Süddeutsche Zeitung

Corona-Maßnahmen:Der neue Freiheitssöder

Das bayerische Kabinett hat nun Corona-Lockerungen beschlossen, etwa in der Kultur. Sie fallen nicht riesig aus, deuten aber eine neue Richtung im Kampf gegen die Pandemie an: eher weniger Maßnahmen als ständig mehr.

Kommentar von Johann Osel

Mit Spiegeleiern hat sich Markus Söder am Montag vor der Konferenz der Ministerpräsidenten (MPK) mit Kanzler Olaf Scholz gestärkt. Man weiß das, weil er das auf Facebook vorzeigte, wie sonst gern Bratwürste. Da bei Söder nichts ohne Botschaft geschieht, könnte man an den Fußballer Oliver Kahn denken, dessen Schlachtruf "Wir brauchen Eier" für eine Mischung aus Mumm und Chuzpe steht. Genau so fragte auch eine RTL-Moderatorin Söder: "Braucht es Eier, um mit Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach in die MPK zu gehen?" Söder legte los: zu wenig PCR-Tests? Defizite beim Bund. Verkürzter Genesenen-Status? Panne von Lauterbach, das untergrabe Glaubwürdigkeit. Die Omikron-Welle? "Man muss jetzt mit Vernunft und Verstand agieren", sagte Söder und machte zwischen den Zeilen klar, dass er dies kaum bei Scholz verorte, sondern vor allem bei ihm in Bayern.

Sein Kabinett hat nun Corona-Lockerungen beschlossen, etwa in der Kultur. Sie mögen nicht riesig sein, aber blinken nach harten Monaten in eine neue Richtung: eher weniger Maßnahmen als ständig mehr. Söders Minister haben vor der Presse zudem ungewöhnlich klar benannt, dass Omikron nach bisheriger Erkenntnis weniger gefährlich sei. Und der neue Freiheitssöder, offizieller Nachfolger des Zusperrsöders, hat nach der MPK in Interviews die große Perspektive zumindest erwähnt: die Endemie, normales Leben mit einem Virus. Zufällig wird ihm das kaum über die Lippen gekommen sein. Die Beschlüsse in Bayern sind vertretbar angesichts der Lage auf den Intensivstationen, sie schaffen Gerechtigkeit in manchen Bereichen. Ebenso wenig ist es verwerflich, dass Politiker Hoffnung machen, womöglich sogar im Stillen an einer Exit-Strategie feilen. Die gesamte Politik ist ja momentan im Suchmodus nach dem richtigen Umgang mit der Pandemie 2022.

Beim suchenden Söder allerdings beschleicht einen auch das Gefühl, dass er sondiert, was für die CSU dabei herausspringt: Nächstes Jahr ist Landtagswahl. Es ist das Gefühl, dass sich da einer als Klassenprimus in Sachen Öffnung warmläuft, so wie er einst tonangebender Krisenmanager war. Auch das ist an sich legitim, es steht aber zu befürchten, dass das noch einige Blüten treibt. Verlockend dürfte für Söder dabei seine neue Rolle sein: keine Verantwortung im Bund, dafür lässt sich stets mit dem Finger nach Berlin zeigen. Die Mehrheit der Bürger ersehnt ein Ende von Corona. Aber sicher nicht als Thema einer politischen Boxbude.

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