CSU:Was wäre, wenn das Undenkbare geschieht

Natürlich weiß niemand, was am Wahlabend passiert - aber darüber nachsinnen wird man doch mal dürfen.

Katja Auer und Kassian Stroh

Wahlforscher haben es leicht. "Eine Prognose für den tatsächlichen Wahlausgang ist nicht möglich", ließ noch am Freitag die Forschungsgruppe Wahlen wissen. Zu viele Wähler unentschlossen, zu viele desinteressiert. Das heißt aber nicht, dass sich die Politiker nicht schon Gedanken machen für den Wahlsonntag und die Zeit danach. Für alle Fälle, und davon gibt es drei. Die sehen so aus:

CSU: Vielleicht haben Ministerpräsident Beckstein und CSU-Chef Huber Glück und sie erreichen ihr Ergebnis von 50 Prozent plus X.

Vielleicht haben Ministerpräsident Beckstein und CSU-Chef Huber Glück und sie erreichen ihr Ergebnis von 50 Prozent plus X.

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Variante I: Alles bleibt - nur ein bisschen anders

Um die CSU wieder in alte politische Glückseligkeit zu versetzen, braucht es am 28. September ein Ergebnis von 50 Prozent plus ein dickes X. Zum Beispiel wären 52,4 Prozent ein Ergebnis, an dem eigentlich keiner herummeckern könnte. Edmund Stoiber, 66, nicht - der Mythos der CSU bliebe am Leben, trotzdem bliebe Stoiber mit seinem Ergebnis von 2003 (60,7 Prozent) der größte Wahlkämpfer aller Zeiten.

Parteivize Horst Seehofer, 59, nicht, weil das CSU-Führungsduo die von ihm eingeforderte "Legitimation" erlangt hätte. Und Georg Schmid, 55, nicht, weil er dann unzählige Weinflaschen und Abendessen gewonnen hätte. Vor Optimismus nur so strotzend hat der Chef der CSU-Landtagsfraktion jedem in die Hand versprochen: Die CSU werde 52,4 Prozent holen, die Wette gilt.

CSU-Chef Erwin Huber, 62, und Ministerpräsident Günther Beckstein, 64, dürfte mit 50 plus X die Last des ganzen Wahlkampfs von der schwarzen Seele fallen. Dann hätten sie bewiesen, dass es keinen Stoiber braucht, um die absolute Mehrheit zu bewahren. Kritiker müssten verstummen, die Ämter von Beckstein und Huber wären zunächst gerettet. Treffen könnte es andere. Denn nach der Zitterpartie der vergangenen Wochen müsste Beckstein mit einer großen Kabinettsumbildung beweisen, dass er noch Gestaltungskraft hat, fordern führende Christsoziale.

Das Kabinett soll am 22. Oktober vereidigt werden. Die Frage "Wer wird was?" beschäftigt die CSU bereits jetzt, wenngleich deutlich leiser als sonst. Es ist angekommen, dass der Bürger etwas mehr Demut und etwas weniger Postengeschacher wünscht. Also werden eher im Stillen Alter und Geschlecht, natürlich der in der CSU heilige Regionalproporz und manchmal auch die fachliche Eignung von Kandidaten abgewogen.

Finanzminister Huber bliebe bei einem 50-plus-X-Ergebnis im bayerischen Kabinett, er wird ja erst 2009 nach Berlin wechseln - am liebsten als Bundesfinanzminister. Als sein Nachfolger steht dann Finanzstaatssekretär Georg Fahrenschon, 40, bereit. Um die von vielen geforderte Kabinettsverjüngung anzugehen, könnte Beckstein ein paar ältere Semester in den Ruhestand schicken: Sozialministerin Christa Stewens, 63, beispielsweise, allerdings ist die auch stellvertretende Ministerpräsidentin.

Angeblich läuft sich für ihren Job bereits Beate Merk, 51, warm. Sie kümmert sich schon als Justizministerin um soziale Belange und weitete - in der CSU umstritten - die Sozialtherapie für jugendliche Straftäter aus.

