Süddeutsche Zeitung

Universitäten:So kämpfen Bayerns Forscher gegen das Virus

Virologen an den bayerischen Unis forschen mit Hochdruck an einem Impfstoff und einem Medikament gegen Covid-19. Die Wissenschaftler raten, die Ausgangsbeschränkungen nicht zu früh zu lockern.

Von Anna Günther, Würzburg/München

Die ersten Märztage des Jahres 2020 wird Lars Dölken nie vergessen. Am 3. März verlässt er mit seiner Frau das Krankenhaus, im Arm ihr erstes Kind, ein Sohn. In der Nacht auf den 5. März meldet die Stadt Würzburg die ersten Corona-Infizierten. In der Nacht auf den 12. März stirbt in Würzburg der erste Covid-19-Patient Bayerns, ein 80-Jähriger mit Vorerkrankungen.

Dölken lebt seit Wochen im doppelten Ausnahmezustand: Zu Hause hätscheln Frau und Schwiegermutter das Neugeborene. An der Julius-Maximilians-Universität (JMU) versucht der Professor für Virologie, sein Institut Corona-frei zu halten. Covid-19 im Team wäre katastrophal: Die Analysten am Institut für Virologie und Immunologie untersuchen die Proben für die Würzburger Uniklinik, fürs Gesundheitsamt und umliegende Krankenhäuser auf Sars-CoV-2.

Eigentlich sind Herpesviren Dölkens Spezialgebiet. Er erforscht, wie die Viren ihre Zielzellen umprogrammieren, wenn sie in diese eindringen. Die Herpesviren schalten die Abwehrmechanismen der Zellen aus, damit diese nicht Alarm schlagen. Dann kam Corona.

Das Virus Sars-CoV-2 ist neu. Weltweit sammeln Wissenschaftler Daten und Fakten gegen eine tickende Uhr. Es gilt, einen Impfstoff, ein Medikament zu finden, so schnell wie möglich. In Bayern forschen nun alle sechs Universitäten zum neuen Coronavirus, dazu kommen Forschungsgesellschaften und private Firmen. Sie untersuchen, wie die Viren reagieren, wie lange die Inkubationszeit dauert, wie und wann Infizierte andere anstecken.

Die Forscher suchen nach Medikamenten, nach Impfstoffen, nach einem Antikörpernachweis. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich die Labore in den Unis umgestellt, auch in Würzburg war der Corona-Test längst etabliert, als Ende Januar die bundesweit ersten nachgewiesenen Covid-19-Erkrankten beim Automobilzulieferer Webasto nahe München aufkamen. Dölken hatte in Berlin angefragt, als Christian Drosten, Chef der Virologie an der Charité, einen Test präsentierte.

Die allgemeine Forschung der Würzburger Virologie arbeitet seit Anfang März auf Sparflamme, die Diagnostik dafür im Schichtbetrieb von sechs Uhr morgens bis 22 Uhr. Die Zahl der analysierten Proben stieg von 40 am Tag auf 500. Dölken lobt seinen Laborleiter ausgiebig, nennt es "brutal", was Benedikt Weißbrich leiste. Weißbrich will von Hymnen nichts hören, er klingt erschöpft am Telefon. Das Team schaffe Unglaubliches, sagt er. Die Labore hätten "dafür gesorgt, dass Deutschland sich diesen Vorsprung erarbeiten konnte", sagt Weißbrich. Ein Ende des Ausnahmezustands ist nicht in Sicht.

Solange die Test-Kits reichten, liefen im Würzburger Klinikum vier Roboter durchgehend, sie nahmen den Analysten im Labor einen Teil der Arbeit ab. Als alle Kits verbraucht waren, musste Weißbrich auf Handarbeit setzen. Auch für ihn ist fehlendes Material das Nadelöhr. Wenn die Vorräte für wenige Tage reichen, sei das gut. Die hohe Testzahl sei nur mit mehr Personal zu bewältigen. 15 Helfer unterstützen die 25 Labor-Mitarbeiter. Aber mit neuen Leuten steigt das Infektionsrisiko.

Dölken versucht seit Ende Februar mit inquisitorischen Methoden, den Labormitarbeitern den Rücken frei und das Virus draußen zu halten. Jeder, der hustet, schnieft oder Halskratzen verspürt, muss sich bei ihm melden. Betretungsverbot, bis der Test beweist: kein Corona. Forschungs-Mitarbeiter mit Familie bleiben ebenso strikt daheim wie WG-Bewohner und alle, die öffentlich zur Arbeit fahren. Von zwölf Doktoranden arbeiten noch sechs an Projekten. Radikale Methoden sind Dölkens einziges Mittel, der Mundschutz-Vorrat reicht nicht für alle. Das Labor hat Vorrang, dort ist er Pflicht.

