Corona-Politik:Einmal Bußgeld und zurück

Corona-Politik: Einfach so raus ins Freie und auf eine Parkbank setzen? In Bayern war das während der Corona-Pandemie zeitweise untersagt - zu Unrecht, wie das Bundesverwaltungsgericht später festgestellt hat.

Einfach so raus ins Freie und auf eine Parkbank setzen? In Bayern war das während der Corona-Pandemie zeitweise untersagt - zu Unrecht, wie das Bundesverwaltungsgericht später festgestellt hat.

(Foto: Rolf Kremming/imago)

Auf einer Parkbank lesen? Im Frühjahr 2020 verboten. Verstöße gegen die Corona-Regeln haben in Bayern rund 40 Millionen Euro an Strafzahlungen verursacht. Einen kleinen Teil will die Regierung nun erstatten - doch über das Wie wird heftig gestritten.

Von Matthias Köpf, Johann Osel und Max Weinhold, München

Im Landratsamt in Rosenheim zum Beispiel hatten schon die hauseigenen Juristen vor dem Verhängen solcher Corona-Bußgelder gewarnt. Für das bloße Verlassen der eigenen Wohnung ohne "triftigen Grund", wie er dafür von der Staatsregierung vor drei Jahren verlangt worden war, wurden rund um Rosenheim bis Ende März 2020 also keine Geldbußen verhängt - und zwar "aus Rechtssicherheitsgründen", denn eine schlichte Allgemeinverfügung reichte dem Landratsamt dafür nicht aus. Von 1. April 2020 an wurde aber auch dort so wie im gesamten Freistaat Bußgeld fällig, dann gestützt auf die bayerische Infektionsschutzverordnung. Wer damals eine solche Strafe zahlen musste, kann das Geld inzwischen zurückverlangen. Doch über die Details ist jetzt heftiger politischer Streit ausgebrochen.

Dass Bürgerinnen und Bürger überhaupt bestimmte Corona-Bußgelder zurückfordern können, ist Folge einer Niederlage der bayerischen Staatsregierung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Konkret geht es um genau diese Regeln im Freistaat, die durch die Verordnung im Frühjahr 2020 in Kraft waren. Das Bundesgericht in Leipzig hatte entschieden, dass die damalige Ausgangsbeschränkung - also das Verbot, die Wohnung ohne triftigen Grund zu verlassen - mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar sei. Es bestätigte damit den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.

Andere Bundesländer erließen zu jener Zeit beispielsweise nur Kontaktbeschränkungen außerhalb des eigenen Haushalts. Bayern dagegen gestattete den Ausgang nur aus bestimmten Gründen wie Beruf, Einkaufen, Sport im Freien oder Gassigehen mit dem Hund. Viel Aufsehen und viele Debatten hatte es damals ausgelöst, dass anfangs bereits bloßes Sitzen auf einer Parkbank, um dort ein Buch zu lesen, nicht erlaubt war.

Die Betroffenen - landesweit wohl einige Tausend - können die Rückzahlung der zu Unrecht verlangten Geldbußen nun bei den damals zuständigen Behörden beantragen. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) versprach ein "unbürokratisches" Abarbeiten. Wenn das Bußgeld per Bescheid verhängt wurde, entscheiden die Bezirksregierungen über Rückerstattungen, Anträge können bei den Kreisbehörden gestellt werden. Wurde die Geldbuße von einem Gericht verhängt, sind die Justizbehörden zuständig. Erstattungen gibt es in Fällen, die mit dem Verlassen der Wohnung und dem Verweilen im Freien zu tun hatten, und auch das nur, wenn der Verstoß zwischen 1. und 19. April 2020 stattfand; de facto ist das nicht der volle Zeitraum der Ausgangssperre. Wer also schon Ende März oder aus anderen Gründen ein Bußgeld zahlen musste, kann keinen Antrag stellen.

Im Landkreis Mühldorf geht es zum Beispiel um 244 Fälle

Wie viele Menschen all das genau betrifft, können viele Kreis- und Stadtverwaltungen nicht sagen. Für den Landkreis Mühldorf gibt es beispielsweise Zahlen, dort sind es laut Landratsamt die Bußgelder aus exakt 244 Verfahren, die nun unter Angabe von Aktenzeichen und Bankverbindung zurückgefordert werden können. Dies wäre ein gutes Zehntel aller Mühldorfer Bußgeldverfahren wegen Corona-Verstößen.

