Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Die große Selbstzerfleischung der CSU ist aufgeschoben

  • Die CSU will schnell eine neue Regierung bilden - wahrscheinlich mit den Freien Wählern.
  • Mehr als fünf Stunden hat der CSU-Vorstand am Tag nach der Wahl beraten, mit dem Ergebnis, dass Markus Söder Ministerpräsident bleiben soll.
  • Horst Seehofer will als CSU-Vorsitzender nicht zurücktreten, sagt aber: "Jeder ist ersetzlich, ich allemal." In der Partei rumort es.
  • Zum Verlauf des Asylstreits im Sommer sagte Seehofer, "der Stil der Auseinandersetzung" sei sein größter Fehler im vergangenen halben Jahr gewesen.

Von Ingrid Fuchs

Am Tag nach der Niederlage dreht sich bei der CSU alles um Stabilität, zumindest oberflächlich. "Bayern muss stabil bleiben", hat Markus Söder im Wahlkampf immer und immer wieder gefordert. Und hat das Wort so oft ausgesprochen, dass sie jetzt in der CSU offenbar sogar glauben, es könnte auch intern funktionieren. Stabilität, Stabilität, Stabilität. Niemand muckt auf am Tag nach dem Absturz. Die CSU wirkt - ja wirklich! - stabil.

Am Montagmorgen versammelt sich der CSU-Vorstand zur Sitzung. Der lange Wahlabend dürfte allen noch in den Knochen stecken. Bei der CSU sind das keine Nachwehen vom vielen Tanzen wie bei den Grünen, es kommt vom Grübeln, Kopfschütteln, Rechnen. Wie viel Minus, 10,4 Prozentpunkte? Was ist schiefgelaufen? Wie geht's weiter? Welche Konsequenzen gibt es? Muss jemand gehen?

Trotz ihres schlechten Ergebnisses ist die Partei in einer komfortablen Ausgangslage, es reicht für eine bürgerliche Koalition. Von Mittwoch an will CSU-Chef Horst Seehofer Sondierungsgespräche führen, mit allen Parteien außer der AfD. Dann zieht sich Seehofer zurück, er werde dringend in Berlin gebraucht. Wie praktisch für Ministerpräsident Markus Söder: Der soll die Koalitionsverhandlungen dann allein führen, am besten noch in dieser Woche, am liebsten mit den Freien Wählern. "Wir brauchen eine seriöse und stabile Regierung", wiederholt Söder mehrfach. Was er damit meint? Er will eine Koalition, die "aus einem inneren Geist heraus" gebildet wird, weil man eine gemeinsame Haltung vertritt. Was er damit nicht meint: Ein Zweckbündnis wie die große Koalition in Berlin.

Mehr als fünf Stunden berät der CSU-Vorstand hinter verschlossenen Türen. Die Sitzung verläuft auffällig unauffällig. Oft sickern aus diesen Runden Informationen nach draußen, die Begriffe wie "Wutrede", "Angriff", "Kritik" enthalten, besonders nach Abenden mit schlechten Nachrichten. Und heute? Erfährt man, dass sich der Vorstand gleich zu Beginn einstimmig dafür ausgesprochen hat, Markus Söder wieder als Ministerpräsident zu nominieren - auf Vorschlag Seehofers. Und auch Söders Personalwünsche werden beklatscht: Ilse Aigner, bisher Ministerin fürs Bauen, soll Landtagspräsidentin werden, Thomas Kreuzer Landtagsfraktionschef bleiben. Mehr Personalfragen werden an diesem Tag nicht beantwortet - obwohl eigentlich nur diese eine Frage für alle innerhalb und außerhalb der CSU interessant ist: Was wird aus Seehofer?

Der Parteichef und Bundesinnenminister verweigert hartnäckig eine Antwort. Ob es persönliche Schuldzuweisungen an ihn gegeben habe? "Heute ist kein Tag für Schuldzuweisungen", sagt der CSU-Chef. Allerdings habe es in der Vorstandssitzung viele gute Redebeiträge gegeben. "Wer in der Politik zu Hause ist, konnte heute einiges mitnehmen. Ich habe alles aufmerksam aufgenommen." Frei interpretiert darf man das wohl so deuten, dass ein paar Leute durchaus Kritik an Seehofer geäußert haben. Ein Punkt, den er im Anschluss als Ergebnis präsentiert, lautet: Die CSU werde sich künftig in Berlin dafür einsetzen, dass die große Koalition ihre Arbeit ordentlich verrichten kann. Vielleicht nehmen Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Aufforderung diesmal ernst. Denn die beklagte Kluft zwischen Berlin und München verkörpert niemand so sehr wie diese beiden.

Eine andere Kluft zieht sich quer durch die Partei, sie äußert sich in der sehr unterschiedlichen Interpretation des Wahlergebnisses, genauer: in der Frage, wo die CSU-Wähler hin sind. Seehofer sagt, die CSU habe sehr stark an die Freien Wähler und die AfD verloren - doppelt so viel wie an die Grünen. Auch Fraktionschef Kreuzer vertritt diese These, man darf ihn in der CSU als Hardliner bezeichnen, was rechte Ideen und Vorschläge betrifft. CSU-Granden wie Alois Glück oder Barbara Stamm sagen, man könne rechts gar nicht so viel gutmachen, wie man in der Mitte verliert. Glück hat nun sogar elf Thesen vorgestellt, was die CSU tun und wie sie sich verändern muss. Vor allem fordert er eine schonungslose Analyse des Wahlergebnisses.

Die versprechen auch Söder und Seehofer. Nach der Kabinettsbildung in Bayern wolle man Ende November oder im Dezember "in einer geordneten Form in einem geeigneten Gremium" eine vertiefte Analyse anstellen, kündigt der CSU-Chef an. Dort sollten auch alle Vorschläge diskutiert werden, die es strategisch, programmatisch "und auch personell geben mag". Ein typischer Seehofer-Satz.

Am Abend schiebt Seehofer im ZDF dann doch noch etwas Selbstkritik am Asylstreit im Sommer hinterher. "Der Stil der Auseinandersetzung" sei sein größter Fehler im vergangenen halben Jahr gewesen. Zu seiner eigenen Zukunft befragt, sagt Seehofer: "Jeder ist ersetzlich, ich allemal."Von Tag eins nach der Niederlage bleibt also so viel: Die große Selbstzerfleischung ist aufgeschoben. Seehofer geht nicht. Aber vielleicht irgendwann.

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