Bildung in der Coronakrise:Bayern führt Schule in Teilzeit ein

Homeschooling in Bayern zu Corona-Zeiten

Seit Wochen sitzen die bayerischen Kinder an häuslichen Küchentischen und lernen für die Schule. Das ist nicht nur für die Kleinen ungewohnt und anstrengend, auch Eltern kommen beim Homeschooling immer mal wieder an ihre Grenzen - und alle hoffen auf ein Stück Normalität.

(Foto: Stephan Rumpf)

Bildungsminister Piazolo hat einen neuen Plan vorgestellt: Kommende Woche soll wieder der Präsenzunterricht beginnen - aber nur wochenweise. Dafür erntet er viel Kritik, auch von Lehrern.

Von Viktoria Spinrad

Dem kleinen Bub ist daheim wohl alles zu viel geworden. Und so packte der Zehnjährige aus Ansbach am Dienstagabend seine Sachen in einen Rucksack und schlich aus der elterlichen Wohnung. Die Polizei, die ihn am Bahnhof aufgriff, ermittelte den Grund: Überdruss vom Homeschooling. Er habe Angst um seine Schullaufbahn, erklärte die Mutter.

Schüler, Eltern, Lehrer, viele sind dieser Tage mit der Heimbeschulung etwas überfordert. Entsprechend emotional und laut wurde die Kritik am Krisenmanagement des Kultusministeriums in den vergangenen Wochen. Keine klaren Ansagen, die Plattform Mebis zu instabil, keine Ausstattung, zu wenig Feedback, zu wenig sozialer Ausgleich, und überhaupt sei das Ganze ein Flickenteppich, kritisierten Verbände.

Am Mittwoch ist Kultusminister Michael Piazolo (FW) nicht nur auf die Kritik eingegangen, sondern hat auch das neue Wechselmodell vorgestellt, mit dem Schüler von der kommenden Woche an nach und nach zu mehr Normalität zurückfinden sollen. Demnach soll Präsenzunterricht mit dem Lernen zu Hause verzahnt werden. Konkret sollen die Klassen in zwei Hälften geteilt werden. Der kleine Ansbacher zum Beispiel soll also eine Woche ganz normal zur Schule gehen, und in der darauffolgenden Woche zurückkehren in den ungeliebten Heimunterricht, in dem die Inhalte geübt und vertieft werden sollen. Gleichzeitig soll aber auch neues Wissen aufgebaut werden - "mit Augenmaß", betonte Piazolo.

Nach zwei Monaten, in denen es vor den heimischen Computern vor allem um Wiederholung und akut relevante Themen ging, läutet das Ministerium damit die dritte Phase nach dem Kaltstart ein. Unterstützt werden soll diese durch eine Digitaloffensive mithilfe von "Microsoft Teams": Die Kommunikationsplattform, auf der man in Gruppen chatten und Videogespräche führen kann, soll von sofort an allen weiterführenden Schulen zur Verfügung gestellt werden, Grundschulen sollen später mit einem ähnlichen Format nachziehen. Dafür investiert der Freistaat zunächst "eine niedrige zweistellige Millionensumme", wie Piazolo sagte. Sie soll als Ergänzung zur Lernplattform Mebis verwendet werden - diese hatte sich in den vergangenen Wochen als bedingt zuverlässig in der Krise erwiesen. Piazolo mahnte zugleich vor zu hohen Erwartungen: Digitaler Präsenzunterricht sei nicht das Ziel. "Das ist nicht leistbar", sagte er.

So sieht es auch Michael Schwägerl vom bayerischen Philologenverband (BPV). "Das wäre eine komplette Überforderung", sagt er. Dem stimmt Jürgen Böhm vom Realschullehrerverband zu: "Wir können nicht 200 Prozent Unterricht machen mit 80 Prozent der Lehrkräfte", sagt er. In den bereits angelaufenen Wechselmodell beobachtet er bereits "eine extreme Mehrbelastung für die Kollegen".

Bleibt die Frage, inwiefern ein weiteres Tool den oft kritisierten Mangel an Interaktivität und Feedback unter diesen Umständen kompensieren kann. Zumal mancher eher die Digitalkompetenz der Pädagogen als die Ausstattung als Problem sieht. "Teils mangelt es schlicht an der Bereitschaft", moniert Martin Löwe vom Elternverband. Das beobachtet auch Joshua Grasmüller. "Die Lehrkräfte brauchen viel mehr digitale Kompetenzen", sagt der Landesschülersprecher. Wie diese in den nächsten Wochen systematisch ausgebaut werden sollen, ließ Piazolo offen. Er verwies auf Unterstützung im Kollegium.

Angesichts der Kritik war der Kultusminister in den vergangenen Wochen massiv unter Druck geraten, nachzulegen. Bei der Pressekonferenz am Mittwoch präsentierte er sich entsprechend selbstkritisch und empathisch. Er wisse, dass nicht alles von Beginn an funktioniert habe, dass viele Eltern an ihr Limit gekommen seien. Gleichzeitig bekräftigte er seinen Kurs. Zum Beispiel keine Vereinheitlichung mit klaren inhaltlichen Leitlinien. "Die Lehrkräfte vor Ort sind die Profis", sagte er, nicht alle Klassen seien auf dem selben Stand. Er betonte auch, dass Mebis ursprünglich nicht zum Lernen zu Hause gedacht war. Mittlerweile seien die Kapazitäten aber hochgefahren worden, "dass sich jeder von morgens bis abends Mebis reinziehen kann, wenn er wollte". Auch bekräftigte Piazolo, wie wichtig Chancengerechtigkeit sei, räumte aber gleichzeitig ein: "Wir werden im Schulbetrieb nie absolute Gerechtigkeit erlangen."

Um diese zumindest ein Stück weit zu erreichen, hatte es vielerorts Rufe nach Laptops für Schüler und Lehrer gegeben. Doch auch dabei verwies Piazolo auf den bisherigen Weg, wonach solche Nöte bei Bedarf vor Ort geklärt werden. "Es ist nicht so, dass uns die Geräte aus der Hand gerissen werden", sagte er - und erntete prompt die nächste Kritikwelle: Digitale Kommunikationswege nützten nichts, wenn die Hardware fehle, ätzte die SPD. "Es fehlt letztlich an allem", monierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern. Gemeindetagspräsident Uwe Brandl hält das Konzept der geteilten Klassen gerade an kleinen Schulen für nicht praktikabel.

Nach den Abschlussklassen sind in dieser Woche die "Vorabschulklassen" zurück an den Schulen, zum Beispiel Elftklässler an Gymnasien. Kommende Woche folgen unter anderem die Erstklässler, bis Mitte Juni sollen alle Schüler wieder in die Klassenzimmer zurückkehren - zumindest in Teilzeit. Das gilt dann natürlich auch für den kleinen Ausreißer aus Ansbach.

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