Politik und Religion:Die CSU und ihr kompliziertes Verhältnis zur Kirche

Politik und Religion: "Ich bin gläubig": Ministerpräsident Markus Söder 2018 in der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild in Ziemetshausen.

"Ich bin gläubig": Ministerpräsident Markus Söder 2018 in der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild in Ziemetshausen.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Markus Söder und seine Partei inszenieren sich gerne als Hüter christlicher Werte, auch um gläubige Wähler zu umgarnen. Mit den Kirchenoberen hingegen gibt es immer wieder Querelen - wie der Streit um den Kreuzerlass zeigt.

Von Andreas Glas

Wie er da steht, schaut er selbst aus wie ein Prediger. Markus Söder lässt seine Faust durch die Luft fahren, immer wieder. "Ohne Kirche wäre unser Land ärmer. Und deswegen brauchen wir auch die Kirche", ruft Söder (CSU) den Protestanten zu, die am Pfingstmontag den Bayerischen Kirchentag feiern, auf dem Hesselberg in Mittelfranken. Aha, der Ministerpräsident legt ein Glaubensbekenntnis ab. Wie drei Tage vorher schon, bei der Eröffnung eines Museums für die umstrittene Volksheilige Resl von Konnersreuth. In der Oberpfalz sprach Söder über die "Krise der Kirche". Er sagte aber auch, fast trotzig: "Ich bin gläubig."

Die CSU und die Kirche, eine komplizierte Beziehungskiste, daran hat gerade das Urteil zu Söders Kreuzerlass erinnert. Das 2018 von Söders Kabinett verordnete Behördenkreuz verstoße "gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit", fanden Religionskritiker, klagten beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof - und sind nach einem Urteil vergangene Woche vorerst gescheitert.

Wenn man so will, ist das Urteil für Söder auch ein Triumph über die Kirchen, die sich im Frühjahr 2018 gegen den Kreuzerlass positionierten - und damit gegen die CSU. Der Erlass fördere "Spaltung, Unruhe und Gegeneinander", schimpfte Münchens Kardinal Reinhard Marx. Markus Blume, damals CSU-General, keilte zurück, dass sich seine Partei zu christlichen Werten "oftmals offensiver" bekenne als die Kirche selbst.

Wer das im Kopf hat, dem kommt es vor wie ein Friedensangebot, dass CSU-Chef Söder sich aktuell so demonstrativ zur Kirche bekennt. Alles wieder gut in der Beziehungskiste? Na ja.

"Wir sind die Christlich-Soziale Union, CSU - und nicht die kirchlich-soziale Union, KSU", sagte Söder im Februar in einem Zeit-Interview. Seiner Partei hat er damit eine Faustregel verpasst: So viel Nähe wie möglich zum Kirchenvolk, so viel Distanz wie möglich zu den Kirchenoberen und deren Umgang mit den Missbrauchsskandalen. Affären und Affärchen hat die CSU selbst genug, man denke an die Maskendeals oder den Rücktritt von Stephan Mayer als Generalsekretär, nachdem er einem Reporter gedroht hatte, ihn wegen einer Story über sein Privatleben zu "vernichten".

Söder betont, wie "katholisch" sein Personal sei

Dass Söder jenen Herrn Mayer kurz vorher als christlich-konservativen Vorzeigepolitiker skizziert hatte, ist sicher erwähnenswert im Rahmen einer Bestandsaufnahme zur Beziehung von Kirche und CSU, die beide nicht immer glaubhaft für die Werte stehen, die sie offiziell vertreten. Wenn Söder betont, wie "katholisch" sein Personal sei, zeigt das jedenfalls, wie wichtig dieses Etikett für die Partei immer noch ist - erst recht jetzt, da die CSU wieder stärker um ihr konservatives Kernklientel buhlt, das doch sehr gefremdelt hat mit dem Grüne-Mitte-Kurs, den Söder gerade korrigiert, wegen Erfolglosigkeit.

In Kirchenfragen probt die CSU also einen Balanceakt aus Nähe und Distanz. Die Söder-Auftritte am Hesselberg oder in Konnersreuth sind keine Ausnahmen, aber auch nicht die Regel. Zum Katholikentag in Stuttgart, Mitte Mai, reisten weder CDU-Chef Friedrich Merz noch CSU-Chef Söder, was das Kölner Domradio als "Ausdruck einer gewachsenen Distanz zwischen Union und Kirche(n)" wertete. Im Fall der CSU hatte diese Distanz zeitweise ein kritisches Maß erreicht, nicht nur wegen des Kreuzerlasses. Im Sommer 2018 empörten sich reihenweise Kirchenleute über die Flüchtlingspolitik der Partei. "Wahlkampf als Wettbewerb in Asylverhinderung", blaffte Bambergs Domkapitular Peter Wünsche. Und Kölns Erzbischof Rainer Maria Woelki lästerte über Politiker, die "eiskalt und selbstverliebt" seien, aber "ihre Partei sozial und christlich nennen". Die Grüße an Markus Söder musste sich da niemand dazu denken. Dabei war der Protestant Söder zuvor noch demonstrativ zum Papst nach Rom geflogen, zu beiden Päpsten genauer gesagt, auch wenn er sich hernach nicht entlocken ließ, wie Franziskus den Kreuzerlass bewertet habe. Benedikt XVI. habe ihn gutgeheißen.

