Süddeutsche Zeitung

Corona-Konzept:Mehr Lehrer und mehr Tests

Kultusminister Michael Piazolo stellt sein Konzept für den Unterricht nach der Sommerpause vor. Die Schulen sollen in die Lage versetzt werden, flexibel auf mögliche Infektionen zu reagieren.

Von Anna Günther

Betont optimistisch hat Kultusminister Michael Piazolo (FW) aufs neue Schuljahr geblickt. Nach den unsicheren Corona-Monaten mit viel Kritik von allen Seiten wollte er am Mittwoch Botschaften verkünden, um Eltern, Lehrer und Schüler einigermaßen beruhigt in die Sommerferien zu entlassen. Anders als noch im Januar befürchtet, fehlen im September wohl keine Lehrer an den 6200 bayerischen Schulen. 4600 junge Pädagogen werden eingestellt, damit sollen alle offenen Stellen besetzt werden. Weil Corona-bedingt aber Schwangere und Lehrer in Risikogruppen nicht an den Schulen arbeiten dürfen, sollen 800 Corona-Teamlehrer eingesetzt werden. Neben 300 neuen Lehrern sollen dafür 500 Aushilfen angeworben werden, die im Team mit erfahrenen Pädagogen arbeiten, wenn diese etwa von daheim per Videoschalte unterrichten.

Einzelheiten zum Unterrichtsgeschehen wollte Piazolo nicht besprechen, dabei interessieren genau diese Einzelheiten Eltern, Schüler und Lehrer wohl besonders. Der Minister bat um Geduld, bis zum Schuljahresbeginn vergingen noch gut sechs Wochen, in denen sich das Infektionsgeschehen ändern könne. Ziel bleibe der Regelunterricht mit Hygieneauflagen, sagte Piazolo. Sofern es die Infektionszahlen zuließen. Sollte es nach den Sommerferien wieder mehr Corona-Infektionen geben, würden die anderen drei Szenarien greifen: Falls die Zahlen nur leicht steigen, werden die Schulen wieder zum aktuellen Wechselbetrieb mit digitalem Distanzunterricht und kleinen Gruppen zurückkehren. Bei höheren Infektionszahlen sollen Klassen, Schulen oder ganze Landkreise individuell in Quarantäne geschickt werden. Im schlimmsten Fall folgt die landesweite Schließung der Schulen mit anschließend rein digitalem Distanzunterricht. Wie dieser funktionieren soll, könnte Ministerpräsident Markus Söder an diesem Donnerstag gemeinsam mit Piazolo verkünden.

Wie sich diese Hygieneregeln für den Regelbetrieb mit allen Schülern vom aktuellen Plan unterscheiden, ist noch nicht klar. Fest steht, dass der Abstand von 1,5 Metern wegfällt. Die Grundregeln sollen laut Piazolo bleiben: Wenig Begegnung der Schüler auf dem Gang, etwa durch Schichtbetrieb in den Pausen. Dazu kommen Vorschriften zum Lüften und feste Gruppen. "Dann wird es noch das ein oder andere geben, das man anpassen muss", sagte der Minister. Das werde in den kommenden Wochen mit dem Gesundheitsministerium und Virologen ausgearbeitet.

Um Schülern, Lehrern und Eltern Sicherheit zu geben und schnell auf Corona-Infektionen reagieren zu können, setzt Piazolo auf regelmäßige Tests von Schülern und Lehrern. Dafür müssten die Kapazitäten ausgebaut werden und die Ergebnisse schneller vorliegen. "Es kann nicht sein, dass es vier, fünf, sechs Tage braucht, bis die Ergebnisse da sind", sagte er.

Diese Tests sollen auch beim Schniefnasen-Problem helfen: Eltern von Kita-Kindern hatten scharf kritisiert, dass derzeit Kleinkinder mit Schniefnasen heimgeschickt werden. Sie fürchten ein massives Betreuungsproblem, wenn im Herbst die Erkältungssaison beginnt. Anhand eines Leitfadens sollen die Erzieher im Herbst entscheiden, welche Kinder sie heimschicken. Diese Verantwortung möchte Piazolo den Lehrern ersparen: "Die Entscheidung fällt der Arzt." Aber Lehrer können Schüler mit Symptomen einer Atemwegserkrankung zum Schulleiter schicken, der einen Corona-Test veranlassen kann. Ein grippaler Infekt sei auf den ersten Blick nicht von einer Corona-Infektion zu unterscheiden. Aber auch für die Schulen gelte, dass kranke Kinder daheim bleiben müssen.

Unterschiedliche Konzepte für jüngere und ältere Schüler sind derzeit nicht vorgesehen. Das hatte Matthias Keller, der Chef der Passauer Kinderklinik und der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin gefordert, weil die Ansteckungsrate bei Jugendlichen genauso hoch sei wie bei Erwachsenen. Das bestätigt eine aktuelle Studie aus Südkorea. Viele Forscher hatten bis dato nur jüngere Kinder untersucht. Die Studien seien nicht eindeutig, sagte Piazolo dazu, aber man behalte das im Blick.

Für ihn ist entscheidend, dass der Mangel an Lehrpersonal behoben werden kann. Im Frühjahr hatte die verordnete Mehrarbeit noch massive Proteste ausgelöst, die dann von Corona überlagert wurden. Aber ohne volle Personalbesetzung an den Schulen wäre der Kampf gegen die Corona-Wissenslücken der Schüler quasi aussichtslos gewesen. Bis zu den Herbstferien sollen die Schulen Brückenkurse anbieten, in denen Kinder und Jugendliche mit größeren Wissenslücken den Stoff aus dem Corona-Halbjahr nachholen - im laufenden Betrieb des neuen Schuljahrs. Zusatzstunden gibt es dafür aber nicht, die Schulen sollen stattdessen Wahlangebote und AGs streichen.

Verbände bezweifeln, dass Piazolos Pläne gelingen. "Wir müssen uns das alles aus den Rippen schneiden, wo die 800 Lehrer herkommen sollen, weiß niemand", sagte Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands. Das sei ja "nett gemeint und mit mehr Vorlauf hätte das auch klappen können, aber zwei Tage vor Schulschluss?" Das Ministerium möchte Lehramtsstudenten und "Interessierte" als Aushilfen anwerben, ein Magisterabschluss reicht. Auch Philologenchef Michael Schwägerl nennt die 800 Teamlehrer für 6200 Schulen "nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein". Die Maßnahme laufe ins Leere, weil diese Seiteneinsteiger eingelernt werden müssen und auf ein Jahr befristet sind. Rückendeckung bekommen die Lehrer aus der Opposition: Zu viele Fragen seien offen, kritisiert Simone Strohmayr (SPD) und bezeichnet Piazolos Auftrag an die Schulen, so kurz vor den Ferien Aushilfslehrer zu suchen, als "aberwitzig". Thomas Gehring (Grüne) nennt Piazolo einen "schlechten Krisenmanager", der die Probleme nicht grundlegend angehe, sondern "nur eifrig allzu offensichtliche Löcher stopft".

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SZ vom 23.07.2020/syn
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