Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Saure Zeiten für die Gurke

Als "Gemüse des Jahres" wähnte sich die Gurke fast schon in einer Reihe mit Superfood wie Chiasamen und Gojibeeren. Doch seit dem Corona-Ausbruch in Mamming ist wieder mal alles Essig

Kolumne von Nadeschda Scharfenberg

Eine Weile sah es tatsächlich so aus, als liege für die Gurke alles im grünen Bereich. Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt hatte sie zum Gemüse des Jahres 2019/2020 gekürt, die Welt adelte sie zum "wahren Power-Gemüse", das sowohl gegen Übergewicht hilft als auch gegen Kater, Mundgeruch und Alzheimer (zumindest bei Mäusen) und sich überdies zum Blankpolieren der Spüle eignet. Und die bayerische Gurkenkönigin Lisa I., fein in Schale geworfen, stellte bei ihrer Inthronisierung im Juli 2019 ihre Amtszeit unter das Motto: "Die Bayerische Gurke, knackig-frische Königin der Brotzeit!" Doch das Glück der Gurke, es währte nur kurz. Jetzt, ein Jahr später: alles Essig.

Der Corona-Ausbruch auf einem Gurkenhof in Mamming hat ihre Aufstiegskurve jäh abgeflacht. Kurz durfte die Gurke sich in einer Reihe wähnen mit sagenumwobenen Superfood-Größen wie Adzukibohnen, Chiasamen oder Gojibeeren, doch nun fällt sie, die zum Gedeihen reichlich Sonne braucht, zurück in ihr Schattendasein. Wie war das damals bei Ehec? Da rankten sich auch schon Gerüchte um die Gurke. Am Ende waren's die Bockshornkleesamen, aber das Misstrauen wäscht man nicht so schnell ab.

Kein Gemüse ist metaphorisch so schlecht beleumundet wie die Gurke. Okay, man hat Tomaten auf den Augen, es gibt Kartoffelnasen und Blumenkohlohren, aber diese Gewächse trifft es sprachlich längst nicht so hart wie die Gurke. Gurkentruppe, Saure-Gurken-Zeit, sinnloses Herumgegurke. Derlei Wortwitze findet die Gurke nicht gerade zum Krummlachen.

Und dann musste sie sich auch noch jahrzehntelang der EU-Bürokratie beugen, genauer: der Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken, die besagte: Nur eine Gurke mit einer Maximalkrümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter Länge ist eine schöne Gurke. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet Edmund Stoiber, dessen Glamourfaktor etwa auf einem Level mit dem der Gurke ist, die Sache geradebog.

Es ist nun am Verband der Bayerischen Sauerkonservenindustrie e.V. und an Lisa I., sich eine knackige Kampagne zum Wohle der Gurke auszudenken. Damit sich die Imagekrise nicht allzu sehr ins Längliche zieht.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2020/lfr
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