Christliche Werte:Wie sich Kirche und CSU entfremdet haben

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) 2018 in Würzburg

Markus Söder und das Kreuz: Der bayerische Ministerpräsident während der Vereidigung des 89. Bischofs von Würzburg im Prinz-Carl-Palais.

(Foto: dpa)

Die Partei beruft sich auf christliche Werte - doch die geraten derzeit aus Sicht vieler Glaubensvertreter in Gefahr. Ist das einst enge Verhältnis noch zu retten?

Von Matthias Drobinski

Mit 20 Jahren war er eingetreten, 44 Jahre später hatte Peter Wünsche genug von der CSU. Er könne die Politik der Partei "nicht mehr mittragen", schrieb der Bamberger Domkapitular auf Facebook: "Ein Wahlkampf als Wettbewerb in Asylverhinderung, diskriminierende Worte wie 'Asyltourismus' und 'Asylwende', die mutwillige Demontage der Kanzlerin, eine Politik, die Überfremdungsängste auf- statt abbaut: Das geht nicht mit meinem Wertesystem zusammen." Bittere Worte am Ende einer langen Beziehung.

Die Stimmung ist schlecht zwischen CSU und Kirchen. Wünsche ist nicht allein. Sein Chef, Bambergs Erzbischof Ludwig Schick, hat erklärt: Wer das Christen-C für sich reklamiere, müsse entsprechend reden und handeln; sein Kölner Amtsbruder Rainer Maria Woelki wurde noch schärfer: Im Mittelmeer ertrinken die Menschen, derweil betrieben Politiker "eiskalt und selbstverliebt ihre Machtspielchen"; auch solche Politiker, "die ihre Partei sozial und christlich nennen". Der katholische Bischofskonferenzvorsitzende und Münchner Kardinal Reinhard Marx wiederum warf Bayerns Ministerpräsident Markus Söder vor, mit dem Kreuz-Erlass für die Amtsgebäude des Freistaates "Spaltung, Unruhe und Gegeneinander" zu fördern.

Was prominente CSUler über die Kirchen äußern, ist nicht weniger vergiftet. Generalsekretär Markus Blume sagte dem Fränkischen Tag, "dass die CSU das Bekenntnis zur christlichen Prägung unseres Landes und seinen christlichen Werten oftmals offensiver" vertrete als die Kirchen; Thomas Goppel, der Sprecher des neu gegründeten Kreises christsozialer Katholiken, wirft den Kirchenvertretern vor, das "Multikulti-Schiff" bestiegen zu haben, "in dem alles gültig ist und nichts verbindlich gilt". So gut kennen sich die Kirchen und die CSU dann doch: Man weiß, wo es dem anderen wehtut.

Christsoziale werfen Vertretern der Kirche sogar vor, das "Multi-Kulti-Schiff" zu besteigen

Was ist da passiert? Wo sind die Zeiten, als katholische Prälaten dem Kirchenvolk empfahlen, christlich zu wählen, statt aus der CSU auszutreten - und die CSU-Spitze geschlossen in Tuntenhausens Barockkirche auf die Knie sank? Wobei man gegen das Klischee sagen muss: Das Verhältnis von CSU und Kirchen war nie konfliktfrei. Franz Josef Strauß und Kölns Kardinal Josef Höffner zofften sich, als der Kirchenmann die Atomkraft einen "ethischen Irrweg" nannte; die katholische Jugend demonstrierte vorm Wackersdorfer Bauzaun gegen die bayerische Staatsregierung. Schon vor 20 Jahren nannte der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky die Flüchtlingspolitik der Union eine "Schande"; der evangelische Christ und bayerische Innenminister Günther Beckstein empörte viele seiner Christengeschwister.

