Süddeutsche Zeitung

CSU:"Der erste Ministerpräsident, mit dem ich mich nicht identifizieren kann"

Bald wird Markus Söder Bayern regieren. Seine Fans an der CSU-Basis halten ihn für einen "Segen". Andere eher nicht.

Von Roman Deininger, Matthias Köpf, Olaf Przybilla und Christian Rost

Markus Söder hat ein Wort erfunden, das Wort ist "Bauchdemoskopie". Söder beschreibt damit ganz korrekt, dass es manchmal kein Heer an professionellen Meinungsforschern braucht, um die Stimmung im Land richtig zu erfassen. Manchmal sagt einem einfach der Bauch, was die Leute so fühlen. Eine bauchdemoskopische Aussage, das wäre, nur zum Beispiel: Diesen Söder mögen viele Leute nicht. Sie halten ihn für einen kalten Machtmenschen und Provokateur.

Söder, 50, ist nur ein kleiner Landesfinanzminister, aber er ist bundesweit eine Marke. Im ersten Quartal 2018 will ihn die CSU-Landtagsfraktion zum bayerischen Ministerpräsidenten wählen - es wäre die Erfüllung seines nur notdürftig verhohlenen Lebenstraums. Und gerade außerhalb des Freistaats fragen sich nun einige sicher: Was finden die CSUler nur an dem?

Der Bauch der CSU

Kilian Sendner erlebt diese Söder-Skepsis seit einem Vierteljahrhundert. Genauso lange hält er dagegen. Er kenne keinen, sagt der Nürnberger CSU-Mann, der es an "Gradlinigkeit, Zielstrebigkeit und Ehrlichkeit" mit Söder aufnehmen könne.

Nürnberg, Söders Heimatstadt, die erste Station einer kleinen Erkundung im, ja, Bauch der CSU. Sendner, 68, war dabei, als der 22-jährige Söder erstmals politisch auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Zunächst nicht so richtig erfolgreich: Die Parteifreunde feixten über den schnell sprechenden Jura-Studenten mit der Popper-Frisur. Was Sendner damals gleich aufgefallen ist: Söder wollte eben nicht als Stadtrat ins Rathaus, das bis heute der Mittelpunkt von Sendners politischer Welt ist. Und natürlich fanden das 1990 viele irritierend in der Partei: Karrieren fangen in der CSU fast immer auf der kommunalen Ebene an. Sendner sitzt in einem Besprechungszimmer des Rathauses, gleich hat er eine Sitzung, Werkausschuss. Söder aber hat er seinen "Hang zum Großen" nie übel genommen. Er habe immer gespürt, sagt Sendner, "was der Markus für ein politisches Kaliber ist". Er kenne "niemanden, der so eine Auffassungsgabe hat, so eine Dynamik, der so rasch auf Situationen reagieren kann wie unser Markus".

Sendner erzählt, wie er gelitten habe unter den ständigen Anwürfen gegen Söder: Machtmensch, Provokateur. Anwürfe, die auch aus der eigenen Partei kamen, nicht zuletzt aus der Nürnberger CSU. "Seinen Ehrgeiz wirft man Söder so lange vor, wie ich ihn kenne", sagt er. "Aber wird einer was Großes in der Politik ohne einen Ehrgeiz?" Der Stadtrat redet sich in Rage, er trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Viele verwechselten den heutigen Söder mit dem ungestümen CSU-Generalsekretär von einst. Sendner findet das bestürzend. "Der Markus ist ein Segen für die Partei", sagt er, keine Spur von Ironie. "Wenn es einer schafft, uns als CSU wieder über die 40 Prozent zu heben, dann er."

Schließlich "hat er uns vor zehn Jahren aus der Scheiße rausgeholt"

Die Landtagswahl 2018 ist eine Schicksalswahl für die selbsternannte Staatspartei CSU, und zurzeit wird viel spekuliert: Der scharfe Konservative Söder werde die rechte Flanken schließen, sagen seine Anhänger. Er werde aber dafür in der Mitte Stimmen verlieren, sagen die Zweifler. Der Bauch sagt: Die CSU will schlicht einen neuen Anführer, der noch nicht die Narbe einer Niederlage trägt. Der das pralle alte Selbstbewusstsein der Partei verkörpert.

