Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Lehrer an die Hotlines

  • 3000 Beamte und Staatsangestellte aus anderen Bereichen sollen bei den Gesundheitsämtern aushelfen - darunter viele Lehrer.
  • Lehrer sind zunächst bis zum 19. April abgeordnet - dann enden die Osterferien.
  • Um die Mitarbeiter gibt es mitunter noch Verwirrung. Zudem fehlen die Computerarbeitsplätze vielerorts.

Von Florian Fuchs, Anna Günther, Matthias Köpf und Lisa Schnell

Ihr erster Tag im Deggendorfer Gesundheitsamt ist wenige Stunden alt, da türmen sich neben Claudia Besendorfer schon Dutzende Briefe. Bescheinigungen für Menschen, die nach der Corona-Quarantäne wieder arbeiten wollen oder etwa zur Dialyse ins Krankenhaus müssen. Ohne Besendorfers Schreiben geht nix. Schreiben im Akkord, das machen sonst eher ihre Schüler, nicht Besendorfer, die Lehrerin. Die Schüler seien versorgt nach zweieinhalb Wochen digitalem Unterricht, sagt Besendorfer, 33. Normalerweise unterrichtet sie Wirtschaft, Religion und Wirtschaftsinformatik an einem Straubinger Gymnasium. Als der Aufruf ihrer Chefin kam, sagte Besendorfer sofort zu. Jetzt ist sie eine von Hunderten Beamten und Staatsangestellten, die derzeit fachfremd in den Gesundheitsämtern aushelfen. Nun will die Staatsregierung weitere 3000 dazu abordnen.

"Ich will unbedingt der Gesellschaft helfen und mehr tun als nur daheim am PC die Schüler unterrichten", begründet Claudia Besendorfer, warum sie sich freiwillig gemeldet hat. Für sie als Lehrerin würden in wenigen Tagen die Osterferien beginnen, das Experiment Digitalunterricht ist erst einmal vorbei. Ihr Mann war einverstanden, Kinder haben sie nicht. "Die Ferien werden halt jetzt anders", sagt sie. Stressiger, so viel ist schon klar.

"Man merkt, was für eine Hektik ist und was für ein Betrieb", sagt Besendorfer. Die Einarbeitungszeit fiel kurz aus, die Lehrer packen sofort an. Eine Kollegin telefoniere nonstop mit Infizierten, erzählt Besendorfer. Bis zum 19. April ist sie ans Landratsamt Deggendorf abgeordnet, wie es im Beamtendeutsch heißt. Vorerst. Im Aufruf des Kultusministeriums steht, dass der Einsatz auch länger dauern kann.

Die Staatsregierung hat schon Mitte März über die Ministerien nach Mitarbeitern mit medizinischen Vorkenntnissen und nach Freiwilligen suchen lassen. 800 neue Mitarbeiter sollten die Gesundheitsämter damals erhalten, laut Gesundheitsministerium hat ein Großteil davon die Arbeit inzwischen aufgenommnen. Das Kultusministerium sollte 200 Lehrer bereitstellen, 1000 haben sich gemeldet. An der Kommunikation mit den Freiwilligen scheint es in mancherorts aber noch zu hapern.

Zwar gingen die offiziellen Bescheide an die Lehrer in diesen Tagen raus, sie sollten also jetzt wissen, dass und wohin sie abgeordnet wurden. Aber mancher Schulleiter hatte weder vom zuständigen Landratsamt noch von seinen Lehrern etwas gehört; und auch in Deggendorf wartete eine Lehrerin auf den Anruf aus dem Amt, während man sich dort wunderte, wo sie bleibt. Ihre Kontaktdaten hatte das Amt nicht, obwohl die Schule alles ans Ministerium gemeldet hatte. Insgesamt sind sieben Beamte ans Deggendorfer Landratsamt ausgeliehen, darunter vier Lehrer und eine Ärztin.

Im Landratsamt Miesbach stehen dem Gesundheitsamt derzeit sechs zusätzliche Staatsbedienstete zur Verfügung. Vier kommen von der staatseigenen Spielbank in Bad Wiessee, die beiden anderen sind Lehrer. Sie alle schieben Telefondienst an der Corona-Hotline des Landkreises, die an sieben Tagen die Woche besetzt ist. Dort beantworten sie Fragen von Anrufern, die etwa wissen wollen, ob sie als Kontaktpersonen von Infizierten in Quarantäne müssen oder wo die sich testen lassen können.

Beim Gesundheitsamt Lindau geht es ebenfalls um die Besetzung der Hotline, aber auch um die Beschaffung von Materialien. Da das Landratsamt hauptsächlich eigene Mitarbeiter aus anderen Fachbereichen für diese Aufgaben abgezogen hat, könnten andere Anliegen von Bürgern eingeschränkter als üblich bearbeitet werden. Auch das Gesundheitsamt Oberallgäu hat 20 Angestellte aus weniger gefragten Bereichen wie der Schulsozialarbeit ins Gesundheitsamt abkommandiert.

"Bei der Hotline gibt es ganz vielfältige Anfragen", sagt eine Sprecherin. Die neuen Mitarbeiter wurden kurz eingelernt und bekommen meist einen Katalog mit den Antworten auf die wichtigsten Fragen ausgehändigt. Zum anderen erledigt das aufgestockte Personal Anrufe zur Kontaktermittlung und bei Bürgern, die für einen Abstrich einbestellt werden. Wer positiv ist, dessen Infektionskette soll nach Möglichkeit zurückverfolgt werden.

Solche Aufgaben erledigen auch die externen Helfer im Gesundheitsamt Rosenheim. Zehn bis 15 seien es derzeit, sagt Behördenleiter Wolfgang Hierl. Genau wie im Oberallgäu sind auch in Rosenheim noch keine der 3000 weiteren Kräfte angekommen, die Ministerpräsident Markus Söder nach dem Kabinettsbeschluss vom Dienstag zusätzlich angekündigt hat. Sie sollen auf unbestimmte Zeit zur Verfügung stehen und vor allem diese eine Aufgabe haben: Nachforschen, wo Infektionen ihren Anfang nahmen. Dafür bekamen sie mit dem Namen "Contact Tracing Teams" einen Titel, der ein wenig an Actionfilme erinnert.

Trotz des leicht detektivischen Charakters sollen Polizisten ausgespart werden, sagte Ministerpräsident Söder. Die Aufnahme der neuen Arbeit erfolge freiwillig, heißt es aus dem Gesundheitsministerium, es könnten aber im Einzelfall auch Abordnungen folgen. Der Rosenheimer Behördenleiter Hierl kann die zusätzlichen Leute nach eigenen Worten gut gebrauchen, sieht aber auch gewisse Probleme. So müssten die Helfer erst geschult werden, um einen einheitlichen Standard zu wahren. Außerdem bräuchten sie entsprechende zusätzliche Computerarbeitsplätze, und die könnten zumindest in Rosenheim kaum alle direkt im Gesundheitsamt oder im Landratsamt eingerichtet werden.

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SZ vom 02.04.2020/vewo
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