Trotzdem geht, was in den vergangenen Monaten an Verwerfungen sichtbar wurde, tiefer als die Scharmützel der Vergangenheit: Es sind die Zeichen eines Entfremdungsprozesses zweier Institutionen in der Identitätskrise. Der CSU scheint das sichere Gespür für die Stimmung im Freistaat verloren gegangen zu sein. Sie ist nicht mehr die Volkspartei von einst, die selbstverständliche Bindungen in alle gesellschaftlichen Gruppen hinein hatte: Kirchen, Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände. Ein Teil der Partei möchte diese Volkstümlichkeit mit verschärfter Rhetorik gegen Flüchtlinge und den Islam wiedergewinnen, durch eine Symbolpolitik, die zeigt: Hier in Bayern stimmen die guten alten Maßstäbe noch. Die Kirchen wiederum verlieren gerade im christlich geprägten Bayern viele Mitglieder, ihr unmittelbarer gesellschaftlicher und politischer Einfluss geht zurück; viele Christen erfahren das als Verlust. Und wer früher von der katholischen Jugend zur CSU in die Politik ging, landet heute oft bei den Grünen, der SPD, einer Bürgerinitiative - so er sich überhaupt noch politisch einsetzen mag.

Das macht das gegenwärtige Verhältnis von CSU und Kirchen so schwierig wie unübersichtlich. Das zeigte sich beim Streit um den Kruzifixerlass: Markus Söder, der als bekennender Protestant in der Synode der Landeskirche saß, sah die Aktion wohl auch als gute Idee, gleich zu Beginn der Ministerpräsidentenzeit nett zu den Kirchen zu sein - und war erstaunt angesichts der harschen Reaktionen, die ihm von dort entgegenschlugen. Auch in der CSU selbst waren gerade die engagierten Katholiken wie Hans Maier und Alois Glück empört. Kardinal Marx wiederum, der schärfste Söder-Kritiker, musste sich in seiner Kirche einiges anhören: Da tut endlich mal einer was fürs Christliche im Land - und dem Kardinal ist es nicht recht, lautete die Kritik, in die auch Bischöfe wie Regensburgs Rudolf Voderholzer oder Bambergs Ludwig Schick einstimmten.

"Wie unter jungen CSUlern über die Kirchen geredet wird, ist erschreckend"

Was bedeuten christliche Werte und Lebensstile? Den Flüchtlingen zu helfen, wo es geht, die Grenzen des Konsums und Wachstums sehen, gegen Egoismus und Vereinzelung angehen? Oder aber das Eigene gegen das Fremde verteidigen, die christliche Tradition gegen Islam und Säkularismus? Oder zu sagen: Der Glaube gehört ins Privatleben, die Kirchen aber sollen sich aus der Politik heraushalten? Die Debatten ziehen sich durch die Kirchen wie durch die CSU, wobei die Jüngeren auf beiden Seiten oft sprachlos voreinanderstehen. Für manche Kirchenleute sind die CSUler herzlose Populisten, denen der Wahlsieg im Oktober wichtiger sei als jede Menschlichkeit. Manchem CSUler wiederum gelten die Kirchenvertreter als naive Gutmenschen, Selbstverleugner halt, wie es CSU-Generalsekretär Markus Blume im Kruzifix-Streit formuliert hat.

Vermittler, die beider Seiten Sprache sprechen, gibt es immer weniger. "Wie unter jungen CSUlern über die Kirchen geredet wird, ist erschreckend", sagt ein CSU-Insider - allerdings sind kirchenintern die Formulierungen auch nicht arg freundlich, wenn es um die CSU geht. Hinzu kommen persönliche Fremdheiten: Der Münchner Kardinal Marx und der ehemalige Ministerpräsident Horst Seehofer schätzen sich, bei allem Streit in der Sache. Zwischen Marx und Söder gibt es solche Drähte trotz mehrerer Treffen bislang nicht.

Trotz allem bleibe das Verhältnis zwischen Kirchen und CSU eng, hat CSU-Generalsekretär Blume gesagt. Das bereitet eben manchmal besondere Schmerzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: