NS-Hochburg Coburg:Mal eben die Nazi-Zeit vergessen

NS-Hochburg Coburg: Coburg ist schön, seine Bauwerke berühmt (links: das Landestheater). Dunklere Seiten der Geschichte? Soll es geben. Eine Broschüre des Stadtmarketings aber geht großzügig darüber hinweg.

Coburg ist schön, seine Bauwerke berühmt (links: das Landestheater). Dunklere Seiten der Geschichte? Soll es geben. Eine Broschüre des Stadtmarketings aber geht großzügig darüber hinweg.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Was geschah in Coburg zwischen den Jahren 1929 und 1954? Nichts Bedeutendes - zumindest wenn es nach der Chronik in einer städtischen Broschüre geht. Ein paar Verbesserungsvorschläge.

Glosse von Olaf Przybilla

Es ist nun die schöne, herbstliche Zeit, Zeit für Ausflüge. Coburg böte sich da an, eine Stadt am geografischen Rand des Freistaats, aber mit sagenhaften Attraktionen gesegnet: Veste, Schloss Ehrenburg, Hofgarten, Landestheater. Womöglich weiß man noch allerlei aus dem Schulunterricht über Coburg, aber ein paar zusätzliche Orientierungen helfen ja immer. Und da ist es nur gut, dass das Stadtmarketing eine grundlegende Broschüre bereithält, die sich auch im Netz herunterladen lässt.

"Coburg - Entdecken und Erleben" heißt sie, laut Eigenangabe wurde sie "05/2022" zusammengestellt und umfasst stolze 56 Seiten. Gleich am Anfang, wie sich das gehört, wird per Chronik über wesentliche Stadtdaten vertraut gemacht. Und da hat Coburg wahrlich allerlei zu bieten, wofür sich auch Metropolen nicht schämen bräuchten: Martin Luther war da, Friedrich Rückert ebenso, das Herzogtum schrieb Weltgeschichte.

Dass in einer Stadt von der Größe Coburgs nicht jedes Zeitstrahl-Datum von unverzichtbarer Relevanz ist, mag da geschenkt sein. Andererseits gibt es sicher auch Liebhaber, die einfach wissen wollen, seit wann Coburg sich über die erste Straßenbeleuchtung freuen durfte (1806), und wann exakt bitte das "Parkhaus Zinkenwehr" eingeweiht worden ist (1992).

Mehr als sechs Dutzend solcher Einträge gibt's in der Broschüren-Chronik, alles drin, alles dran. Ein kleiner Auszug aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mag das illustrieren: "1924: Letzter Umbau der Veste unter Herzog Carl Eduard nach Plänen von Bodo Ebhardt. 1929: Eröffnung des Rosengartens. 1954: Carl Eduard, Coburgs letzter regierender Herzog, stirbt. 1962: 100-Jahr-Feier des Deutschen Sängerbundes."

Huch? Hat man nicht leise in Erinnerung, dass dazwischen auch etwas war in Coburg, was es von seiner historischen Bedeutsamkeit annäherungsweise gar mit der Einweihung eines Parkhauses aufnehmen könnte?

Etwa 1929: Erste Stadt mit NSDAP-Stadtratsmehrheit. Oder 1931: Erste Stadt mit Hakenkreuzfahne am Rathaus. 1932: Coburg verleiht als erste deutsche Stadt Hitler die Ehrenbürgerrechte. Und 1939: Coburg darf sich "erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands" nennen.

Meldet man sich bei verschiedenen Nummern der Stadtverwaltung, so wird eines zwar nicht klar: Wer diesen originellen Zeitstrahl zusammengeklimpert hat. Anderes immerhin schon: Bei künftigen Neuauflagen soll das Loch im Zeitstrahl mit Daten gefüllt werden. Wie löblich.

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