Coronavirus in Bayern:Wie Landbewohner die Pandemie erleben

Coronavirus in Bayern: Patricia und Melanie Ewerling im Garten ihres Anwesens in Gaden. "Wir sind schon froh, dass wir nicht in der Stadt wohnen", sagt Patricia Ewerling.

Patricia und Melanie Ewerling im Garten ihres Anwesens in Gaden. "Wir sind schon froh, dass wir nicht in der Stadt wohnen", sagt Patricia Ewerling.

(Foto: Sebastian Beck)

Hier die kleine Mietswohnung und kaum Auslauf, dort geräumige Häuser und viel Natur: Viele Stadtbewohner blicken derzeit neidisch raus. Fünf Landbewohner erzählen, wie es ihnen geht.

Von Sebastian Beck, Hans Kratzer und Lisa Schnell

Patricia Ewerling, Projektleiterin, Gaden bei Pförring

Sonst war das Haus tagsüber meistens leer, jetzt sind sie fast alle daheim. Patricia Ewerling, ihre Tochter Melanie und der "Schwiegersohn in spe". Lagerkoller? Ewerling lacht ihr glucksendes, lautes Lachen. Und nennt dann ein paar Zahlen. 180 Quadratmeter hat ihre Wohnung unten im ersten Stock des alten Bauernhauses, die hat sie tagsüber ganz für sich alleine, bis ihr Mann nach Hause kommt. 180 Quadratmeter auch im zweiten Stock bei ihrer Tochter und deren Freund. 5000 Quadratmeter sind es dann, wenn sie die Tür aufmacht und auf einer weiten Koppel steht, auf der drei Pferde grasen und 15 Hühner gackern. Immer gebe es was zu tun - Stall ausmisten, Eier einsammeln, Salat pflanzen - und genügend Plätze, um sich zurückzuziehen. Die Hollywoodschaukel vorm Haus etwa oder das Plätzchen direkt an der Ilm, die sich am Grundstück vorbeischlängelt. Kurz: "Man geht sich gar nicht auf die Nerven", sagt Ewerling. Wie gut es ihnen geht, das kriege sie mit, wenn sie mit ihrem Bruder telefoniert. Der wohnt mit seiner Familie in Neuaubing bei München in nur "einem Viertel Haus" mit einem "Mini-Garten". Am Wochenende sei ihr Bruder mit den Kindern früher deshalb immer zur Oma aufs Dorf, damit die Kleinen sich austoben konnten. Das ginge jetzt nicht mehr. "Wir sind schon froh, dass wir nicht in der Stadt wohnen", sagt Ewerling. Nur einmal, da waren sie sich uneins in ihrem alten Bauernhaus. Da habe es zwei Fraktionen gegeben. Auf der einen Seite die Frauen, sie und ihre Tochter, die meinten, es brauche jetzt vor allem eins: Klopapier. Auf der anderen Seite die Männer, die den Kopf geschüttelt haben. "Aber mei, was soll's", sagt Ewerling. Platz hätten sie ja genug. Alleine ihre Vorratskammer ist 20 Quadratmeter groß.

Beatrice Walser, Bürokraft in Elternzeit, Gaden bei Pförring

Coronavirus in Bayern: Johannes und Beatrice Walser mit ihrer Tochter Theresa auf der neuen Terrasse.

Johannes und Beatrice Walser mit ihrer Tochter Theresa auf der neuen Terrasse.

(Foto: Sebastian Beck)

