Kempten:Wie sich mit Spielen Geld verdienen lässt

Computerspieler beim NRW-Games-Gipfel

Computerspiele haben den Vorteil, vernetzt, kooperativ, interaktiv und intuitiv zu sein. Die Entwickler wissen, wie sich digitale Anwendungen massentauglich gestalten lassen.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Technologien und Mechanismen aus Computergames könnten sich auch für die Industrie nutzen lassen. Darin steckt eine Chance für Unternehmen und Studenten.

Von Maximilian Gerl, Kempten

Auf der Tagesordnung stehen Spielereien, die mal viel Geld bringen sollen. In einem Video kurven autonom fahrende Autos durch Straßenschluchten, der Clip wirkt wie aus einem Computerspiel. Und irgendwie ist er es auch. Mit solchen am Rechner erstellten Szenen lernen Algorithmen, Fahrzeuge zu lenken, immer und immer wieder, bis sie die Situationen richtig einschätzen. In Zukunft könnten die gleichen Algorithmen mal richtige Autos auf richtigen Straßen steuern. In puncto Visualisierung, wird später ein Redner sagen, habe die Spieleindustrie eben einen Vorsprung, "da kommt kaum einer ran".

"Industry Applied Game Technology" heißt die Konferenz, die in Kempten zwei Welten stärker miteinander verzahnen will: die der Industrie mit der des Computerspiels. Denn die einen haben etabliert, was die anderen gerne für sich nutzen würden. Genau hier versucht die Konferenz anzusetzen - und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich Technologien und Mechanismen aus Computerspielen für industrielle Prozesse nutzbar machen lassen. Denn neue digitale Lösungen sind für Industriebetriebe interessant, um neue Geschäftsfelder zu erschließen. Und sie sind nötig, um sich am Markt zu behaupten.

So gesehen sind an diesem Donnerstag neben den Nerds auch all jene ins Allgäu gekommen, die welche werden wollen oder müssen. Hinter der Veranstaltung stecken die Hochschule Kempten und Allgäu Digital, das örtliche Gründerzentrum. Veranstaltungsort ist eine ehemalige Weberei. Der Ziegelbau wurde entkernt, nur ein paar alte Metallaufzüge blieben übrig. Früher wurden in diesen Apparaten Leinen aufgespannt. Heute arbeiten in der Halle Start-ups.

Auf einer Bühne stellen Vertreter aus Forschung, Games-Branche und Industrie Konzepte vor, um die verschiedenen Welten zu vereinen. Gründer zeigen, wie sie künftig spielerisch Werbung machen wollen; Entwickler, welchen Nutzen bestimmte Technologien haben können; Firmen, wie sie auf den digitalen Wandel reagieren. Mitarbeiter von BMW und Continental präsentieren das Auto der Zukunft und wie sie am autonomen Fahren arbeiten. Für eine möglichst realistische Darstellung setzen sie auf Software aus dem Games-Bereich, sogenannte Engines. Die kann man sich ein bisschen wie Baukastensysteme vorstellen. Mit Maus und Tastatur werden am Bildschirm Bäume und Verkehrszeichen drapiert, Rehe über die Straße geschickt. So können die Entwickler prüfen, ob die Fahrzeugsensoren alle Objekte erkennen würden - und dem Algorithmus die richtigen Daten für die Steuerung übermitteln.

Aus Sicht der Veranstalter haben moderne Computerspiele den Vorteil, vernetzt, kooperativ, interaktiv und intuitiv zu sein. Vor allem aber haben ihre Entwickler Erfahrung damit, wie sich digitale Anwendungen massentauglich gestalten lassen. Games machten in Deutschland "mehr Umsatz als Film und Musik zusammen", sagt Bernd Dreier, Informatikprofessor an der Hochschule Kempten. Der Markt wachse fast jedes Jahr zweistellig.

Schon länger versuchen andere Branchen, sich davon etwas abzuschauen. Piloten trainieren in Simulatoren, Museen locken mit interaktiven Exponaten. In der Industrie werden solche Ansätze noch vergleichsweise selten eingesetzt. Dabei kann sich das lohnen, Beispiel Allmatic. Die Firma aus dem nahen Unterthingau stellt Maschinenschraubstöcke her. "Die Kommunikationskette ist oft problematisch", sagt Entwicklungsleiter Luis Paiba. Was der Kunde wolle, sei nicht unbedingt das, was sich der Ingenieur vorstelle. Auch die Sprachbarriere dürfe man nicht unterschätzen. Mithilfe Kemptener Studenten hat die Firma ihr Schulungskonzept umgestellt. Statt Handbüchern gibt es nun sprachlose Videoanimationen, die jeder verstehen können soll. Und über einen Online-Konfigurator stellen sich Kunden den passenden Schraubstock zusammen.

Auch das Oberstorfer Bauunternehmen Geiger experimentiert mit Gaming-Ansätzen wie Virtual Reality. Die Bauherren bekommen dabei eine spezielle Brille auf die Nase und können ihre Wohnung im virtuellen Raum ablaufen. Per Knopfdruck tauschen sie den Boden aus oder platzieren eine andere Badewanne. Danach dürfen die Planer ran, um nach der besten Stelle für die nötigen Anschlüsse zu suchen. Details lassen sich im Dreidimensionalen besser erkennen als auf dem Blatt Papier. Bislang seien das Pilotprojekte, schränkt der zuständige Abteilungsleiter ein. Aber: "Als wir das intern gezeigt haben, haben fünf Leute gerufen: Das wollen wir auch haben."

Viele Unternehmenslenker scheinen verstanden zu haben, dass Digitalisierung mehr bedeutet als Internet und Glasfaser. Bleibt die Frage, was sie mit dieser Erkenntnis anfangen sollen. Laut einer Studie der Gewerkschaft IG Metall haben 41 Prozent der bayerischen Betriebe noch keine umfassende Strategie entwickelt, um dem digitalen und ökologischen Wandel zu begegnen. Das ist auch gar nicht so leicht. Transformationsprozesse sind immer schwer zu greifen. Pauschale Tipps laufen ohnehin gern ins Leere. Was sich für die eine Firma lohnt, kann für die andere so nicht umsetzbar sein. Das gilt auch für Ansätze aus dem Games-Bereich.

In Kempten geht es in erster Linie um Inspiration. Und um Vernetzung. Im Publikum sitzen viele junge Menschen, vorwiegend Männer; für sie ist die Konferenz auch eine Chance, mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt zu kommen. Allein in Kempten haben sich inzwischen mehr als 300 Studenten für einen der drei Games-Studiengänge eingeschrieben. Dreier sagt: "Wir können gar nicht alle aufnehmen, die sich bewerben."

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