Es geht um Sahnepudding Schoko für 1,49 Euro, ein Kilo Gala-Äpfel, Heringsfilet oder einen Ballensalat. Insgesamt um Waren, die im Supermarkt wohl 100 Euro kosten würden. Vor dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck geht es am Mittwoch aber um viel mehr. Um Ethik, Moral und die Frage, ob man Lebensmittel einfach wegwerfen darf. Oder ob man nicht praktisch dazu verpflichtet ist, sie zu retten. Zwei Studentinnen haben dies getan. Sie stehen deshalb wegen besonders schweren Diebstahls vor dem Richter. Das Urteil ist milde: Acht Stunden Sozialarbeit. Und 225 Euro Geldstrafe auf Bewährung.
Das Vergehen von Franziska S., 25, und Caroline K., 28: An einem Juniabend, es war schon dunkel, knackten sie mit einem Vierkantschlüssel den Müllcontainer des Olchinger Edeka-Marktes. Sie wollten mitnehmen, was niemand mehr haben wollte. Noch genießbare Lebensmittel, knapp über dem Haltbarkeitsdatum, teils originalverpackt. Vier große Taschen waren gerade voll mit Lebensmitteln, die die beiden Studentinnen selbst verwenden oder an Freunde verteilen wollten - da kam die Polizei. Zwei Beamte fotografierten akribisch die Beute; diese musste sofort zurück in den - unbeschädigten - Container. Danach: Die Staatsanwaltschaft ermittelt, das Amtsgericht Fürstenfeldbruck erlässt Strafbefehle. 1200 Euro sollte jede Studentin zahlen. Weil sie das nicht akzeptieren, wurde der Fall am Mittwoch öffentlich verhandelt, unter großem Interesse. Am Stadtplatz gab es eine Solidaritätskundgebung samt "Taste the Waste"-Imbiss mit "Chili aus geretteten Lebensmitteln" und Transparenten wie "Freispruch für Caro und Franzi". Die Landtagsgrünen waren vertreten, die Partei Mut rief auf, das "Containern" zu entkriminalisieren.
Darum geht es: Um das "Containern" oder "Mülltauchen" auf den Parkplätzen der Supermärkte, wo abgelaufene Lebensmittel zuhauf in verschlossenen Behältern auf den Müllwagen warten. Nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung landen allein aus Privathaushalten jährlich 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Es gibt Schätzungen, wonach es in Supermärkten insgesamt 18 Millionen Tonnen sein sollen. Zwar geben viele Märkte Waren an die Tafeln für Bedürftige weiter. Und es gibt die Initiative des Landwirtschaftsministeriums "Zu gut für die Tonne", über die Menschen angeregt werden, das Wegwerfen von Lebensmitteln zu vermeiden.
Doch es geht um Grundsätzliches, wie es auch die beiden angeklagten Frauen in einer Online-Petition mit 80 000 Unterzeichnern formuliert haben: "Wir können nicht schweigend akzeptieren, dass Lebensmittelverschwendung in Deutschland ohne rechtliche Folgen bleibt, während gleichzeitig jene verfolgt werden, die gegen Lebensmittelverschwendung aktiv werden." In Frankreich wurde schon 2016 ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung verabschiedet, in Tschechien ist es verboten, Lebensmittel wegzuwerfen.
Der Edeka-Marktleiter hatte nach öffentlichen Anfeindungen die Anzeige zurückgezogen, das Amtsgericht hatte im Dezember die Einstellung des Verfahrens angeregt - gegen acht Stunden gemeinnützige Arbeit bei der Fürstenfeldbrucker Tafel. Vergeblich. Richter Johann Steigmayer bedauerte das in der Verhandlung: "Es wäre die beste Lösung gewesen. Ich mache das hier nicht mit Vergnügen." In aller Regel, wenn es nach Fällen von Containern zu einer Strafverfolgung kam, wurden die Verfahren eingestellt. Und so konzentrierte sich Max Malkus, Rechtsanwalt einer der Angeklagten, darauf, ob weggeworfene Lebensmittel überhaupt noch ein "diebstahlfähiges Gut" darstellten: "In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass eine Person ihr Eigentum an einem Gegenstand aufgibt, wenn dieser in den Abfallcontainer geworfen wird."
Steigmayer schloss sich dieser Ansicht nicht an, auch wenn er den Angeklagten "lobenswerte Motive" bescheinigte, nämlich auf den "unkritischen Umgang unserer Gesellschaft mit Ressourcen", aufmerksam zu machen. Franziska S. und Caroline K. sollen nun acht Stunden bei der Tafel ableisten. Falls sie innerhalb der nächsten zwei Jahre wieder containern, müssen sie eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 15 Euro bezahlen.