Auch Agrarminister Josef Miller, 61, wäre bei einer großen Kabinettsumbildung schwer gefährdet. In der CSU wird auch nicht ausgeschlossen, dass Beckstein doch noch seine Ressorts neu ordnet und aus dem Agrarministerium ein Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung macht. Da wäre ein Wechsel an der Spitze unabdingbar.

Der jetzige Wirtschaftsstaatssekretär Markus Sackmann, 47, könnte das vielleicht übernehmen, eher noch der Chef der CSU-Europagruppe, Markus Ferber, 43. Der allerdings ist in der CSU-Landtagsfraktion wegen seines ausgeprägten Selbstbewusstseins unbeliebt, und Fraktionschef Schmid dürfte seinen ganzen Einfluss geltend machen, den schwäbischen Rivalen zu verhindern.

Auch Wissenschaftsminister Thomas Goppel, 61, könnte bei einer Umgestaltung des Ministerrats leer ausgehen. Auf seinen Posten drängt der Münchner Ludwig Spaenle, 47, der dem Wissenschaftsausschuss im Landtag vorsitzt. Er könnte aber nur Minister werden, wenn Beckstein zwei Münchner beruft. Denn der CSU in der Landeshauptstadt sitzt Umweltminister Otmar Bernhard, 61, vor - er will bleiben, und als CSU-Bezirkschef kann Beckstein ihn nicht ohne weiteres übergehen.

Qua Alter gefährdet ist auch Staatskanzleichef Eberhard Sinner - mit beinahe 64 Jahren ist er nach Beckstein das zweitälteste Kabinettsmitglied. Allerdings ist er dort auch der einzige Unterfranke, was wiederum für seinen Verbleib spricht. Im Amt bleiben dürften Innenminister Joachim Herrmann, 52, und Kultusminister Siegfried Schneider, 52; Europaminister Markus Söder, 41, empfiehlt sich ohnehin für alle Ämter.

An Wirtschaftsministerin Emilia Müller, 56, gibt es zwar viel Kritik in den Reihen der CSU, als CSU-Bezirksvorsitzende in der Oberpfalz und Chefin der Frauen-Union wird sie aber wohl im Kabinett bleiben.

Lesen Sie, was geschehen würde, wenn die CSU unter die magische Marke von 50 Prozent rutscht, die Mehrheit der Sitze im Parlament behält.

Was wäre, wenn das Undenkbare geschieht

Variante II: Alles gut - aber gut genug?

CSU: Sollten beide das Wahlziel nicht erreichen, würde der Druck auf Huber und Beckstein wachsen. Ob sie dem stanhalten könnten, ist fraglich.

Sollten beide das Wahlziel nicht erreichen, würde der Druck auf Huber und Beckstein wachsen. Ob sie dem stanhalten könnten, ist fraglich.

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Je nachdem, wie viele Parteien in den Landtag einziehen werden, kann der CSU auch ein Ergebnis von weniger als 50 Prozent reichen, um weiter alleine regieren zu können. Gleichwohl wäre die Führung massiv beschädigt, hat doch die CSU ihren selbst beschworenen "Mythos" und ihr Selbstverständnis als bundesweit bedeutende Partei stets an die 50er-Marke geknüpft. Verfehlt sie diese, dürften noch am Wahlabend die Debatten über einen Führungswechsel entbrennen.

Die offene Frage ist: Wird der Druck auf Huber und Beckstein so groß, dass einer oder beide gehen müssen? Auf solche Fragen antworten CSU-Spitzenvertreter derzeit gerne mit der unwiderlegbaren, gleichwohl recht nichtssagenden Faustformel: Je niedriger das Ergebnis, desto höher der Druck.

Sollte sich Beckstein im Amt halten, wäre die Regierungsbildung verhältnismäßig unkompliziert. Da die CSU hierfür auf niemanden Rücksicht nehmen muss, gelten alle vorher beschriebenen Voraussetzungen, nur dass der Ruf nach einer weitreichenden Umbesetzung samt Verjüngung deutlich lauter wäre.

Zumal von Beckstein erwartet würde, sich einen Nachfolger aufzubauen, um seinen Rückzug in einigen Jahren vorzubereiten.

