Jürgen Hept ist Kriminalhauptkommissar, seit 1999 arbeitet er für die „K1“, die in Schweinfurt zuständig ist für Kapitalverbrechen. Vergangenes Jahr hat er im SZ-Gespräch berichtet, wie und wann er sich mit dem Cold Case Cornelia Hümpfer beschäftigt hat, jenem Mordfall an einer 18-Jährigen aus dem Jahr 1978. Wenn andere TV-Sonntagskrimis schauten, habe er bisweilen in alten Akten geblättert, angegilbte Seiten mit vielen Lochverstärkern. Hept ist in Schweinfurt für Cold Cases zuständig, aber eben nicht ausschließlich für die kriminalistischen Altfälle. Für die bleibe im Alltagsgeschäft eines Ermittlers nicht immer viel Zeit übrig, erklärte der Kommissar. Deshalb die merkwürdige Tageszeit, um in Altakten zu blättern.
Am Donnerstag ist Hept, 54, als Zeuge am Landgericht Schweinfurt geladen, er erscheint mit zwei Aktenordnern, schiebt die Lesebrille auf die hohe Stirn und legt los. „Bitte langsamer“, bittet die Verteidigung des angeklagten Tommy M. schon nach wenigen Augenblicken. Und wiederholt diese Bitte kurz darauf, geradezu flehentlich. Da hat einer ein Mitteilungsbedürfnis, das ist spätestens jetzt klar.
Es ist aber auch alles andere als ein alltäglicher Fall, das hat der Kommissar schon vergangenes Jahr geschildert. Ein Kapitalverbrechen, das knapp 47 Jahre nach der Tat womöglich aufgeklärt werden könnte? So was passiert einem Mordermittler höchstens einmal im Leben. Den meisten gar nicht.

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Hept schildert also, wie sie sich bei der K1 wieder an die Akten gesetzt haben vor einigen Jahren. Er berichtet von einer dann klarer feststellbaren DNA-Spur, auch von einem nicht mehr auffindbaren Slip der getöteten Cornelia Hümpfer. Und von einer ersten Videovernehmung mit dem tatverdächtigen ehemaligen US-Soldaten M., der da längst wieder in der Staaten lebte.
Und der Kommissar gibt Auskunft über die Arbeitshypothese seiner Vorgänger. Eine Theorie, die er verworfen hat: Schon das Schuhwerk der Cornelia Hümpfer, ihre Clogs, hätten dagegen gesprochen. In Clogs zu einer Chorprobe aufbrechen, im Monat April, für einen Fußweg von mindestens 45 Minuten? Dieses Schuhwerk habe klar gegen diese Ersthypothese gesprochen, dass da eine 18-Jährige abends losging und von einem ihr komplett Unbekannten erstochen worden ist. Auch habe man keine Hinweise gefunden, dass sich die 18-Jährige gegen eine etwaige Vergewaltigung gewehrt hat.
Die Hypothese von Hept – und der jetzigen Anklage – ist eine andere: Da sind zwei verabredet und haben Sex miteinander. Es kommt zum Streit. Womöglich sagt die 18-Jährige ihrem Liebhaber, sie sei schwanger von ihm und wolle dies der Ehefrau des Liebhabers sagen. Womöglich will der Liebhaber genau das verhindern und ersticht die 18-Jährige. Auf freiem Feld wird sie gefunden.
Wie es sein könne, dass aus der Asservatenkammer der Slip verschwunden ist, den Cornelia Hümpfer zur Tatzeit getragen hat? Das könne er nicht beantworten, sagt Kommissar Hept, das wüsste er auch gern. Zu der Zeit, als der Schlüpfer verschwunden ist, war er noch gar nicht betraut mit den Ermittlungen.
Ob denn irgendjemand den US-Soldaten mit der 18-Jährigen gesehen habe, fragt Strafverteidiger Wolfgang Staudinger. „Nein“, sagt Hept, führt den Brillenbügel zum Mund, schmunzelt ganz kurz und erklärt: eine Affäre eben.

