In der Debatte über die umstrittene Nutzung von Corona-Gästelisten aus der Gastronomie für polizeiliche Zwecke hat sich nun Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zu Wort gemeldet. "Der Bürger erwartet zu Recht, dass die Polizei im Rahmen der Rechtsordnung alles zu seinem Schutz unternimmt und nicht unter dem Deckmäntelchen eines falsch verstandenen Datenschutzes die Hände in den Schoß legt", sagte er den Nürnberger Nachrichten.
In mindestens zehn Fällen wurde auf Gästedaten, die beim Besuch eines Lokals oder Biergartens angegeben werden müssen und die eigentlich zur Verfolgung möglicher Infektionsketten gedacht sind, von der Polizei im Freistaat für Ermittlungen zurückgegriffen. Dies hatte vergangene Woche eine Umfrage der dpa unter den Polizeipräsidien ergeben.
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Die Präsidien betonten, dass sie nur bei entsprechend schwerwiegenden Delikten auf die Daten zugreifen würden. In Ober- und Mittelfranken nutzten Polizisten jeweils zur Aufklärung versuchter Tötungsdelikte Kontaktdaten, in Schwaben zum Beispiel bei der Vermisstensuche nach einem Wanderer; das Landeskriminalamt nutzte außerdem Daten von Gästen nach einem mutmaßlichen Rauschgiftdelikt in einem Wirtshaus. Dass sie mit den Listen auf sensible Daten zugreifen, ist den Beamten bei ihren Abwägungen klar, hieß es von den Präsidien. Auch wenn die Daten grundsätzlich nur für den eigentlichen Zweck genutzt werden dürften, sei für die Aufklärung von Delikten laut Strafprozessordnung eine "Zweckänderung" möglich.
Teile der Landtagsopposition hatten sich empört nach Bekanntwerden der Fälle gezeigt. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze sagte im Bayerischen Rundfunk, sie könne die Irritation der Menschen über diesen Vertrauensbruch absolut nachvollziehen. "Meine große Sorge ist, dass Leute sich vielleicht denken: ,Dann schreibe ich vielleicht einen falschen Namen auf die Liste, weil wer weiß, an wen diese Daten überhaupt kommen". Dies habe ernsthafte Konsequenzen für die Pandemiebekämpfung. Martin Hagen, FDP-Fraktionsvorsitzender, hatte mitgeteilt: "Das Beteuern der Polizei, die Daten nur bei besonders schwerwiegenden Delikten zu nutzen, reicht nicht aus. Gästedaten müssen tabu sein. Das muss gesetzlich klargestellt werden."
Was, wenn nur noch Max Mustermann und Micky Maus einchecken?
Herrmann äußerte sich in dem Zeitungsinterview in direktem Bezug zu den Vorwürfen und in robustem Ton. Bei der Zeugensuche nach einem Mordversuch sollte man nach Auffassung von FDP und Grünen wohl "den Täter lieber laufen lassen, anstatt die Gästedaten beizuziehen"? Das sei "völlig absurd", sagte er. In dem Fall in Schwaben sei es um Leben und Tod gegangen. "Einen vermissten Wanderer würden Herr Hagen und Frau Schulze wohl auch lieber seinem Schicksal überlassen", so Herrmann. Martin Hagen konterte am Wochenende über Facebook. "Sehr geehrter Herr Innenminister, (...) wenn künftig nur noch Max Mustermann und Micky Maus im Restaurant einchecken, wird die Nachverfolgung von Infektionsketten unmöglich."
Katharina Schulze sagte der Süddeutschen Zeitung am Sonntag: "Unsachliche Polemik bringt uns nicht weiter. Mir geht es um eine bundeseinheitliche Regelung - und dazu braucht es ein Begleitgesetz. Damit wird Klarheit für Wirtsleute und Gäste geschaffen, dass die erhobenen Daten nicht willkürlich, sondern nur zu explizit definierten Ermittlungszwecken verwendet werden dürfen." Das Vertrauen in die Akzeptanz für die Corona-Verordnungen zu stärken, "sollte auch im Interesse des zuständigen Innenministers sein".
Ebenso mahnte der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri eine bundesweit einheitliche Lösung an - auch wenn die Zweckentfremdung der Listen, "isoliert betrachtet", rechtmäßig sei.