Im Januar 2022 kam dann ein Gutachten auf den Tisch, zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Erzbistum München und Freising. Diesmal war es die CSU, die giftige Grüße an die katholische Kirche schickte. Bei einem Auftritt in der Münchner Parteizentrale hatte man die Gelegenheit, den doppelten Söder zu erleben. Zuerst bekam man den kirchenvolksnahen Söder präsentiert, "ein schwerer Moment", sagte er, für "alle Anhänger der Institution Kirche". Sekunden später ging Söder auf Abstand und nahm die Kirchenoberen in die Pflicht, den Missbrauch "nicht irgendwann, sondern jetzt" aufzuarbeiten, um nicht noch "diejenigen zu diskreditieren", die sich zur Kirche bekennen. Ihr da oben, wir da unten. Hier die Institution, da die Gläubigen. Es ist offenkundig, wo Söder die CSU verortet.

Trotz aller Distanz ist das Verhältnis zwischen CSU und Kirche aber entspannter als es schon mal war. Das habe mit dem eigenen Kurswechsel zu tun, heißt es in der CSU. Beim Thema Migration sei zwischenzeitlich der Eindruck entstanden, "wir stehen auf der dunklen Seite der Macht", das hat Söder längst selbstkritisch eingeräumt. Über die Sache mit dem Kreuz äußert er sich heute ebenfalls nicht mehr so begeistert wie damals. Auch dass Söder eine Weile fast nur noch über Klimaschutz sprach, hat die Kirche aus CSU-Sicht wieder versöhnlicher gestimmt. Spricht Söder übers Klima, spricht er ja fast immer über die "Bewahrung der Schöpfung".

Das Verhältnis sei "immer kritisch-konstruktiv" gewesen

Kein Beziehungskiller, aber eine Belastung war die Pandemie. Erst untersagte Söder als Ministerpräsident die Ostergottesdienste, später schrieb die CSU vier verkaufsoffene Sonntage in ihr Bundestagswahlprogramm, was mehrere Kirchenverbände zu Protesten vor die Parteizentrale trieb. Nachhaltig habe Corona aber "keinen Riss" hinterlassen, sagt der neue CSU-Generalsekretär Martin Huber. Überhaupt sei das Verhältnis zwischen CSU und Kirche "immer kritisch-konstruktiv" gewesen. Sicher, früher warben Pfarrer in ihren Predigten dafür, das Kreuz bei der CSU zu machen. Aber, da hat Huber recht: Schon Franz Josef Strauß stritt mit Bischöfen, zum Beispiel über die Atomkraft. Und über die bayerische Migrationspolitik schimpfte die Kirche auch in den Neunzigerjahren, als der Innenminister Günther Beckstein hieß.

Aktuell gibt es vor allem ein politisches Thema, das die Kirche berührt: den oft als "Werbeverbot" für Abtreibungen bezeichneten Paragrafen 219a. Die Bundesregierung möchte ihn streichen, die CSU ist dagegen. "Das christliche Wertefundament ist auch unser Wertefundament", sagt Generalsekretär Huber, ganz grundsätzlich. Doch selbst in Kirchenkreisen sprechen sich manche für die Abschaffung des Paragrafen 219a aus, etwa der Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Die CSU hat das registriert. Ein Wahlkampfthema? Eher nicht. Zu heikel.

In der Gesellschaft gebe es "eine diffuse Sehnsucht nach Werten", sagt Huber. "Die Herausforderung für die Kirche ist es, diese Sehnsucht wieder zu erfüllen." Bis es so weit ist, kümmert sich die CSU um die Gottesgläubigen, so klingt das ein bisschen.

Dass die Kirchenaustritte rasant zunehmen? Löst bei den CSU-Parteistrategen keine Existenzängste aus. Nicht, solange es Umfragen gibt, in denen die Hälfte der Menschen angibt, an Gott zu glauben. Oder ein Drittel sagt, dass Religion wichtig sei. Für eine Partei, die sich christlich-sozial nennt, ist das immer noch ein gewaltiges Reservoir - und im Herbst 2023 ist Landtagswahl. Das eine oder andere Glaubensbekenntnis ist da sicher kein Schaden für die CSU.

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