Süddeutsche Zeitung

CSU-Klausur in Wildbad Kreuth:Wenn sich 44 wie 66 Prozent anfühlen

Das Umfrageergebnis ist denkbar knapp: Die CSU landet bei 44 Prozent und liegt damit nur einen Prozentpunkt vor einem Oppositionsbündnis. Dennoch strotzt die Landesgruppe vor Selbstbewusstsein. Und KT? Der ist nur noch ein harmloser Geist.

Robert Roßmann und Mike Szymanski, Kreuth

So ausdauernd hat man CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt schon lange nicht mehr im Regen stehen sehen. Er macht überhaupt keine Anstalten, ins warme Tagungsgebäude zu flüchten, in dem seine Kollegen der Berliner Landesgruppe zur Winterklausur zusammengekommen sind. Dobrindt steht im Schnee, lässt sich langsam einregnen und redet mit Journalisten über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens: 19 Kilo habe er im vergangenen Jahr abgenommen. Zur neuen Figur trägt er jetzt eine dickrandige Brille, die er in einem Berliner Szeneladen gekauft haben könnte. Im Fernsehen erkennt man ihn kaum wieder. Dobrindt sagt, er kenne schließlich keine indische Wunderheilerin, die Blinde sehend macht. Eine solche Frau hatte Karl-Theodor zu Guttenberg kürzlich seine Brille für immer abnehmen lassen. Dobrindt wirkt entspannt wie lange nicht.

Die Begegnung mit dem Generalsekretär sagt mehr über den Zustand seiner Partei aus als sein zuvor für die Kameras aufgesagter Satz: "Ich stelle fest, die CSU ist bärenstark." Bärenstark? Auf 44 Prozent kommt die CSU in der großen Umfrage des Bayerischen Rundfunks (BR) zur Landespolitik in Bayern. Ein von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) angeführtes Oppositionsbündnis hätte keine Mehrheit, um die CSU von der Macht zu verdrängen. Das sind zwar gute Nachrichten für die gebeutelten Christsozialen. "Bärenstark" aber ist für eine Partei, die noch vor ein paar Jahren mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierte, etwas anderes.

Zufriedenheit hängt allerdings immer auch von den Erwartungen ab. Und die CSU hat zuletzt viel erwartet, nur nichts Gutes. 2011 war für die Partei ein wahres Pestjahr: Fukushima, Guttenberg-Rücktritt, Energiewende, Ude-Kandidatur, Wulff-Querelen, Euro-Krise, und dann das ewige Desaster Bundesregierung. Angesichts dessen fühlen sich die 44 Prozent fast wie 66 an. Und so fällt nicht nur von Dobrindt an diesem Mittwoch die Anspannung ab.

Wildbad Kreuth 2012 - insgeheim war manchem Christsozialen wegen der schwindenden Wahlchancen durch Ude und die siechende FDP schon der Schrecken in die Glieder gefahren. Das verschneite Tagungszentrum im Tegernseer Tal, eingeschlossen von Bergen, ist ein schicksalhafter Ort für die CSU. Es ist genau fünf Jahre her, dass die Partei hier CSU-Chef und Ministerpräsident Edmund Stoiber vom Hof gejagt hat, weil sie nicht mehr wirklich daran geglaubt hat, mit ihm noch Wahlen gewinnen zu können. Hatte Horst Seehofer nach der Wahlniederlage von 2008, als die CSU in Bayern mit 43,4 Prozent die absolute Mehrheit verlor und mit der FDP zusammengehen musste, nicht versprochen, die Partei wieder aufzurichten? Sie wieder groß und stark zu machen für die nächsten Wahlen?

Die Lage ist seitdem noch viel ernster geworden. Erstmals seit Jahrzehnten ist die Opposition ein ernstzunehmender Gegner. Auf 43 Prozent kämen SPD, Grüne und Freie Wähler laut BR-Umfrage. Bei der Landtagswahl 2013 dürfte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben. Vor diesem Mittwoch gab es Abgeordnete, die unkten, die CSU könnte in der BR-Umfrage sogar unter 40 Prozent gefallen sein. Und allen war klar, dass die Partei in diesem Fall in Kreuth vor einer gewaltigen Führungsdebatte gestanden hätte - mit unkalkulierbaren Folgen.

Aber nach dem desaströsen Jahr 2011 kann Seehofer ganz gut mit 44 Prozent leben. Vor einem Jahr musste der CSU-Chef in Kreuth noch fürchten, von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg über kurz oder lang gestürzt zu werden. Diesmal ist Guttenberg in Kreuth nur noch ein harmloser Geist.

Er ist noch nicht einmal eingeladen - was CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt damit erklärt, dass ehemalige Abgeordnete beim Treffen der Bundestagsabgeordneten "natürlich" nichts zu suchen hätten. Als ob sich die CSU jemals um Regeln gekümmert hätte, wenn es darum ging, Guttenberg eine Bühne zu verschaffen. Zwar schwört Seehofer, den Gefallenen wieder in die Politik zurückholen zu wollen. Aber wirklich eilig hat es damit offenbar niemand. "Zu gegebener Zeit", sagt Seehofer. Erst müsse Guttenberg sich entscheiden, dann die Gremien, sagt Hasselfeldt. Und Dobrindt macht seine Witze über KT's wundersame Augenheilung.

Ohne Guttenberg ist die Partei allerdings noch ein Stück gewöhnlicher geworden. Was hat sie dieses Mal nicht für ein Feuerwerk zünden müssen, um mit ihrer Winterklausur überhaupt wahrgenommen zu werden. Es war ein regelrechter Schrei nach Aufmerksamkeit: Zum Start der Rente mit 67 stellte Seehofer das Gesetz noch einmal infrage, obwohl er weiß, dass es nicht mehr aufzuhalten ist. Die Forderung, der NPD den Geldhahn zuzudrehen, passte zwar schön in die Zeit, hat aber kaum Unterstützer - und ist rechtlich nicht durchsetzbar. In der Europapolitik möchten die Abgeordneten jetzt gerne ein Regelwerk für den Ausschluss von Schuldenländern. Wie das aussehen könnte, wissen sie aber auch nicht genau. Und im Bund könnten sich die Christsozialen einen Energiewende-Minister vorstellen, ohne in Bayern einen eigenen einzusetzen.

Noch ist nicht klar, welche Rolle die CSU bis zu den Wahlen 2013 in Bund und Land spielen möchte. Den Teamspieler gibt die Partei im Moment jedenfalls nicht. Erstmal denkt sie nur an sich. Seit Mittwoch hat sie es etwas weniger nötig.

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SZ vom 05.01.2012/bica
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