Gefährdeter als der Ministerpräsident wäre ohnehin Huber. Wie der Wahlkampf gezeigt hat, kommt der Parteichef an der Basis schlecht an. Auch stehen 2009 die Europa- und die Bundestagswahl an, bei denen es für die CSU um viel geht, zumal sie bei einem schlechten Wahlergebnis sogar ganz aus dem EU-Parlament fallen könnte. Das dürfte den Druck, schnell zu handeln und Horst Seehofer zum Parteichef zu machen, weiter erhöhen. Er ist der einzige, der für dieses Amt in Frage käme.

Dass Huber von sich aus hinschmeißt, liegt nicht in seiner Natur - weil er machtbewusst ist und die Konfrontation suchen würde. Für eine Rebellion gegen ihn bräuchte es einen oder mehrere Anführer aus der engeren Parteiführung, also aus dem Kreis der vier Stellvertreter, der zehn CSU-Bezirksvorsitzenden oder den Chefs der großen Arbeitsgemeinschaften wie der Jungen Union oder der Frauen-Union. In diesen Kreisen finden sich ein paar wenige, denen dies zuzutrauen wäre.

Wenn sie sich verbünden und Huber zum Rücktritt drängen, wäre auch ein schneller Wechsel an der Parteispitze möglich - abgesegnet von einem Sonderparteitag Anfang 2009. Dass Huber dann Finanzminister bleiben könnte, ist fraglich, sein Wechsel 2009 nach Berlin ausgeschlossen, sein Ausstieg aus der Politik nicht unwahrscheinlich.

Interessant ist, dass sich für diese Variante II seit Wochen zwei Lager in der CSU formieren. Das eine argumentiert, auch ein Ergebnis von weniger als 50 Prozent sei ein Erfolg, so lange die CSU weiter alleine regieren könne. Huber und Beckstein könnten also bleiben. So sieht das beispielsweise Ex-CSU-Chef Theo Waigel, von dem sich Huber regelmäßig Rat holt.

Die Gegenseite wird angeführt von Seehofer, der die 50 Prozent als "existenziell" für die CSU bezeichnet, und von Stoiber: "Die 50 Prozent müssen sie schaffen". Wenn also am Wahlabend die Debatten losbrechen sollten, ob 48 Prozent gut oder nicht gut genug sind, dann könnte es - Ironie der Geschichte - zu einem späten, finalen Kampf zwischen den beiden Dauerrivalen Waigel und Stoiber kommen.

Mit dem CSU-Chef müsste auch Christine Haderthauer, 45, gehen, die Huber unbedingt als Generalsekretärin haben wollte - gegen den Widerstand vieler CSU-Granden und auch Becksteins. Sie wird in jedem Fall für ein schlechtes Wahlergebnis verantwortlich gemacht werden; schließlich ist es die wichtigste Aufgabe einer Generalsekretärin, Wahlkämpfe zu organisieren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Bayerns Politik verändern würde, wenn die CSU die absolute Mehrheit im Landtag verlieren würde.

Was wäre, wenn das Undenkbare geschieht

CSU: Wenn die CSU die Mehrheit der Mandate verfehlen sollte, ist nicht auszuschließen, dass Beckstein rasch seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklärt.

Wenn die CSU die Mehrheit der Mandate verfehlen sollte, ist nicht auszuschließen, dass Beckstein rasch seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklärt.

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Variante III: Alles kracht zusammen

Es wäre "das Schlimmste, was passieren kann", sagt Stoiber: Die CSU verliert nicht nur die absolute Mehrheit der Stimmen, sie holt nicht einmal mehr jene 91 Mandate, die für eine Mehrheit im Landtag nötig sind. Somit bräuchte sie zum ersten Mal seit 1962 einen Koalitionspartner, wollte sie weiter regieren. Es wäre bis vor kurzem noch unvorstellbar gewesen, es wäre die Zeitenwende - doch völlig unrealistisch ist es nicht: Kämen in den neuen Landtag sechs Parteien und die CSU auf 47 Prozent oder weniger, wäre ihre Regierungsmehrheit wohl dahin.