Die Taktik geht bisher auf, aber wenn am 20. April das Sommersemester beginnt und Studenten zurückkehren, könnte es kritisch werden, fürchtet Dölken. Einmal war es schon knapp. Ein Student, der im Labor helfen wollte, lebte in einer Fünfer-WG. Ein Mitbewohner kränkelte, der Test ergab: Corona. "Sechs Tage später hätten wir es hier gehabt", sagt der Professor.

Schon als in China die Fälle über 5000 stiegen, sei ihm klar gewesen, dass eine Pandemie droht, aber nicht, wie gefährlich Sars-CoV-2 werden würde. Die Skifahrer etwa hatte Dölken nicht bedacht. "Das war ein Fehler", sagt er. Umso ernster nimmt der Virologe die Ausgangsbeschränkungen. Die Infektionskette müsse unbedingt weiter unterbrochen werden.

"Speerspitze im Kampf gegen die Corona-Pandemie" nennt Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) die Hochschulmedizin. Die Staatsregierung gibt derzeit Millionenbudgets an Forscher, investiert in modernste Ausstattung. Bayern sei ganz gut aufgestellt, jede Uniklinik decke Virologie und Mikrobiologie ab, bestätigt Matthias Frosch, Dekan der Medizinischen Fakultät in Würzburg. Als Vize-Vorsitzender der bayerischen Universitätsmedizin aber erinnert er sich gut an Zeiten, in denen Unternehmensberater mancher Uni rieten, die Infektionsmedizin auszulagern. Die Corona-Krise beweise nun, dass die Unis die Grundlagenforschung abdecken müssen, sagt Frosch. Permanente Forschung sei essenziell für die Gesellschaft. "Nur mit solchen Argumenten kriegt man so einen kaufmännischen Direktor kaltgestellt."

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Damit Mediziner und Politik bald mehr tun können, als Kontaktsperren zu verhängen und schwerst Kranke zu betreuen, läuft die Forschung zu Sars-CoV-2 an den bayerischen Unis auf Hochtouren: Dölken arbeitet etwa an einem präzisen Antikörper-Test, um Fehler auszuschließen. Ein erster Antikörper-Test könnte schon in ein, zwei Wochen verfügbar sein, sagt Dölken. Das Problem sei aber, dass diese Tests nicht verlässlich zwischen harmloseren Coronaviren und Sars-CoV-2 unterscheiden.

"Wir entwickeln einen zweiten Test, um zu kontrollieren, ob im Blut wirklich Antikörper gegen Sars-CoV-2 vorhanden sind." Fehler wären fatal, wenn etwa Altenpfleger arbeiten dürften, weil der Test angibt, sie seien immun. Wenn im Blut aber nur Antikörper gegen harmlose Coronaviren sind, könnten sie an Covid-19 erkranken und Senioren anstecken. Mit einem Kohortentest mit 5000 Würzburgern will Dölken Infektionen und Immunisierung in der Bevölkerung sowie die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen erforschen. Ein ähnliches Projekt des Münchner Tropeninstituts am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität läuft bereits an.

Am Erlanger Uniklinikum versuchen Forscher, aus dem Serum genesener Covid-19-Patienten Antikörper zu gewinnen und im Labor nachzubauen. Künstlich hergestellte Antikörper könnten Schwerstkranken helfen. Erzählen können die Forscher nicht von ihrer Idee, der Sprecher des Klinikums bittet um Verständnis. Die Anfragen seien kaum zu bewältigen. Ulrike Protzer nimmt sich noch Zeit, sie ist Chefin des Virologischen Instituts der Technischen Uni München und der Virologie am Helmholtz-Zentrum. "Antikörper zu finden und zu verstehen, ist das Wichtigste, weil man das schneller einsetzen kann als eine Impfung", sagt sie.

Auch Protzer arbeitet an einer Serumtherapie, eigentlich ist Hepatitis B ihr Spezialgebiet. Mit dem Ausbruch des Coronavirus in Bayern wurde sie Beraterin der Staatsregierung. Protzer war schon bei der Behandlung der Webasto-Mitarbeiter Ende Januar einbezogen. Sie tauschte sich früh mit Kollegen in China aus; ein ehemaliger Doktorand ist Professor in Wuhan. Bayern habe dreifach Glück gehabt, sagt Protzer: Wuhan, Webasto, Italien. Der Freistaat konnte sehen, was passieren kann und sich vorbereiten.

Die Ausgangsbeschränkung nennt Protzer "die einzige Waffe, die wir in der Hand haben, um das Virus zu bekämpfen". Zu früh zu lockern, sei riskant. Der Würzburger Virologe Dölken sieht das genauso. Die Infektionszahlen der harmloseren Coronaviren lassen ihn dennoch hoffen: "Wenn wir bis Ende Mai durchhalten, könnte der Sommer helfen." Danach heiße es aber aufpassen, dass "uns im September nicht alles um die Ohren fliegt."

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SZ vom 16.04.2020/kaal
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