Süddeutsche Zeitung

CSU:Die Rückkehr zur alten Arroganz - ausgerechnet im Wahljahr

Mehr als 30 000 Menschen demonstrieren gegen das bayerische Polizeigesetz. Und was macht die CSU? Sie erklärt die Bürger für unmündig. Das könnte sich rächen.

Kommentar von Detlef Esslinger

Wer in München lebt, für den gehören Demonstrationen zum Alltag. Mal sind Umweltschützer unterwegs, mal Pfleger, mal Kurden. In einer Demokratie hat jeder das Recht zu demonstrieren, nur sollte kein Demonstrant damit rechnen, auch wirklich wahrgenommen zu werden; in einer lebendigen Demokratie sind dafür einfach zu viele seinesgleichen unterwegs. Diejenigen jedoch, die am Donnerstag gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz auf die Straße gegangen sind, brauchen sich um Aufmerksamkeit nicht zu sorgen. 30 000 oder vielleicht sogar 40 000 Menschen, solche Massen sind nur alle paar Jahre unterwegs.

In der CSU versuchen sie, sich abgeklärt zu geben, manche Reaktion klingt aber ziemlich verstört. Innenminister Joachim Herrmann erklärt die Zehntausenden zu "unbedarften" Menschen, die von Extremisten manipuliert wurden. Der Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer rechnet aus, dass "0,3 Prozent der Wahlberechtigten in Bayern" demonstriert hätten. Das zeige, "dass die Bayern fast vollständig geschlossen" hinter der CSU-Politik stünden. Oh Mann, die Herren!

Mit Recht mag man sich wundern, dass Organisatoren immer noch Grüppchen in ihr Bündnis aufnehmen, die bloß nach einem Trittbrett gieren. Welche Veranlassung bitte haben SPD und Grüne, Kreisjugendring und Flüchtlingsrat, auch noch der Autonomen Antifa oder der FDJ Platz für ihre Logos zu geben? Doch Sekten bleiben Sekten, die übergroße Mehrheit der Demonstranten kann selbst denken, sie braucht keinen Vater Herrmann, der in seiner vermeintlich besorgten Art eins nicht begreift: Dass sein Gesetz eine Urangst weckt, die vor dem übermächtigen Staat.

In einer Zeit, in der das Beispiel Facebook zeigt, wie viel Schindluder man mit Daten treiben kann, liefern sich zwar viele weiterhin den großen sozialen Netzwerken aus. Sie mögen noch nicht begriffen haben, welche Gefahren damit einhergehen. Dass jedoch ein Staat alles andere als harmlos bleibt, wenn er Menschen präventiv wegsperren kann (und zwar unbegrenzt), oder wenn er bei irgendwie "drohender Gefahr" Computer durchsuchen darf - das ist unmittelbar einleuchtend. Bei jeder Gelegenheit prahlt die CSU damit, wie sicher das Leben in Bayern sei, viel sicherer als überall sonst in Deutschland. Und trotzdem kapiert sie nicht, dass die Leute sich weniger um ihre Sicherheit als nun um ihre Freiheit sorgen?

Beim Polizeigesetz handelt es sich um ein Vorhaben, das praktisch alle betrifft. Das ist der Unterschied zu Themen wie Niedriglöhnen oder Sicherheitskonferenz, die immer nur relativ wenige Bürger mobilisieren. Zudem ist das Polizeigesetz noch nicht rauf und runter debattiert wie Klima oder Flüchtlinge; Themen, bei denen viele sich fragen: Was bringt hier noch 'ne Demo? Das Polizeigesetz mobilisiert auch, weil es kurz vor der Landtagswahl beschlossen werden soll - bei der die CSU mit dem Spitzenmann Markus Söder antritt, der sowieso als Polarisierer gilt.

Indem dessen Leute den Demonstranten sagen, sie würden nur 0,3 Prozent der Wahlberechtigten betragen, legt die CSU ihre alte Arroganz an den Tag. Sie dürfte damit noch sehr viele Skeptiker zu Gegnern machen. Und am Ende reichen womöglich ohnehin 0,00001 Prozent der Deutschen, um das Gesetz zu kippen; nämlich acht Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2018
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