Was dann passiert, ist wegen der Einmaligkeit der Situation schwer zu prognostizieren. Klar ist: Das CSU-Tandem aus Beckstein und Huber wäre erledigt. Nicht auszuschließen, dass im Schock darüber noch am Wahlabend einer oder beide ihren Rücktritt erklären - Beckstein wohl eher noch als Huber. Halten könnte sich aber auch letzterer nicht. In der CSU würden sofort die Stimmen laut, die einen kompletten Neuanfang fordern. Dann würde Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer neuer Parteivorsitzender.

Er müsste Koalitionsgespräche führen. Denn eine Koalition aller anderen Parteien gegen die CSU wird es nicht geben: Zum einen hat SPD-Fraktionschef Franz Maget eine Kooperation mit der Linkspartei ausgeschlossen - sie wäre nur theoretisch denkbar, wenn es auch bei der SPD einen Führungswechsel gäbe. Zudem lehnt die FDP eine solche Vier- oder Fünf-Parteien-Koalition unmissverständlich ab. Somit bleibt nur eine Koalition mit der CSU: Denkbar wären als Partner die FDP, die Freien Wähler (FW) oder die SPD.

Am wahrscheinlichsten ist eine Koalition mit der FDP, die das schon deutlich angeboten hat. Die Liberalen würden dann wohl zwei Ressorts beanspruchen und könnten zum Beispiel Wirtschaft und Justiz bekommen. So könnte FDP-Spitzenkandidat Martin Zeil, 51, Wirtschaftsminister werden, für Justiz käme zum Beispiel der Passauer FDP-Bundestagsabgeordnete Max Stadler, 59, in Frage. Nach 14 Jahren landespolitischer Absenz hat die FDP praktisch kein Reservoir ministrabler Personen, aus dem sie schöpfen kann.

Dass FDP-Landeschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ins Kabinett geht, ist unwahrscheinlich - allenfalls für das gewichtige Innenministerium, das die CSU aber wohl niemals hergäbe.

Nicht generell auszuschließen ist auch eine Koalition der CSU mit den Freien Wählern - die sind ähnlich konservativ wie die CSU. Allerdings sprechen zwei Dinge dagegen: Zum einen ist die wichtigste Forderung der Freien, man müsse die CSU schwächen - was eine Koalition nicht gerade vereinfacht. Zum anderen ist abzusehen, dass die FW-Fraktion im Landtag eine ziemlich heterogene Truppe wird, die weder durch eine straffe Parteiorganisation noch ein klares Programm zusammengehalten wird.

Ebenfalls nicht auszuschließen wäre eine Koalition der CSU mit der SPD. Die programmatischen Differenzen sind nicht unüberwindbar - schon immer war die CSU viel sozialdemokratischer als die CDU (sie wäre es umso mehr unter einem Vorsitzenden Seehofer). Auch hätte das für die SPD den Charme, nach 51 Jahren in der Opposition Regierungsfähigkeit demonstrieren und somit einen Konsolidierungsprozess einleiten zu können.

Da es in der CSU für den Regierungschef, anders als beim Parteivorsitz, keinen geborenen Nachfolger gibt, sind zwei Varianten im Gespräch: CSU-Vorsitz und Ministerpräsident werden wieder in einer Person vereint, und zwar in Seehofer. Zwar gäbe es einen Aufschrei in der CSU-Landtagsfraktion, die den Ministerpräsidenten wählt und Seehofer nicht leiden kann. Der aber könnte fordern: beides oder gar nichts. Dann würde die Partei so viel Druck auf die Fraktion ausüben, dass diese gar nicht anders könnte, als Seehofer zu akzeptieren.

Zweite und wahrscheinlichere Variante: Man einigt sich auf ein Prozedere, wie und wann ein Nachfolger bestimmt wird; so lange bleibt Beckstein als Übergangslösung. Dann werden sich mehrere Männer bewerben: Für fähig halten sich Innenminister Herrmann, Fraktionschef Schmid und Europaminister Söder. Auf dem Papier wäre auch Siegfried Schneider eine Alternative, Kultusminister und Chef des mächtigsten CSU-Bezirks Oberbayern. Der Verlust der absoluten Mehrheit ginge aber mit so massiven Stimmeneinbrüchen in Oberbayern einher, dass er um den Bezirksvorsitz kämpfen müsste.

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