswig-Holstein stehen unter Cum-Ex-Verdacht.

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