Kabinettsbeschluss:Pandemische Normalität

Kabinettsbeschluss: Genug in der Nase gebohrt: Von Ende dieser Woche an müssen sich Kinder in der Schule und in den Tagesstätten nicht mehr verpflichtend auf das Coronavirus testen.

Genug in der Nase gebohrt: Von Ende dieser Woche an müssen sich Kinder in der Schule und in den Tagesstätten nicht mehr verpflichtend auf das Coronavirus testen.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

In der Corona-Politik bleibt die Staatsregierung bei ihrem Lockerungskurs und betont die "Selbstverantwortung" der Bürger. In den Krankenhäusern werden nach wie vor Operationen verschoben. Der Gesundheitsminister wartet auf Empfehlung für den zweiten Booster.

Von Matthias Köpf, Johann Osel und Viktoria Spinrad, München

Der Corona-Lockerungskurs in Bayern geht weiter, die Staatsregierung streicht die Testpflicht in Schulen und in Kindertagesstätten wie geplant zum Ende dieser Woche. Das teilte Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) am Dienstag nach einer Sitzung des Kabinetts mit, das erstmals seit Langem auch wieder in Präsenz tagte. Die PCR-Tests an Grundschulen sowie in den unteren Klassen weiterführender Schulen laufen aus, bei einem Infektionsfall in einer Klasse gibt es künftig ebenfalls keine Tests mehr. "Aus unserer Sicht ist die akute Bedrohung durch das Virus derzeit gebannt", sagte Herrmann. Es deute alles auf Entspannung hin. Corona sei "nicht vorbei", aber in einer Phase des neuen Umgangs: der "Selbstverantwortung". Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) sprach bei den Schulen vom "nächsten Schritt in die Normalität". An Maßnahmen bleibt der sogenannte Basisschutz in der neuen Verordnung, für vier Wochen verlängert: Tests für den Zugang zu Einrichtungen wie Pflegeheimen und Kliniken; dort gilt auch eine FFP2-Maskenpflicht, ebenso weiterhin im Nahverkehr.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Bayern ist zwar leicht angestiegen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab den Wert am Dienstagmorgen mit 849 an; am Montag lag er bei 802, vor einer Woche bei 863. Unklar ist aber, ob die Daten die tatsächliche Lage zeigen. Experten gehen von einer hohen Zahl an Fällen aus, die nicht erfasst werden - wegen überlasteter Gesundheitsämter und weil nicht alle Infizierten einen PCR-Test machen. Nur diese zählen in der Statistik. Herrmann nannte auch Nachmeldungen aus der Osterzeit als Grund. Über viele Wochen gebe es allerdings einen stabilen Rückgang, was den Lockerungskurs rechtfertige - wenngleich man "keine Glaskugel" für die künftigen Entwicklungen habe.

Vor allem ist nach Ansicht der Staatsregierung "der wichtige Bereich" der Kliniken nicht mehr überlastet. Aktuell sind 253 Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt, vor einem Monat waren es 422, in Hochphasen der Pandemie mehr als 1000. Die ursprünglich geplante Corona-Ampel sah die rote Warnstufe bei 600 vor. Von einem Normalbetrieb sei man aber noch weit entfernt, heißt es dazu von der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Zwar dürften inzwischen wieder alle Kliniken verschiebbare Eingriffe vornehmen. Vielerorts müssten notwendige Operationen trotzdem noch verschoben werden, weil es durch zahlreiche Infektionsfälle unter den Mitarbeitern weiter an Personal fehle. Welche Kliniken das konkret betreffe, ändere sich von Tag zu Tag. So könne sich derzeit kaum ein Patient in Bayern darauf verlassen, dass ein geplanter Eingriff auch wirklich stattfinde, gibt die Krankenhausgesellschaft zu bedenken und warnt vor zunehmender Sorglosigkeit.

Die Krankenhausgesellschaft ist weiterhin für eine allgemeine Impfpflicht

An den Schulen werden mit den Tests von kommender Woche an nun die letzten Stränge des vielbeschworenen Sicherheitsnetzes gekappt. Das löst neben der Freude über unkompliziertere Big-Band-Auftritte und Exkursionen auch Verunsicherung aus - auch wenn der Anteil positiver Tests zuletzt immer weiter gesunken war. Viele behelfen sich mit freiwilligem Maske-Tragen. Auch um den Schulbetrieb nicht zu gefährden - zuletzt hatte sich manche Schule mit massiv ausgedünntem Personal gerade noch in die Osterferien gerettet. Auch an den Hochschulen herrschen gemischte Gefühle. Die Universitäten haben sich auf eine Maskenpflicht geeinigt, wo kein Abstand gehalten werden kann. Sie berufen sich dafür auf ihr Hausrecht, was 60 Dozentinnen und Dozenten in einem öffentlichen Aufruf als "unverhältnismäßig" kritisieren.

Umstritten bleibt auch die Impfpflicht für alle. Geht es nach der Krankenhausgesellschaft, sollte sich die Politik nicht ganz davon verabschieden. "Wir sind nach wie vor der Meinung, dass uns eine allgemeine Impfpflicht aus dieser Pandemie führen könnte", bekräftigt Geschäftsführer Roland Engehausen. Schon seit Wochen stagnieren die Impfzahlen in Bayern nahezu, aktuell sind 74,9 Prozent der Menschen doppelt geimpft, 56,6 Prozent haben einen Booster erhalten. Dieser Tage hatte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) mitgeteilt, dass sich Bayern mit seinen Impfzentren auf eine denkbare vierte Impfung im Herbst vorbereite - nötig sei dazu aber "ein klares Signal" von der Ständigen Impfkommission (Stiko). "Wir müssen uns rechtzeitig für eine mögliche neue Pandemie-Welle im Herbst wappnen", so Holetschek. Der Freistaat werde daher die Impfzentren bis Ende des Jahres beibehalten. Momentan hätten die Einrichtungen zwar mangels Nachfrage und Bedarf Kapazitäten und Öffnungszeiten eingeschränkt, sie könnten aber wieder hochgefahren werden.

Aktuell wird die zweite Auffrischung von der Stiko zum Beispiel Menschen über 70 Jahren, Bewohnern in Pflegeheimen sowie Beschäftigten in medizinischen Einrichtungen empfohlen. Ärzte könne aber auch alle anderen Patienten impfen, wenn diese das wünschen. Holetschek forderte: "Bis Spätsommer sollte klargestellt sein, ob die breite Bevölkerung eine vierte Impfung benötigt, um gut durch den Herbst und Winter zu kommen." Der Gesundheitsminister riet jedenfalls dringend zur Auffrischung. Wer noch gar keinen Booster erhalten habe, solle das jetzt schnell nachholen. Nicht nur, weil die dritte Impfung den Schutz vor einer schweren Erkrankung deutlich erhöhe; sondern auch, weil laut Infektionsschutzgesetz des Bundes zum Oktober 2022 für einen vollständigen Impfschutz grundsätzlich drei statt zwei Einzelimpfungen erforderlich seien.

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