Süddeutsche Zeitung

Uni-Kliniken in Bayern:Heilen statt forschen

  • Die sechs bayerischen Uni-Kliniken haben die Zahl ihrer Intensivbetten von 600 auf 1000 erhöht. Weitere 200 könnten noch dazukommen.
  • Die Staatsregierung hatte sie Mitte März wegen der Coronavirus-Pandemie angewiesen, Forschungsaktivitäten einzustellen und sich stattdessen auf die Versorgung von Patienten zu konzentrieren.
  • Das LMU-Klinikum Großhadern hat Kapazitäten frei und bietet anderen Krankenhäusern an, Covid-19-Kranke zu übernehmen.
  • Man habe "die akute Situation im Griff", heißt es dort, müsse sich aber auf eine lang anhaltende Pandemie einstellen.

Von Florian Fuchs und Kassian Stroh

Bis Montag sah die Statistik noch hoffnungsvoll aus im Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. 36 Patienten, die sich mit dem Coronavirus angesteckt hatten, waren bis dahin auf einer Intensivstation behandelt worden. Sieben waren schon wieder draußen, keiner gestorben. Diese Zahlen hat die Klinik am Donnerstag präsentiert. Was in diese Statistik keinen Eingang mehr fand: Acht neue Patienten sind seit Montag dazugekommen - und zwei gestorben. Zwei von bis dahin 653 in Bayern.

In allen bayerischen Kliniken werden solche Covid-19-Statistiken geführt. Dass dies auch in Uni-Kliniken wie der in München-Großhadern bedeutsam geworden ist, ist jedoch etwas Besonderes. Denn die sind im Gesundheitssystem vor allem für die Behandlung besonders seltener oder schwerer Krankheiten vorgesehen und für die medizinische Forschung - als "Speerspitze" des Systems, wie es Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) nennt. Die normale Versorgung der Bevölkerung ist Sache der meist kommunalen Krankenhäuser. In Bayern galt das bis vor gut drei Wochen. Dann mussten die sechs bayerischen Uni-Kliniken umschwenken: Forschung bleiben lassen und Kapazitäten schaffen für Covid-19-Patienten.

In Großhadern zum Beispiel heißt das: Insgesamt gibt es dort normal knapp 200 Intensivbetten. 44 hielt das LMU-Klinikum seit Anfang März für Coronavirus-Fälle frei. Nun hat es weitere Intensivstationen für sie eingerichtet, Pfleger und Ärzte geschult. Inzwischen gibt es knapp 100 Intensivbetten für Corona-Patienten, 26 kommen noch, 24 weitere stehen in Reserve. An den anderen Uni-Kliniken des Freistaats sieht es ähnlich aus, von 600 ist die Zahl ihrer Intensivbetten auf insgesamt 1000 gestiegen. Weitere 200 könnten laut Ministerium noch dazukommen.

Als Ende Januar erstmals in Deutschland ein Mann positiv auf das Corona getestet wurde, war das städtische Klinikum München-Schwabing einige Zeit Quasi-Monopolist in Sachen Covid-19-Behandlung, dort landeten fast alle der ersten Patienten. Das lag daran, dass die Klinik in Bayern erste Anlaufstelle für hochinfektiöse Krankheiten ist. Da Experten befürchteten, dass bald viele weitere Patienten kommen dürften, war aus Schwabing zu hören, man könne sich nicht dauerhaft alleine um sie kümmern. Anfangs richtete sich der Appell wohl vor allem an die Ärzte und die anderen Kliniken im Freistaat, nicht alle Patenten nach München zu schicken. Vor vier Wochen forderte dann der Münchner OB Dieter Reiter (SPD), die Uni-Kliniken müssten ihren Beitrag leisten.

Das tat man dort und in dem für sie zuständigen Wissenschaftsministerium als Profilierungsversuch Reiters kurz vor der Kommunalwahl ab. Einigen Ärger erregte es dennoch - zumal zu diesem Zeitpunkt schon in einigen Häusern Covid-19-Patienten lagen. Inzwischen sind die Uni-Kliniken nicht nur Bestandteil der medizinischen Versorgung in Bayern, sie bieten auch den mancherorts schwer belasteten kommunalen Krankenhäusern Hilfe an. "Wir haben noch Kapazitäten", sagt Bernhard Zwißler, der Chef der Intensivstationen in Großhadern, "man kann uns Patienten zuverlegen."

Zumindest an einigen Unikliniken ist die Situation wegen der neuen Belastungen aber angespannt: Pfleger und Ärzte beschweren sich, dass nicht ausreichend Schutzkleidung vorhanden ist und dass nicht genügend Personal auf den komplizierten Umgang mit Beatmungsgeräten geschult werde. Im Augsburger Uniklinikum etwa hatten Ende vergangener Woche Pflegekräfte in der Augsburger Allgemeinen beklagt, dass sie sich in ihrer Arbeit nicht genügend unterstützt und geschützt fühlen.

Klagen dieser Art sind oft verbunden mit der Forderung nach einer Gefahrenzulage. Die Augsburger Pfleger kritisieren unter anderem, dass sie weiter arbeiten müssen, obwohl sie Kontakt zu Infizierten hatten und entsprechend getestet werden müssen. Die Leitung der Augsburger Uniklinik hat die Kritik umgehend zurückgewiesen und Gespräche mit den Mitarbeitern angeboten.

Das Klinikum der Münchner LMU hat unter den bayerischen Uni-Kliniken die höchsten Kapazitäten. 83 Coronavirus-Patienten lagen dort am Donnerstagmorgen, ein gutes Drittel von ihnen musste beatmet werden. Auf eine Intensivstation verlegt zu werden "kommt nicht einem Todesurteil gleich", betont Zwißler mit Verweis auf die niedrigen Todeszahlen - auch wenn manche Patienten diese Befürchtung hegten.

Die Mediziner treibt zugleich die Sorge um, dass sich manche Patienten mit anderen Krankheiten nicht mehr trauen, in eine Klinik zu gehen, obwohl es nötig wäre - aus Angst, sich dort das Coronavirus einzufangen. In den Häusern gelte eine Mundschutzpflicht, sagt Karl-Walter Jauch, Ärztlicher Direktor des LMU-Klinikums und Sprecher aller bayerischen Uni-Kliniken. Die Covid-19-Patienten würden auf eigenen Stationen behandelt. "Die Infektionsgefahr ist minimal."

Da die Zahl der Neuerkrankungen zuletzt immer weniger stark gestiegen ist, sieht Jauch die Patientenversorgung momentan an einem "Wendepunkt". Man habe "die akute Situation im Griff" und müsse sich nun auf eine lang anhaltende Pandemie einstellen. Vor vier Wochen habe ein Infizierter im Schnitt ein halbes Dutzend andere Menschen angesteckt, inzwischen liege dieser Wert in Bayern bei nur noch einem Menschen, in München sogar bei weniger als einem. "Damit ist nicht alles überstanden", sagt der Ärztliche Direktor, eine "große Welle" drohe akut aber wohl nicht.

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