Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Den Bayern ist der Bierdurst vergangen

Volksfeste abgesagt, Biergärten zu: Vor allem die kleinen Brauereien im Land klagen über Absatzeinbrüche und den Preisdruck durch die Industrie.

Von Johann Osel

Der Name des kleinen Bierfestivals ist Programm, beziehungsweise wäre es wieder mal gewesen. "Kleine Brauer, große Biere" heißt seit 2008 eine jährliche Veranstaltung von gut zwei Dutzend kleinen Betrieben aus der bayerisch-österreichischen Grenzregion, von hüben wie drüben. Als Leistungsschau der Biervielfalt hat sich das Ganze etabliert, so klein die Unternehmen sein mögen, so groß ist die geschmackliche Raffinesse ihrer Sortiments. Jedes Mal trifft man sich woanders und bietet den Gästen Verkostungen und Informationen, jetzt im April wäre die Klosterbrauerei Baumburg im Kreis Traunstein Ausrichter gewesen.

Natürlich ist das abgesagt, womöglich im Herbst will man es nachholen, oder erst 2021. Ob dann noch alle Brauereien bestehen? "Ich hoffe es sehr", sagt Bernhard Kuhn vom Weißbräu in Freilassing, dessen hefig-harmonischen Trunk manche Kenner zu den besten Weißbieren überhaupt zählen. Nur, dass Kuhn sein Bier gerade kaum an den Kunden bekommt.

Das Gasthaus und der schattige Biergarten in Freilassing sind geschlossen, die wenigen belieferten Lokale ebenso. Im Einzelhandel ist er kaum vertreten. Klar, es gibt einige Abholer, auch Kunden, die an seinem Kiosk eine Schnitzelsemmel kaufen, nehmen mal einen Kasten Weißbier mit. "Aber das allein ist nicht das Gelbe vom Ei." Vor allem Stammkunden aus Österreich, die zum Weißbierholen eigens einreisen, fallen aus - die Grenze ist auch dicht. "Tote Hose", bilanziert Kuhn. Er will nun die Küche renovieren, wenn das Geld reicht, will abwarten und das Beste hoffen. Und seinen Kollegen bei den kleinen Brauern mit den großen Bieren gehe es nicht anders.

Die Corona-Krise mit ihren Schutzmaßnahmen trifft das Bierland Bayern vehement. Auch die großen Player sind betroffen, der Export von bayerischem Bier ist weitgehend zusammengebrochen. Gerade aber für mittelständische und kleine Brauereien, deren Schwerpunkt auf Gastronomie und Festen liegt, wird die Lage zunehmend existenzgefährdend. Viele üben dennoch auch Solidarität mit "ihren" Wirten, setzen Pacht aus oder nehmen Fässer zurück. Halbwegs gut durch die Krise scheinen diejenigen zu kommen, die im Einzelhandel gelistet sind; wobei auch hier eine Delle droht, weil private Vergnügen wie Grillpartys oder Fußballschauen ausfallen. "Wir befürchten, dass in den kommenden Wochen Gastronomen, aber auch Brauereien den Kampf ums Überleben verlieren werden," meldet der Bayerische Brauerbund. Als Grundregel dürfte gelten: Je höher der Gastronomieanteil am Umsatz, desto heikler die Situation. Auch von Pleiten wird bereits berichtet, wobei diese Meldungen derart zügig am Krisenbeginn kamen, dass wohl schon zuvor vieles im Argen lag.

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In Gefahr ist letztlich die heimische Biervielfalt: Laut Statistischem Landesamt hat Bayern nicht nur den höchsten Bierabsatz aller Bundesländer, sondern auch die meisten Brauereien: Mehr als 40 Prozent der Braustätten bundesweit haben ihren Sitz im Freistaat, zuletzt gut 650 Betriebe. Die Mehrheit davon produziert nur einige tausend oder wenige zehntausend Hektoliter im Jahr. Am höchsten ist die Brauereidichte in Oberfranken, nirgends auf der Welt gibt es so viele pro Einwohner - mit oft kleinen Strukturen. "Das Wirtshaus im Dorf, Bratwürste aus eigener Schlachtung, das eigene Bier - das war's oft fast", beschreibt es Georg Rittmayer. Er ist Chef der gleichnamigen Brauerei in Hallerndorf bei Forchheim, die Liebhaber etwa mit ihrem malzigen Kellerbier begeistert, und Präsident des Verbandes der privaten Brauereien in Bayern. "Für fassbierlastige Brauereien ist das jetzt die Katastrophe schlechthin", sagt er und verweist auf brachliegenden Gastronomiebetrieb sowie abgesagte Kirchweihen und Dulten.

Staatliche Maßnahmen wie Kredite oder Steuerstundungen griffen zu kurz als Rettung. Sein Appell an die Regierung lautet: Lockerungen bei Biergärten. "Auf der Bierbank haben normal sechs bis acht Leute Platz. Warum nicht jetzt mit Abstandsregeln und klar markierten Plätzen öffnen, mit zwei oder vier Sitzplätzen pro Bank?" Ansonsten rät er seiner Zunft, "sich auf die Hinterfüße zu stellen, kreativ zu werden": etwa Mitnahmeangebote auszubauen, "Bier to go" - in fränkischen Dörfern gab es das schon immer, dass man sich ein, zwei frische Maß mit Steinkrügen mit nach Hause geholt hat. Rittmayer hat ohnehin einen Getränkemarkt, auch bei der Essensabholung im Wirtshaus können sich die Kunden nun zum Schäufele oder Schnitzel Bier mitnehmen. Was ihm Sorge bereitet: "Kampfpreise der Industriebrauereien" im Supermarkt, "so aggressiv, dass einem schlecht wird".

Auch Weißbierbrauer Kuhn in Freilassing sind "Dumpingpreise" aufgefallen, "das ist Gift für uns Kleine." In der zuletzt florierenden Craftbeer-Szene wird das ebenso beklagt. Solchen Mini-Brauereien mit modernen Bierstilen fehlen Szenekneipen für den Absatz der meist hochpreisigen Biere. "Wenn ich mit zwei Euro Verkaufspreis pro Flasche in den Handel will, lachen die", sagt ein Insider. Zumal, wenn Großbrauereien "zu jeder Kiste einen Sechserpack gratis dazugeben".

"Durchhalten" sei das Gebot der Stunde, sagt Rittmayer. Derzeit müsse man halt "auch ans Tafelsilber ran und nicht nur jammern". Sein Familienunternehmen geht auf das Jahr 1422 zurück. "In der Zeit haben wir den Schwedenkrieg und die Pest überlebt, Weltkriege und Krisen zwischendurch, von denen ich gar nichts weiß." Durchhalten - das sieht er als Pflicht gegenüber künftigen Generationen und den Ahnen. Es sei nur eine Frage der Zeit, "bis wieder was geht". Die Loyalität fränkischer Biertrinker zeigt sich dieser Tage jedenfalls an einer Aktion: Der Verein Bierland Oberfranken hat ein Spendenkonto für bedrohte Brauereien eingerichtet - um zusammen die "jahrhundertealte fränkische Bierkultur" zu erhalten.

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SZ vom 17.04.2020/vewo
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