Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:"Bitte gehen Sie nicht in die Berge!"

  • Der Deutsche Alpenverein (DAV) appelliert an Bergsteiger, am Wochenende nicht in die Berge zu fahren.
  • Es gebe eine Reihe von Gründen, wegen der Corona-Krise auf Ausflüge zu verzichten.
  • Erste Gemeinden in Alpennähe greifen zu drastischen Maßnahmen, um einen Besucheransturm zu verhindern.

Von Thomas Becker

Die Aussichten fürs Wochenende: keine Wolke weit und breit, 13 Stunden Sonne. Ein Traum - es sei denn, man ist bei der Bergwacht und hat am Wochenende Dienst. Denn die Befürchtungen, dass es am Wochenende trotz der Ausgangsbeschränkungen viele an die Seen und in die Berge locken könnte, sind groß. Der Landkreis München rief am Freitag präventiv dazu auf, die Erholungsgebiete zu meiden, also nicht in die Isarauen aufzubrechen, an den Deininger Weiher oder an den Feringasee. In Starnberg wurden aus diesem Grund die öffentlichen Stege bereits gesperrt.

Die Gemeinde Aschau im Chiemgau geht noch weiter: Sie riegelt ihre öffentlichen Parkplätze für Wanderer ab. Selbst der Deutsche Alpenverein (DAV), ansonsten eine verlässlich sprudelnde Quelle für Infos und Tipps rund um den Bergsport, ruft aktuell dringend zum Ausflugsverzicht auf. Präsident Josef Klenner appelliert an alle Wander- und Kletterfreunde: "Bitte gehen Sie in der momentanen Situation nicht in die Berge!"

DAV-Sprecher Thomas Bucher erläutert die Haltung des Vereins, in dessen Satzung es eigentlich heißt: "Zweck des Vereins ist, das Bergsteigen und alpine Sportarten vor allem in den Alpen und den deutschen Mittelgebirgen, besonders für die Jugend und die Familien, zu fördern und zu pflegen."

Der DAV, so Bucher, sehe sich "durchaus in einer gewissen Lenkungsfunktion": "Es ist wirklich ein Problem, wenn jetzt viele Leute in die Berge gehen", sagt Bucher, "wir haben alle gehört, dass das jetzt eine ganz entscheidende Phase ist. So viele haben sich so lange zusammengerissen, und das gilt es jetzt noch eine Weile durchzuhalten. Was die Bergsportgemeinde dazu tun sollte? Daheim bleiben. Sport vor der eigenen Haustür machen."

Jeder glaube, dass sein eigenes Tun irrelevant sei, sagt Bucher. Man müsse aber den statistischen Effekt sehen: An schönen Wochenenden im Frühjahr rückt die Bergwacht manchmal zu 40 Einsätzen in den Bayerischen Alpen aus - in Zeiten von Corona sei das nicht zu schaffen, sagt Bucher: "Ein einziger Infizierter wird das Rettungsteam erheblich in Schwierigkeiten bringen. Wenn per Helikopter gerettet werden muss: Da ist es brutal eng - keine Chance auf Abstandhalten. Danach geht die Heli-Besatzung in Quarantäne, steht nicht mehr zur Verfügung für die Rettungskette - und auch nicht mehr für den bürgerlichen Beruf, den diese Retter ja auch noch haben."

Hinzu kommt der immens gestiegene Aufwand bei jedem einzelnen Einsatz wegen der Pflicht zum Einsatz von Infektionsschutz-Ausrüstung. Ein gewaltiger Resourcenverbrauch, von der körperlichen und nervlichen Anstrengung gar nicht zu reden - und das alles im Gebirge, nicht im Krankenhaus.

Natürlich weiß auch der DAV nicht, wie viele Menschen am Wochenende brav die Füße ruhig halten werden, aber die vollen Parkplätze an den Münchner Hausbergen am vergangenen Wochenende lassen Schlimmes ahnen. "Es war eigentlich wie immer", klagt Bucher, "als ob nichts wäre. Das Problem: Es ist rechtlich nicht verboten. Sport ist ja ein triftiger Grund, die Wohnung zu verlassen. Also dehnt man das: Ich steige ins Auto und fahre zum Sport. Diese gesetzliche Unschärfe nutzen leider viele aus."

Vor dem Virus sei man jedenfalls auch in den Bergen nicht gefeit, erklärt der DAV-Sprecher: "An den Wander-Hotspots besteht sehr wohl Infektionsgefahr. Den Jochberg bei Kochel und andere beliebte Gipfel laufen ja Hundertschaften rauf, ein Bergweg ist aber nicht sehr breit, oben liegt noch Schnee, da kann man nicht gescheit ausweichen. Der eine schnauft und keucht, der nächste hustet, oben am Gipfel wird auch nicht viel Platz sein, weil oftmals Schnee liegt."

So teuer wird Fehlverhalten

Verstoß laut Bußgeldkatalog (Auszug) - Regelsatz

Verlassen der eigenen Wohnung ohne Vorliegen triftiger Gründe - 150 Euro

Nichteinhalten des vorgeschriebenen Mindestabstands - 150 Euro

Besuch von Krankenhäusern, Pflege- und Alten-Einrichtungen - 500 Euro

Wahrnehmung des Notbetreuungsangebots für Kinder, ohne dass die dafür nötigen Voraussetzungen vorliegen - 500 Euro

Nichteinhalten des vorgeschriebenen Mindestabstands zwischen den Gästen in Gastronomiebetrieben beim Abholen der Speisen - 500 Euro

Nichteinhalten der vorgeschriebenen Aufenthaltsbeschränkung im Wartebereich (max. 10 Personen) - 1000 Euro

Abhalten von Unterricht oder Studienbetrieb - 2500 Euro

Betrieb von Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens dienen - 5000 Euro

Quelle: www.verkuendung-bayern.de

Reichlich Gründe also für eine Berg-Abstinenz. Bucher hat noch ein weiteres Argument: die trügerischen Verhältnisse. "Vor ein paar Tagen hat es noch geschneit, danach ist es schön geworden, aber nicht warm. Das heißt, in den Bergen herrschen nicht überall die frühlingshaften Verhältnisse, von denen man im Flachland gern mal ausgeht. Vielmehr besteht eine für die Jahreszeit typische erhöhte Risikosituation. In schattigen, höher gelegenen Passagen liegt noch Schnee, man kann leicht abrutschen."

Der DAV hat den Slogan geprägt: "Die Berge warten, wir auch." Bergfreund Bucher stellt sich daheim auf den Crosstrainer: "Ich strampele, bis ich einen Käsekuchen essen und ein Weißbier trinken kann. Das sind zusammen etwa 500 Kalorien - da ist man schon eine Weile beschäftigt."

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SZ vom 04.04.2020/lfr
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