CSU-Parteitag in München:Der bayerische Löwe zittert

Früher marschierte die CSU voran - jetzt läuft sie Stimmungen hinterher. Am Parteitag in München zeigt sich deutlich: Die Christsozialen, einst Hort der Konservativen, sind tief verunsichert. Daher auch die Sehnsucht nach einem Erlöser.

A. Ramelsberger

Die CSU ist immer sehr gut, wenn es um Maskerade geht. Wenn ihre Anführer tief zerstritten sind, werden auf der Parteitagsbühne Freundschaftsrituale zelebriert. Wenn den Delegierten das Herz in die Hose sackt, applaudieren sie ihren Anführern, so als wollten sie sich selbst Mut einflößen.

CSU-Parteitag

Liebling hinter dem Parteichef: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und CSU-Chef Horst Seehofer auf dem Parteitag in München.

(Foto: dapd)

Und wenn ein Parteichef wackelt, dann machen seine Parteifreunde schon mal ausgiebig Fotos mit der Handykamera von ihm - so wie Bayerns Justizministerin Beate Merk, die von Horst Seehofer kurz vor dem Parteitag Fotos macht wie andere Frauen von einem Popstar. Oder sind es schon Erinnerungsfotos?

Es gibt einige Bilder, die auf diesem Parteitag vieldeutigen Charakter haben. Parteichef Seehofer zum Beispiel hat sich in der ersten Reihe der Delegierten niedergelassen und in den Bayernkurier vertieft, auch der eine Institution auf wackeligem Grund, von der Zeit übergangen, der allen Ernstes per Flyer auf dem Parteitag eine Lesereise ins "russisch besetzte Ostpreußen" anbietet. Hinter Seehofer und dem Bayernkurier verteilt der neue Liebling der Partei, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Küsschen an seine Ministerkolleginnen Ilse Aigner aus Berlin und Emilia Müller aus Bayern.

Der Parteichef steht gar nicht zur Wahl auf diesem Parteitag, und dennoch wird jede Äußerung, jede Geste von ihm oder Guttenberg auf Rivalität abgeklopft. Beide versichern sich immer wieder ihrer gegenseitigen Achtung, dass sie sich nicht beschädigen wollten. Als wenn es nur um die beiden ginge. Als wenn eine einzige Leitfigur das Schicksal der CSU entscheiden könnte. Als wenn der CSU nicht viel Wesentlicheres fehlen würde: der Inhalt, das Rückgrat.

Generalsekretär Alexander Dobrindt versucht, das zu überspielen: "Wir sind nicht nur Partei", sagt er zum Auftakt. "Wir sind echte Bürgerbewegung." Mit einem Reformparteitag, wie ihn die Partei noch nie gesehen habe, wolle man das beweisen. Mehr Beteiligung der Basis. Mehr Frauen. Mehr Internet. Doch das klingt seltsam hohl.

Die Reformen wirken wie Schminke auf einem Gesicht, das den Ausdruck verloren hat. "Ich bin guten Mutes, dass wir einen Parteitag hinlegen werden, der die ganze Partei richtig in Schwung hält und in einen Steigflug bringt", sagt auch Seehofer wie zur Beschwörung. "Über Wahlen reden wir, wenn sie anstehen", meint er nur kurz zu den Lobpreisungen auf Guttenberg und den Zweifeln an seiner Führungskraft. "Was bin ich alles gefragt worden zu Umfragen, zu Personen oder zu Angst."

Bis in die Knochen verunsichert

Er habe keine Angst vor Nachfolgediskussionen. "Die werden sicher noch viele Wochen und Monate anhalten." Sie werden anhalten, wie auch die Suche nach den Inhalten der CSU anhalten wird. Denn die Jubelgesänge für den angebeteten Hoffnungsträger Guttenberg machen die Hilflosigkeit der Partei nur noch deutlicher.

CSU-Parteitag

Im Bayernkurier vertieft: Horst Seehofer mit CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär.

(Foto: dapd)

Es geht bei der CSU nicht um ein bisschen Auffrischung. Es geht um viel mehr. Die Partei hat sich seit ihrer historischen Niederlage bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst 2008, als sie auf 43,3 Prozent abgestürzt war, nicht wieder erholt. Im Gegenteil, auch wenn sich äußerlich vieles gefügt hat, es scheint, als habe die Partei mit ihrer absoluten Mehrheit auch ihre Seele verloren. Der CSU, die früher fast blind verstand, was der Wähler in Bayern wollte, ist der Instinkt abhanden gekommen. Sie weiß nicht mehr, wofür sie steht, für was sie eintreten soll. Der Erlöser soll zeigen, wohin es geht.

Die CSU, die jahrzehntelang als Hort des Konservativen galt, ist bis in die Knochen verunsichert. Es ist keine zehn Tage her, da saß CSU-Chef Seehofer in seiner Staatskanzlei und diskutierte mit Bürgern. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, grinste ein wenig schief und brachte dann ein Beispiel, das symptomatisch ist für die verlorene Orientierung der CSU: das Rauchverbot. "Die CSU ist ja hier für alles gestanden, was man sich nur vorstellen kann", sagte Seehofer. Es klang selbstironisch, Seehofer war gut gelaunt, doch er bevorzugt die morbide Variante des Humors. Seehofer selbst wollte beim Rauchverbot keine Entscheidung treffen, am Ende überließ die CSU das Urteil dem Volk. So etwas hätte es früher nicht gegeben.

Die CSU geht nicht mehr voran, sie wartet, wohin die Stimmung sich entwickelt, dann läuft sie mit. Selbst beim Thema Integration und Islam, früher ein Reizthema für die Christsozialen, funktionieren die Reflexe nicht mehr. Erst mit tagelanger Verzögerung widersprach Seehofer Bundespräsident Christian Wulff und seiner Behauptung, der Islam gehöre zu Deutschland - früher wären CSU-Granden wie Günther Beckstein oder Edmund Stoiber sofort zur Stelle gewesen, um die Überzeugungen der CSU hochzuhalten. Wenn sich Seehofer dann verspätet für einen Zuwanderungsstopp für ausländische Facharbeiter ausspricht, wirkt das nicht überzeugt, sondern taktisch. Und der nachgeschobene Leitantrag auf dem Parteitag zur Integration erscheint wie eine Pflichtübung.

Horst Seehofer hat die Führungskraft verloren. Das Aussetzen der Bundeswehr hielt er für falsch, doch als die Parteibasis immer mehr den Argumenten Guttenbergs glaubte, schwenkte Seehofer um. Nun hatte er sich die Frauenquote in der CSU zum Ziel gesetzt. Wie ein Löwe wollte er am Freitag dafür kämpfen - und musste doch bis zuletzt darum bangen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: