Süddeutsche Zeitung

Coburg: Tod einer Schülerin:Elfeinhalb Jahre Haft für eine "kaltblütige Tat"

Sie hatten sich im Internet kennengelernt und trafen sich wenige Stunden später zum ersten Mal. Am selben Abend war die 16-jährige Linda tot. Jetzt hat das Gericht einen jungen Mann wegen Totschlags verurteilt - die Familie der toten Schülerin hatte eine höhere Strafe erwartet.

Katja Auer, Coburg

Der junge Mann, der vor einem Jahr die 16-jährige Linda in Coburg erschlagen hat, muss wegen Totschlags für elf Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. "Jerry J. hat einen Menschen getötet und er hat das vorsätzlich getan", sagte Richter Gerhard Amend am Donnerstag am Landgericht Coburg.

Fast ein Jahr ist es her, dass sich Jerry und Linda im Internet-Netzwerk Facebook anfreundeten. Sich bekannt machten, wie immer man es nennen will. Wenige Stunden später trafen sie sich zum ersten Mal, am selben Abend erschlug der junge Mann das Mädchen mit einem Hammer und stach mit einem Messer auf sie ein.

13 Hammerschläge und neun Messerstiche zählten die Gerichtsmediziner später. Richter Amend betonte die Brutalität der Tat. Elf Minuten soll das gedauert haben. "Elf Minuten, die das Leben von Linda zerstört hatten und das ihrer Familie. Aber auch das von Jerry J."

Wie schon den ganzen Prozess verfolgten Lindas Eltern und ihre Schwester auch die Urteilsverkündung. Vor sich auf dem Tisch ein Foto des toten Mädchens. "I love Linda" steht auf dem T-Shirt der Schwester. Als der Richter das Urteil verkündet, bricht Lindas Mutter in Tränen aus. Die Familie hatte eine höhere Strafe erwartet. Ihre Anwältin hatte in ihrem Schlussplädoyer bezweifelt, dass die Wahrheit über Lindas Tod in diesem Prozess tatsächlich ans Licht gekommen sei.

Was tatsächlich passiert ist an jenem 8. April, als Jerry und Linda erst mit einer Freundin durch die Gegend fuhren und sich später noch einmal trafen und Sex hatten in seiner Wohnung, das aufzuklären, dafür verwendete das Gericht deutlich mehr Zeit als die zunächst angesetzten drei Prozesstage.

Mit Facebook, das betonte Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein in ihrem Plädoyer vor einer Woche, habe die Tat allerdings nicht zu tun. Die beiden hätten sich auch in einer Kneipe kennenlernen können oder bei Freunden.

Zwar hatte der 21-Jährige die Tat gestanden, und das hielt ihm das Gericht im Urteil auch zugute. Vieles blieb allerdings zunächst unklar. Was den Streit auslöste, der schließlich tödlich endete, zum Beispiel. Linda habe ihn aufgefordert, sie zu ihrem Freund zu fahren, sagte Jerry aus und darüber sei es zum Streit gekommen. Bis sein Verteidiger, aber erst nach Wochen, eine Erklärung ankündigte.

Der Sex soll demnach der Auslöser gewesen sein. Der junge Mann soll den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beendet haben, als ihn das schlechte Gewissen gegenüber seiner Freundin überkam. Daraufhin habe ihn Linda beschimpft und ihn einen "Schlappschwanz" genannt. Er habe sich provoziert gefühlt, wollte sie zur Tür schieben, so beschrieb es die Oberstaatsanwältin in ihrem Plädoyer, Linda erwischte einen Hammer, der Streit eskalierte, am Ende war das Mädchen tot.

"Dass wir alles, wirklich alles über das Geschehen erfahren haben", das bezweifelt Haderlein. Trotzdem betonte sie nachdrücklich, dass es keinerlei Hinweise darauf gebe, dass Jerry jemand bei der Tat geholfen habe. Es hatte Gerüchte gegeben in Coburg, auch bei Facebook, dass seine damalige Freundin ihn wenigstens beim Vertuschen der Tat unterstützt habe. Das Mädchen wurde beschimpft und sogar bespuckt. "Nichts, aber auch gar nichts" spreche dafür, dass das Mädchen eingeweiht war, sagte Haderlein.

Sie hatte gefordert, Jerry nach dem Erwachsenenstrafrecht zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren zu verurteilen. Berechnend und kaltblütig habe der junge Mann gehandelt, als er Lindas Leiche verscharrte, seine Wohnung gründlich putzte und sogar SMS an sie schickte, um die Tat zu vertuschen. "Das waren alles sehr durchdachte Aktionen", sagte Haderlein.

Die Polizei und Lindas Freunde hatten tagelang nach dem Mädchen gesucht, bis Jerry die Tat gestand und die Polizei zu dem Wäldchen führte, wo er die Schülerin verscharrt hatte. Haderlein beschrieb Jerry als eine "relativ gefestigte Persönlichkeit", dem auch zwei Gutachter keine Reiferückstände bescheinigt hatten. Dem folgte das Gericht schließlich in seinem Urteil, das allerdings hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft zurückblieb.

Verteidiger Karsten Schieseck dagegen beschrieb genau solche Reiferückstände. Die Familie zerbrochen, dort der brutale Vater in Amerika, hier die alkoholabhängige Mutter in Coburg.

Nach ein paar Jahren mit dem Vater in den Staaten, sei er zur Mutter geflüchtet, mit 20 hatte er erst eine Lehrstelle gefunden, Selbstwertgefühl habe er keines. Das Gericht habe erlebt, "mit welchem Häufchen Elend wir es hier zu tun haben", sagte Schieseck. Jerry hatte die meisten Zeit im Gerichtssaal mit geschlossenen Augen verbracht, oder auf die Tischplatte vor sich gestarrt. Und oft am ganzen Körper gezittert.

Schieseck hatte gefordert, das Jugendstrafrecht anzuwenden und ihn mit einer Freiheitsstrafe von mindestens neun Jahren zu bestrafen. In der Haft wolle er sich therapieren lassen, hatte der 21-Jährige angekündigt, um später ein geordnetes Leben führen zu können. Dass er die Tat nie vergessen werden, sagte Jerry in seinem Schlusswort, dass er leise vorgetragen hatte und stockend, so dass er kaum zu verstehen war. "Es wird mir immer auf der Seele liegen", sagte er.

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SZ vom 16.03.2012/tob
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