Auf Landesebene herrscht ohnehin Uneinigkeit über die Rückzahlungen. Bayerns Bürgerinnen und Bürger müssten zu Unrecht erhobene Bußgelder während der Ausgangssperre "sofort und unbürokratisch zurückbekommen", die Regierung dürfe sich "hier nicht hinter juristischen Spitzfindigkeiten verstecken", sagte der SPD-Rechtsexperte Horst Arnold. Die Beschränkung auf bestimmte Fälle in besagten Frühjahrswochen missachte die höchstrichterlichen Rechtsprechungen. Dies zeuge von "Arroganz und Anmaßung". Dazu hat die SPD einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, der im Landtag für den späten Mittwochabend zur Debatte angesetzt war.

Eine Erstattung bei sogenannten Corona-Partys findet Gesundheitsminister Holetschek falsch

Gesundheitsminister Klaus Holetschek nannte die Wortwahl der SPD daraufhin "in der Sache falsch und in der Wortwahl unverschämt". Das Gericht habe ausdrücklich nicht geurteilt, dass zur Bekämpfung einer Pandemie Ausgangsbeschränkungen generell unzulässig seien. Es wäre laut Holetschek ein falsches Signal, etwa auch dann Bußgelder zurückzuzahlen, wenn jemand sogenannte Corona-Partys gefeiert und damit Menschen gefährdet habe. In den wenigen Einzelfällen von Bußgeldern aus dem März 2020 könne eine Einzelfallprüfung erwogen werden. Auch SPD-Mann Arnold habe die Ausgangsbeschränkungen damals "unvermeidbar" genannt und auf "Corona-Partys und Undiszipliniertheiten" verwiesen. Der SPD gehe es also nun offenbar nur darum, "aus wahlpopulistischen Gründen die Staatsregierung zu attackieren".

Einen Rüffel hatte der Minister zuletzt auch für die Freien Wähler parat. Deren Generalsekretärin Susann Enders hatte ebenfalls zu enge Grenzen bei der Rückzahlung moniert. Holetschek forderte Enders zu mehr Sachlichkeit auf. Die Behauptung, es gebe beim Ministerium eine "große Zurückhaltung", sei falsch. Enders hatte bereits vor einigen Monaten regierungsintern Unmut erregt, als sie forderte, CSU und FW sollten sich für Corona-Fehlentscheidungen entschuldigen.

Dass es zur Aufarbeitung der Maßnahmen-Politik etwa eine Kommission oder andere Formate brauche, hatte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) kürzlich auf Nachfrage der SZ zurückgewiesen. Die Maßnahmen in den drei Jahren seien immer lageabhängig erfolgt. Dies sei "auch ein lernender Prozess gewesen". Die Menschen in Bayern seien "bei aller Genervtheit über die eine oder andere Maßnahme" die Strategie, Menschenleben zu retten, mit Vernunft mitgegangen.

Die vor drei Wochen endgültig weggefallene Infektionsschutzverordnung hat es während der gesamten Pandemie in 17 Auflagen mit 87 Änderungen gegeben, also unterm Strich mehr als 100 verschiedene Fassungen. Wegen Verstößen dagegen wurden knapp 240 000 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, wie die Staatsregierung zum Jahresbeginn auf eine Anfrage der AfD mitgeteilt hatte. Insgesamt summiert sich das Bußgeld auf fast 40 Millionen Euro. In den nun umstrittenen Wochen im Frühjahr 2020 waren es in ganz Bayern 22 000 Bußgeldverfahren, die sich jedoch nicht allein auf das Verlassen der Wohnung bezogen.

Was das betrifft, ist die Aufregung ohnehin nicht überall so groß wie in der Landespolitik. In Würzburg etwa ist das Bußgeldaufkommen für den betreffenden Zeitraum nicht besonders hoch, heißt es auf Nachfrage von der Stadtverwaltung. Wie viele Verstöße genau in den für Rückerstattungen relevanten Apriltagen geahndet wurden, kann die Stadt nicht mitteilen, weil keine Aufschlüsselung nach Datum möglich sei. Präzisere Informationen liegen hinsichtlich der Anträge auf Rückzahlung vor: Ganze zwei seien bisher eingegangen. Die Höhe des Bußgeldes beträgt jeweils 150 Euro. In der kreisfreien Stadt Rosenheim wurden von 1. bis 19. April 2020 insgesamt 320 Bußgeldbescheide wegen verschiedener Corona-Verstöße erlassen, für vier davon gibt es bisher Rückzahlungsanträge. Im Landkreis drumherum sind es laut Landratsamt bisher zwölf.

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