Süddeutsche Zeitung

Neue Corona-Maßnahmen:Söder verschärft die Sprachregelung

Die Bayern sollen in den nächsten Wochen nur noch aus triftigen Gründen auf die Straße gehen, verkündet der Ministerpräsident. Doch außer für Schulen und Hotspots wird sich wenig ändern.

Von Andreas Glas und Anna Günther

Am Tag danach muss man doch noch mal nachhaken bei Markus Söder. Also, Frage: Gibt es denn nun irgendetwas, das sich tatsächlich ändert durch die Ausgangsbeschränkung, die von Mittwoch an überall in Bayern gelten soll? Söder (CSU) nickt, er sieht aus, als hätte er die Frage verstanden. Und umschifft die Antwort dann recht elegant. Der Ministerpräsident sagt, dass die Ausgangsbeschränkung "die gleiche wie im Frühjahr" sei, nur mit offenen Läden und einem Hausstand statt einer Person als Kontakt. Na gut, aber was ändert sich aktuell? "Daheimbleiben, nur aus triftigem Grund raus", sagt Söder, "das ist die entscheidende Botschaft."

Es bleibt bei der Erkenntnis, auch am Tag danach: Söder will Kontakte weiter reduzieren, um die Infektionszahlen endlich zu drücken. Zehn Maßnahmen hat er am Sonntag präsentiert, nach einer eilig anberaumten Kabinettssitzung. Doch zumindest hinter Maßnahme Nummer zwei, der Ausgangsbeschränkung, verbirgt sich vor allem ein Appell: daheimbleiben. Denn die Liste der triftigen Gründe ist sehr lang. Selbst der Besuch eines anderen Haushalts bleibt erlaubt, sogar Weihnachtseinkäufe sind explizit genannt. "Reine Showpolitik", sagt Martin Hagen, FDP-Fraktionschef im Landtag. "Konsequent ist nur die Inszenierung seiner Person, nicht seine Politik", sagt auch Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann über Söder.

Es gibt an diesem Montag also zwei Lesarten der Ausgangsbeschränkungen, die von Mittwoch an in Kraft treten sollen. Die söderfreundliche Lesart ist, dass auch ein Appell eine Wirkung haben kann - und dieser Appell dringend nötig ist, das zeigen ja die Infektionszahlen, die einfach nicht runter gehen. Und trotz aller Ausnahmen ist etwa der ziellose Einkaufsbummel oder das bloße Rumhängen auf der Straße kein triftiger Grund, um das Haus zu verlassen - was tatsächlich neue Verbote darstellen würde. Söder nennt das eine Kombination aus "Verständnis und Kontrolle", denn natürlich werde man das Einhalten der Ausgangsbeschränkung kontrollieren, so der Ministerpräsident.

Die weniger söderfreundliche Lesart: "Alles erlaubt, was bisher erlaubt ist", sagt Hagen. Er habe "ein Problem damit, wenn ich mich vor der Polizei rechtfertigen muss, wenn ich das Haus verlasse". Auch Hartmann sagt, es gebe "faktisch keine Veränderung". Das beschlossene Alkoholverbot im Freien sei "nachvollziehbar", wenn man die Schlangen an Glühweinständen sehe. Aber sonst? Selbst die nächtlichen Ausgangssperren in Corona-Hotspots mit Sieben-Tage-Inzidenz über 200 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner hält Hartmann für eine eher wirkungsarme Maßnahme. Anders als im Sommer sei jetzt nicht die Zeit, in der die Menschen "überall mit Bierkästen in den Parks sitzen", in den Nächten sei kaum jemand draußen. So sieht das auch Horst Arnold, Fraktionsvorsitzender der SPD: "Manche Freiheitseinschränkungen sind nicht nachvollziehbar und nicht notwendig, wenn dadurch gar keine Infektionsgefahr reduziert wird".

Veränderungen bringen Söders Pläne aber für die Schulen: Bis zum früheren Ferienbeginn am 19. Dezember sollen in ganz Bayern alle Schüler von der achten Klasse an in den Wechsel aus Distanz- und Schulunterricht. In Hotspots ab 200er-Inzidenz müssen alle Schüler ab der achten Klasse von daheim aus lernen. Und doch sind da Fragen: Wie sinnvoll ist es, dass neben Abschlussklassen auch Förder-, Fachober- und Berufsoberschüler weiter zur Schule gehen, wenn sich vor allem ältere Schüler anstecken? Was passiert im Distanz- und Wechselunterricht mit Klausuren, die in den kommenden Wochen geschrieben worden wären? Hält das Schulnetzwerk Mebis dem Digitalunterricht diesmal stand? Wie will man Vergleichbarkeit bei den Abschlussprüfungen garantieren und verhindern, dass einzelne Schüler nun wieder abtauchen, wenn laut Söder bis zu 500 000 Jugendliche nicht mehr oder nur im Wechsel in der Schule sind?

Am Dienstag will Kultusminister Michael Piazolo (FW) Antworten geben. Fragen stellen sich auch mit Blick auf Silvester. Die Staatsregierung hat ja die Lockerung der Kontaktregeln an Silvester gekippt, nur fünf Personen aus maximal zwei Haushalten dürfen zusammen feiern. Eine strenge, aber klare Regel - allerdings nur in Regionen mit Sieben-Tage-Inzidenz unterhalb der 200er-Marke. Was aber gilt in Hotspots, wenn dort zwischen 21 Uhr abends und fünf Uhr morgens Ausgangssperren greifen? Ist es ein triftiger Grund, das Haus zu verlassen, um auf der Straße eine Silvesterrakete abzufeuern? Nein, teilt das Gesundheitsministerium mit, Böllern sei nur "im eigenen Garten" erlaubt. Für das Glas Sekt um Mitternacht dürfte dann wohl das gleiche gelten. Und wie läuft das mit Besuchen am Silvesterabend? Auch die gehören laut Ministerium "in den Hotspots nicht zu den genannten Ausnahmegründen von der Ausgangssperre".

Dass Silvester kleiner ausfällt, gehört zu den Maßnahmen, die in großen Teilen der Opposition auf Zustimmung stoßen. Ebenso, dass Alten- und Pflegeheime besser geschützt werden sollen und Schulen wieder mehr in den Wechselunterricht gehen. Es ist also nicht so, dass Söders Kurs nur auf Ablehnung stößt. Selbst AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner äußert sich differenziert: "Schutz für Risikogruppen ja, aber nein zu allgemeinen Ausgangssperren". Dennoch wird die AfD nicht zustimmen, wenn der Landtag an diesem Dienstag indirekt über die neuen Corona-Maßnahmen abstimmt. Anders als die Grünen, die sich zusätzlich für Betriebs- und Ladenschließungen nach Weihnachten bis Heilige Drei Könige aussprechen. Da die Feiertage günstig fallen, könne man mit wenigen Schließungstagen viele Kontakte vermeiden. Die FDP wiederum erneuert ihre Forderung nach Massentests in Hotspots, die SPD plädiert für eine generelle Maskenpflicht auf der Straße.

Derweil deutet Söder zaghaft an, dass auch er sich Ladenschließungen vorstellen kann - und weitere Kontaktbeschränkungen.

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SZ vom 08.12.2020/syn
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