Was finden die an Söder? Vielleicht muss man nachfragen bei jemand, der im Machtkampf der CSU auf der anderen Seite stand. Stimmkreis Günzburg, zweite Station dieser kleinen Erkundung. Der Landtagsabgeordnete und frühere Justizminister Alfred Sauter, 67, ist ein Weggefährte von Horst Seehofer, die Familien haben auch privat Kontakt. Er sagt, dass es ihn traurig und wehmütig stimme, wie Seehofer als Ministerpräsident abserviert werde. Schließlich "hat er uns vor zehn Jahren aus der Scheiße rausgeholt". Doch bitter, sagt Sauter, das sei er ausdrücklich nicht: "Das ist eben das politische Geschäft."

Als die schwäbischen Abgeordneten um Sauter vor ein paar Tagen mit Söder zusammenkamen, spendeten sie ihm zwar keinen Beifall zur Ministerpräsidenten-Kür. "Wir sind da sparsam", sagt Sauter. Aber jetzt setzen sie auf ihn, klar, es geht 2018 auch um ihre Mandate. Und immerhin habe Söder bisher jede Zusage penibel eingehalten. "Er hat seine Kritiker überrascht, immer wieder." Söder besitze Führungsqualität, sei gradlinig und zuverlässig, sagt Sauter. Er werde sich ins Zeug legen und schnell einarbeiten, wie schon als Finanzminister. Söders markige Art stört Sauter nicht. "Richtet Polarisierung zwangsläufig Schaden an?", fragt er. Die Antwort gibt er selbst: Nein. Viele in der CSU wünschten sich ja jetzt genau das: "klare Kante".

38,8 Prozent

erzielte die CSU bei der Bundestagswahl im September in Bayern. Das waren 10,5 Prozentpunkte an Zweitstimmen weniger als vor vier Jahren - und damit das schlechteste Ergebnis seit 1949. Die Partei entsendet deshalb nur noch 46 Abgeordnete nach Berlin; alle Wahlkreise wurden zwar gewonnen, aber kein Listenbewerber schaffte den Sprung in den Bundestag.

Die CSU bringt dieser Tage die große Harmonieshow auf die Bühne, sie tut so, als wären über Nacht alle Gräben zwischen dem Seehofer-Lager und dem Söder-Lager zugeschüttet worden. Der Seehofer-Freund Sauter gibt sich pragmatisch: Er habe keine Schwierigkeiten mit Söder, sagt er, er könne sich "problemlos mit ihm unterhalten". Er verbringe halt nur keine Abende und Nächte mit ihm.

Söder habe sich der Partei regelrecht aufgezwungen

Weihnachtsfeier der CSU Wolfratshausen, dritte und letzte Station. Hier, vor den Toren Münchens, steht Edmund Stoibers Doppelhaushälfte. Im rot ausgemalten Hinterzimmer eines Wirtshauses wiegen vier Herren, zusammen 145 Jahre CSU, mit den Köpfen. Söder habe sich der Partei regelrecht aufgezwungen, fasst einer der vier die Stimmung hier zusammen. Er sei ja kein schlechter Minister, aber das Staatsmännische, das Landesväterliche, das fehle leider völlig. An die absolute Mehrheit glaubt hier wohl nicht mal die Ortschefin die in ihrer Adventsansprache leicht säuerlich verkündet, "dass der Finanzminister Söder unser Ministerpräsident werden soll". Der Fraktionssprecher im Stadtrat wird noch deutlicher: "Das wird der erste bayerische Ministerpräsident, mit dem ich mich nicht identifizieren kann."

Positive Aspekte? Die Vierer-Herrenrunde kratzt zwei zusammen. Erstens: Endlich ist Ruhe in der Partei. Zweitens: Auch Stoiber, an den man sich hier noch als wilden JUler erinnert, hat ja irgendwie die Kurve ins Seriöse gekriegt. Genau darauf baut ein altgedienter Christsozialer seine Hoffnung, der einzige echte Söder-Fan, den man in Wolfratshausen trifft. Im Januar sei Söder beim Neujahrsempfang der Kreis-CSU gewesen, sagt der Mann, habe witzig und spontan geredet und geduldig viele Hände geschüttelt. Reden halten, Hände schütteln, eifriger als jeder andere - so hat Söder über zwei Jahrzehnte das CSU-Land bestellt. Im Landtagswahlkampf wird sich zeigen, ob die Saat für ihn aufgeht.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2017/khe
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