Am Samstag, da wird Beatrice Walser wieder auf ihrer gerade fertig gewordenen Terrasse sitzen, zusammen mit ihrem Mann, dem Johannes. Die Sonne wird wohl scheinen, sie wird Marmorkuchen servieren und ein Geburtstaglied singen für Theresa, ihre Tochter, die sie "Maus" nennt und die bald ein Jahr alt wird. Normalerweise säßen da dann noch Oma und Opa, Tanten und Onkel, dieses Mal werden sie nur zu dritt sein. "Das ist schon anders durch Corona", sagt Walser. Was noch? Sie überlegt kurz. Es fällt ihr nicht viel ein. Die Chorprobe fällt noch aus jede Woche und das Babyschwimmen, aber sonst? Eigentlich alles wie immer, sagt Walser. Sie kümmert sich um die Kleine, die auf der Terrasse im Laufwagen hin und her läuft. Jeden Tag schiebt sie den Kinderwagen nur ein paar Meter zum Hochwasserdamm, bei den Donauauen, wo die Natur fast unberührt erscheint. Sie genießt dann die Weite und beobachtet die Tiere: Rehe, Hasen, Fasane, letztens ist bei ihren Schwiegereltern eine Eule durchs Fenster geflogen. Walser weiß das so genau, weil man sich trifft in einem Dorf, das nur 71 Einwohner hat. Und dann am Gartenzaun ratscht, natürlich mit zwei Meter Abstand. Isolation? Eher das Gegenteil. Sie sehe sogar mehr Leute als sonst, weil viele jetzt von daheim arbeiten, sagt Walser. Ihr Mann ist auch im Homeoffice, ein Corona-Effekt, den sie ziemlich gut findet. Ihr gefällt, dass er seine Tochter jetzt mehr sieht und beim Mittagessen daheim ist. Und wenn ihr mal was fehlt? Blumen etwa für den Garten, ist ja alles zu. "Da weiß man, wen man anrufen muss." Gerade hat sie von einer Freundin Veilchen bekommen und Narzissen. Gleich geht sie wieder raus in den Garten.

Andrea Erndt, Fachverkäuferin, Triftern

Coronavirus in Bayern: Andrea Erndt füttert ihre Hühner.

Andrea Erndt füttert ihre Hühner.

(Foto: Sebastian Beck)

Urlaub? Andrea Erndt lacht. Also, mit der Schulklasse ist sie mal nach Berlin gefahren, dann war sie zweimal in Italien und noch am Wörthersee. Das war's auch schon. "Ich brauche keinen Urlaub", sagt sie. Warum sollte sie auch wegfahren? Sie lebt zusammen mit ihrer Tochter Kristina und ihrem Mann Franz ohnehin in einer Art Ferienparadies. Wer sie besuchen will, braucht ein gutes Navi, denn hinter Triftern im niederbayerischen Rottal geht es noch weiter bis ins versteckte Dreimühlental hinein. Dort leben die Erndts auf einem drei Hektar großen Anwesen mit geschätzten 30 Hühnern, zwei Pferden, einem Pony, diversen Katzen, einem Fischweiher und einem Gewächshaus. Das Wort "Ausgangsbeschränkung" bedeutet dort eher wenig, obwohl auch die Erndts die Folgen der Coronakrise zu spüren bekommen haben. Kristina hat jetzt schon ziemlich lange Ferien und vermisst langsam ihre Freundinnen, Mutter Andrea arbeitet sonst in Pfarrkirchen und ist freigestellt. Und Vater Franz fährt nur noch jede zweite Woche zu Wackerchemie nach Burghausen. Daheim aber finden es die Ernsts ohnehin am schönsten. "Das ist das Höchste", sagt Andrea. "Ich bin ein Naturmensch." Das Osterprogramm steht: Erst wird sie ein paar Nester verstecken und danach wird unten am Weiher gegrillt.

Eva Hörhammer, Autorin und Herausgeberin, Bayerbach

Coronavirus in Bayern: Eva Hörhammer sitzt an ihrem Lieblingsplatz an der Rott.

Eva Hörhammer sitzt an ihrem Lieblingsplatz an der Rott.

