Corona-Politik in Bayern:"Die Jugend hat einen zu hohen Preis gezahlt"

Corona-Politik in Bayern: Zu einer Impflicht würde sie wieder raten, sagt Johanna Haberer. Andere Entscheidungen sieht sie kritischer.

Zu einer Impflicht würde sie wieder raten, sagt Johanna Haberer. Andere Entscheidungen sieht sie kritischer.

(Foto: Vera Tammen)

Schulschließungen, Ausgangssperren und das Verbot, Freunde zu treffen: Für die nächste Krise muss die Staatsregierung die Corona-Politik aufarbeiten, sagt Ethikratsmitglied Johanna Haberer. Aber hört Markus Söder überhaupt auf ihren Rat?

Von Nina von Hardenberg

Mit Johanna Haberer hat der Bayerische Ethikrat ein Mitglied, das ein Gespür für die Nöte der Menschen in der Corona-Krise gehabt haben dürfte. Die Theologieprofessorin, gelernte Pfarrerin und Journalistin sitzt im Aufsichtsrat der Augustinum Gruppe, zu der 24 Seniorenheime, eine Klinik, Schulen und Behinderteneinrichtungen gehören. Bis zu ihrer Pensionierung leitete sie zudem die Abteilung Christliche Publizistik an der Theologischen Fakultät der Uni Erlangen-Nürnberg. Corona hat seinen größten Schrecken verloren, aber genau darum ist es Zeit für einen Blick zurück, sagt sie.

SZ: Frau Haberer, der Ethikrat wurde im Oktober 2020 eingesetzt, da war Corona schon voll im Gange. Sie sollten die Politik beraten. Wie groß empfanden Sie die Last der Verantwortung?

Johanna Haberer: Die Last war allerdings groß. Einer meiner Albträume war die Vorstellung, dass es zu einem Massensterben in den Seniorenheimen kommen könnte. In einigen Heimen Deutschlands ist das ja passiert. Ich bin auch noch im Aufsichtsrat der Augustinum Gruppe, die 7500 alte Menschen in ganz Deutschland betreut. Ich glaube, in den vergangenen Jahren hat keiner der Geschäftsführer dieser Einrichtungen gut geschlafen. Im Rat selbst hatten wir ein großes Spektrum an Einstellungen. Es ist uns aber in den Stellungnahmen gelungen, einen zukunftsweisenden Blick einzunehmen, ohne uns auf die Polarisierungen einzulassen.

In der Öffentlichkeit wurde der Ethikrat wenig wahrgenommen. Presseecho gab es vor allem auf den Rauswurf des Philosophen und Wirtschaftsinformatikers Christoph Lütge, der die Corona-Beschränkungen als völlig überzogen abgelehnt hatte.

Wir wurden dazu nicht konsultiert. Wir haben danach einen Brief an das Kabinett geschrieben, dass uns das in der Öffentlichkeit sicher nicht gestärkt hat. Es ging uns weniger um den Verlust dieser Person oder Meinung. Es war nach den ersten Sitzungen klar, dass es da Haarrisse gab. Aber man hätte das im Diskurs klären können.

Der Ethikrat galt manchen danach als Markus-Söder-Stromliniengremium. Ist er das?

Nein. Aber der Bayerische Ethikrat hat - anders übrigens als der Deutsche Ethikrat - nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Unser Auftrag ist es, Ministerpräsident Markus Söder und das Kabinett zu beraten. Wir haben versucht, konstruktiv auf die Regierung einzuwirken. Die Staatsregierung hat unsere Idee der Sommerschulen, bei denen Kinder verpassten Lehrstoff nachholen können, aufgegriffen. So wie die Kurse aufgesetzt wurden, waren sie allerdings ein ziemliches Verwaltungsmonster. Immerhin sind unsere Vorschläge öffentlich. Die werden auch nicht zensiert. Da kann ja jeder nachlesen, was wir empfohlen haben und vergleichen, was daraus wurde.

Der Ethikrat hat relativ früh schon eine Aufarbeitung der Pandemie-Politik gefordert: Einen Kongress mit Vertretern aller Lager, der sich auch um Versöhnung bemüht, und eine Task Force, die Entscheidungen für künftige Krisen vorbereitet.

Davon ist nichts umgesetzt worden. Es ist aber immer noch nicht zu spät. Ich glaube, so eine öffentliche Debatte auf einem Kongress wäre wichtig. Die gesundheitliche Bedrohung hat sich abgeschwächt. Jetzt behaupten manche: "Wir haben schon immer gesagt, wir brauchen keine Impfung und keine Masken, endlich begreift es jemand." Eine solche kurzfristige triumphale Äußerung übersieht aber, dass sich die Lage verändert hat. Am Anfang gab es keine Impfung und dafür die Sorge, dass sehr viele Menschen sterben könnten. Es wäre wichtig, das noch mal durchzudeklinieren. Hat man unter jenen Voraussetzungen damals richtig entschieden? Wie hätte man die Menschen schützen können, ohne dass der Staat als erdrückender Machtfaktor wahrgenommen wird, der einfach durchregiert? Denn das war es ja, was ein Teil der Bevölkerung empfunden hat, und auch zu Recht. Gerade in Bayern hat der Staat massiv in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen.

Sie meinen die Ausgangssperren, die Schulschließungen, den Ausschluss Ungeimpfter oder das Verbot, allein auf der Parkbank zu lesen?

Ja, da waren viele Momente, in denen das Leben des Einzelnen stark beeinträchtigt war. Das kann man nicht undiskutiert so stehen lassen.

Haben Sie selbst eine Empfehlung bereut? Der Ethikrat hat sich ja zum Beispiel als letztes Mittel auch für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen.

In dieser medizinischen Frage bin ich sehr klar: Ich würde im Notfall auch zu einer Impfpflicht raten. Was ich aber gar nicht mehr, oder nur in der äußersten Notlage empfehlen würde, ist Schulen zu schließen. Die Jugend hat einen zu hohen Preis gezahlt.

Eine Aufarbeitung der Corona-Politik fordert auch die Opposition in Bayern. Die CSU will das Thema eher abhaken ...

Unsere Berufungszeit läuft ja im Herbst ab. Im Mai gibt es noch mal ein Treffen mit Ministerpräsident Söder und einigen Mitgliedern des Kabinetts. Ich hoffe, dass wir da noch mal eine Duftmarke setzen können. Es liegt auf der Hand, dass das nötig ist.

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