Cold Case:U-Haft, 46 Jahre nach einem Kapitalverbrechen
Im April 1978 wurde die Studentin Cornelia Hümpfer leblos auf freiem Feld bei Schweinfurt aufgefunden, erstochen. Hoffnungen, dass der Fall noch gelöst wird? Fast keine mehr. Nun aber führt die Spur zu einem ehemaligen US-Soldaten.
Es gibt aber auch eine Offensive der Verteidigung an diesem dritten Verhandlungstag. Strafverteidiger Johannes Makepeace versucht Aussagen jener Frau zu erschüttern, die man durchaus eine Hauptbelastungszeugin nennen könnte. Die ehemalige Ehefrau von M. hatte am zweiten Verhandlungstag angegeben, M. habe ihr in den Neunzigerjahren gebeichtet, in Deutschland eine Cornelia Hümpfer umgebracht zu haben. Makepeace weist darauf hin, früher habe die Ex-Frau angegeben, den Namen der getöteten Frau nicht zu kennen. Im Gegenteil habe sie damals gehofft, dass etwas in der Zeitung stehen würde über den Mord an „einer Frau“. Sie habe sogar ihren Schwager darum gebeten, den Namen der Getöteten herauszufinden.

Auch dass ihr ehemaliger Ehemann seine Beichte zu Hause angeblich infolge einer therapeutischen Behandlung abgelegt habe, zerpflückt der Verteidiger. Sie habe das so verstanden, hatte die Zeugin angegeben, dass M. von seinen Therapeuten zu einer persönlichen Beichte aufgefordert worden war. Nur: Nach Aktenlage hatten jene Therapeuten gar nichts davon gehört, dass M. einen Mord begangen haben soll. Und sie würden ihn auch nicht aufgefordert haben, eine solche Beichte zu Hause vor Familienangehörigen abzulegen – von dergleichen rieten sie schon grundsätzlich ab.
Im Übrigen habe Tommy M. auch nicht, wie von seiner Ex-Frau dargestellt, kurz nach April 1978 um einen Transfer zurück in die USA gebeten. Seiner Militärakte zufolge war M. zwar tatsächlich im Juni 1978 zurückverlegt worden in die Vereinigten Staaten. Der Grund war allerdings: ein „Marschbefehl“. Die Aussagen der maßgeblichen Zeugin seien „oberflächlich und jedenfalls teilweise schlicht falsch“, stellt Makepeace fest.
Oberstaatsanwalt Markus Küstner findet diese Erwiderungen überschaubar hilfreich. Womöglich habe M. seine damalige Partnerin eben einfach mit der frei erfundenen Variante bedient, seine Therapeuten hätten ihn zu einer Beichte aufgefordert. Genau jene psychologischen Fachleute hatten M. auch attestiert, er verbreite Geschichten, um „im Rampenlicht“ zu stehen und sich schlicht interessant zu machen. Was man folglich auf Aussagen von M. geben könne? Fraglich.

Begonnen hatte dieser dritte Verhandlungstag mit einem Wortwechsel, der kein günstiges Licht auf den baulichen Zustand bayerischer Gerichte wirft. Der Angeklagte bittet, ihm wenigstens während der richterlichen Vernehmungen die Fußfesseln abzunehmen, ihn plagten Rückenschmerzen, die Fesselung verstärke dies. Im Verlauf des Tages ist zu beobachten, wie sich der Angeklagte windet, die Schmerzen sind offenkundig nicht erfunden.
Die Vorsitzende Richterin gibt zunächst zu erkennen, Bauchschmerzen mit der Bitte zu haben. Sie verweist auf die vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen im Saal, in dem in Schweinfurt derzeit die großen Fälle verhandelt werden müssen. Der eigentlich dafür vorgesehene Saal wird renoviert. Offenbar erscheint der Richterin die Sicherheits-Infrastruktur in diesem Ersatzsaal nicht ideal. Andererseits sorgen sich mehrere Beamte um Sicherheit im Raum. Der Bitte wird stattgegeben, dem 70-Jährigen werden die Fesseln gelöst.