(Foto: Sebastian Beck)

Schon seit ihrer Kindheit hat Eva Hörhammer einen Lieblingsplatz, unten am Stauwehr an der Rott, dem kleinen Fluss, der sich hier durch die Wiesen schlängelt. Ein paar Kilometer weiter liegen die Kurorte Bad Griesbach und Bad Birnbach. Bayerbach - 1700 Einwohner - kann eine Bahnstation vorweisen, die Pizzeria Piano, einen Maibaum, vor allem aber Wälder und Äcker, also viel freies Land mit einem weiten Himmel drüber. Das ist auch der Grund dafür, warum es Eva Hörhammer immer wieder hierher zurückgezogen hat. Zuletzt lebte sie für ein paar Jahre im Bayerischen Wald. Und nun also wieder in Bayerbach. "Für mich ist das ein idealer Lebensort" sagt sie. In München war sie zum letzten Mal 2012, es gibt nichts, was sie dort hinziehen würde. In die Stadt will sie auf keinen Fall. Eva Hörhammer kennt sich dafür in ihrer Heimat bestens aus: Sie gibt das Magazin "Rottaler Gsichter" heraus, in dem sie spannende Menschen aus der Region vorstellt. Ja klar, auch sie bekommt die Krise zu spüren: Für ihren fünfjährigen Sohn Albert gibt es derzeit keine Kinderbetreuung, sie muss sich damit arrangieren. Aber große Sorgen wegen der Pandemie macht sich Eva Hörhammer nicht. Das sei nun mal nicht ihre Art. Lieber geht sie an der Rott spazieren.

Reinhard Wittmann, Ruheständler, Fischbachau

Coronavirus in Bayern: Reinhard Wittmann sitzt vor seinem Bauernhof.

Reinhard Wittmann sitzt vor seinem Bauernhof.

(Foto: Sebastian Beck)

Dass seine Familie auf dem gut 750 Meter hoch gelegenen Einödhof an der Leitzach nahe Fischbachau ein privilegiertes Leben genießt, dessen ist sich Reinhard Wittmann sehr bewusst. "Für uns war es eine Lebensentscheidung, hierher zu ziehen, große Urlaubsreisen gehen da nicht mehr. Das letzte Mal sind wir vor 20 Jahren weggeflogen", sagt Wittmann. Eigentlich ist er ein geborener Münchner, ein Stadtmensch. Er hat lange die Literaturabteilung des Bayerischen Rundfunks geleitet, er ist ein belesener Mensch mit Professorentitel. Und doch regte sich in ihm schon früh die Vorstellung von einem anderen Leben, fern der Stadt. Diesen Wunsch hat er sich in den 80er Jahren mit dem Erwerb des einsam in einer Bilderbuchlandschaft gelegenen Hofs erfüllt. Damals konnte man solche Objekte noch zu einem annehmbaren Preis erwerben. Um in dieser Abgeschiedenheit zu leben, braucht es aber eine stabile Partnerschaft. "Man muss das Landleben aushalten", sagt Wittmann. Ein Konzertabo in der Stadt wird da schnell anstrengend, schon der weiten Fahrten wegen. Er komme kaum noch nach München, er vermisse die Stadt aber überhaupt nicht, er fremdle dort sogar.

Auf dem Hof gebe es ständig viel zu tun, sagt Wittmann. "Der Tag ist angefüllt mit sinnvoller Arbeit. Man ist zu zehn Prozent Gutsherr, zu 90 Prozent Hausknecht." Drei Hektar Wald gehören im Umgriff dazu, plus ein paar Wiesen, dazu Hühner und Kleintiere. Man müsse das alles auch ohne landwirtschaftliche Großmaschinen erhalten. Und man lerne dabei, dass es unordentliche Eckerl braucht, in denen sich viel Leben entwickelt, von der Kreuzotter bis zum Eisvogel tummeln sich rund um den Hof alle möglichen Tierarten. Das wecke ein vertieftes Verständnis der Natur, "von der wir den Eindruck haben, dass sie jetzt in der Corona-Krise ein bisserl verschnaufen darf." Gerade in den abgelegenen Tälern sei oft zu beobachten, wie zupackend sich Ausflügler darin bewegen, ohne Rücksicht auf brütende Vögel etwa. "Mittlerweile merkt man doch stark, wie entfremdet wir der Natur eigentlich sind." Hier zu leben, bedeute Verantwortung, sagt Wittmann. "Der denkmalgeschützte Hof ist auch unsere Sparbüchse. Man muss den Erhalt als Auftrag verstehen."

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