Corona-Pandemie:Wie Infektpraxen den Ärzten helfen sollen

Corona-Pandemie: Max Kaplan, langjähriger Präsident der Bayerischen Ärztekammer, ist Versorgungsarzt im Unterallgäu.

Max Kaplan, langjähriger Präsident der Bayerischen Ärztekammer, ist Versorgungsarzt im Unterallgäu.

(Foto: Florian Fuchs)

Der Versorgungsarzt des jeweiligen Kreises kann bestimmen, welcher Mediziner Covid-19-Verdachtsfälle behandeln soll. Das ruft Kritik hervor.

Von Florian Fuchs

Wer in die neue Infektpraxis in Mindelheim kommt, füllt am Empfang zunächst einen Fragebogen aus: Fieber? Kurzatmigkeit? Husten? Anschließend weist der rote Pfeil an der Wand den Weg: Wartebereich 1, wobei die Patienten mit Corona-Verdacht im Gegensatz zu anderen Infektpatienten in einem eigenen Wartezimmer Platz nehmen, mit weit auseinandergerückten Stühlen. Von dort aus geht es zum Arzt, den Filzteppich im Behandlungszimmer haben sie noch rausgerissen, es braucht jetzt einen Boden, der leicht zu wischen ist. Die Untersuchung wird auf das Nötigste reduziert, "schmale Diagnostik" nennt das der neue örtliche Versorgungsarzt Max Kaplan: Puls, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung - und bei Bedarf natürlich ein Corona-Test.

Von Donnerstag an wird die Infektpraxis für den Landkreis Unterallgäu in Betrieb gehen, der langjährige Präsident der Bayerischen Ärztekammer und Vizepräsident der Bundesärztekammer Kaplan hat sie eingerichtet. "Notfallplan Corona-Pandemie: Aufrechterhaltung der Arztversorgung während des festgestellten Katastrophenfalls", ist die entsprechende Verordnung des Gesundheitsministeriums überschrieben, wonach nun alle Landkreise und kreisfreien Städte in Bayern einen sogenannten Versorgungsarzt eingesetzt haben, der die medizinischen Abläufe je nach regionaler Notwendigkeit organisieren soll.

Planen, managen, koordinieren, das sind die Aufgaben der von Landräten und Oberbürgermeistern eingesetzten Ärzte. Sie sollen die Abläufe in ihrer Region so regeln, dass die niedergelassenen Ärzte sich nicht scharenweise mit Corona anstecken und ausfallen, dass sie weiter auch anderen Krankheiten behandeln können. Und dass Patienten mit Corona-Verdacht bei der Aufnahme möglichst wenig mit anderen Menschen in Kontakt gelangen.

Die Landkreise gehen die Aufgabe unterschiedlich an: Der Versorgungsarzt des schwäbischen Landkreises Dillingen etwa hat den niedergelassenen Ärzten einen Brief geschrieben. Dort führt er aus, dass sich schon einige Praxen gemeldet haben, als Corona-Schwerpunktpraxen Verdachtsfälle zu behandeln. Details seien noch zu klären. Um andere Hausärzte zu entlasten, richten Ärzte in verschiedenen Regionen Bayerns in ihren Räumen Infektsprechstunden ein, zu denen nur Infektpatienten eingelassen werden. Andere Praxen wiederum haben zwei Eingänge und können Verdachtsfälle räumlich trennen. Es gibt Landkreise, die bauen Container auf, um dort mögliche Corona-Infizierte zentral untersuchen zu lassen. Im Landkreis Unterallgäu haben sie innerhalb einer Woche ein leer stehendes Betriebsgebäude gleich ums Eck vom örtlichen Krankenhaus umgebaut. Die Wege sind kurz: "Das ist natürlich auch ein großer Vorteil", sagt Landrat Hans-Joachim Weirather.

17 648 Hausarztpraxen gibt es im Freistaat, die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) meldet inzwischen, dass 244 davon geschlossen sind: 141 wegen Quarantäne, 82 wegen fehlender Schutzausrüstung, 21 wegen fehlender Kinderbetreuung. "Ich habe die letzten Woche einige Kollegen erlebt, die ausgefallen sind, weil sie ins offene Messer gelaufen sind", sagt auch Ludwig Walters, Leiter des Unterallgäuer Gesundheitsamtes. Um solche Ansteckungen von Ärzten zu vermeiden, braucht es neben mehr Schutzkleidung eben auch eine bessere Koordinierung der Untersuchungen von Patienten.

Kaplan erstellt gerade den Dienstplan für die Ärzte in seinem Landkreis, die Infektpraxis hat vormittags und nachmittags drei Stunden und auch am Wochenende geöffnet. Patienten sollen bei ihrem Hausarzt anrufen, Verdachtsfälle schickt dieser dann zu der neuen Stelle nach Mindelheim. Der diensthabende Arzt dort ordnet an, wer sich zu Hause kuriert und wer so schwer erkrankt ist, dass er ins Krankenhaus muss. "Dort soll nur eingeliefert werden, bei wem das unbedingt notwendig ist", sagt Kaplan. "Wir müssen Ressourcen schonen." Wenn sich viele niedergelassene Ärzte freiwillig für Dienste melden, ist jeder nur einmal alle ein oder zwei Wochen für je drei Stunden an der Reihe. Finden sich nicht genug Ärzte, so kann Kaplan diese auch zwangsverpflichten.

Dass die Selbstverwaltung der Ärzte aufgehoben ist, ist auch für Kaplan eine gewöhnungsbedürftige Situation. "Aber wir brauchen jetzt schnelle Entscheidungen vor Ort, und dafür ist die Struktur mit den Versorgungsärzten gut." Landrat Weirather berichtet, dass es deshalb Probleme gab zwischen bayerischen Behörden und der Kassenärztlichen Vereinigung. Die KVB hatte in einer Mitteilung von einem "Ausdruck des Misstrauens" gesprochen, dass der Freistaat nun auf Zwangsrekrutierungen statt auf Freiwilligkeit setze. Die Ärzte seien hoch leistungsfähig und leistungswillig. Nun heißt es bei der KVB, dass man "vollstes Vertrauen in die Versorgungsärzte" setze und diese mit lokalen Lagezentren unterstütze.

Zwangsverpflichtungen wären auch im Landkreis Unterallgäu das letzte Mittel. "Wir setzen auf Transparenz und dementsprechend gute Zusammenarbeit mit unseren Ärzten hier", sagt Kaplan. 40 bis 60 Patienten sollen pro Tag durch die Infektpraxis geschleust werden, der auch die ausgegliederte Bereitschaftspraxis des Kreisklinik Mindelheim angegliedert ist. Walters, der Leiter des örtlichen Gesundheitsamtes, will den Bürgern so auch wieder Sicherheit vermitteln: Die vergangenen Wochen sei eine gewisse Hilflosigkeit zu spüren gewesen, sagt er, wie mit Patienten, die unter einer Infektion leiden, umgegangen werden solle.

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