Leider hat das britische Buchmacher-Handwerk, also das Wetten auf Phänomene auch jenseits des Sports, hierzulande keinen soliden Boden. Wenn’s um kommunale Wahlen in Würzburg geht, ist das besonders schade. Die Kür des Rathauschefs geschieht dort seit Jahrzehnten nach dem Motto: Wahlen, Menschen, Sensationen. Wer Lust gehabt hätte, auf Maximalaußenseiter ein Sümmchen zu setzen – in Würzburg wäre man reich geworden.
Diesmal? Könnte das in anderthalb Monaten schon wieder so sein. Natürlich dürfte Claudia Stamm keine Chancen haben, normalerweise. Sie hat Würzburg lange Jahre eher aus der Entfernung betrachtet, hat kaum bekannte Unterstützer, nicht mal eine Partei im Rücken. Nur: Wer in Würzburg Sensationen ausschließt, hat schlicht keine Ahnung.

SZ Bayern auf Whatsapp:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren
Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründe direkt aufs Handy bekommen möchten.
Rückblick, Würzburg im Jahr 1990. Die Ära eines SPD-OBs ist zu Ende, die CSU steht bereit, um in einer (damals noch) sehr katholischen Domstadt zu zeigen, wer Chefin am Main ist. Barbara Stamm – später Landtagspräsidentin – muss es jetzt richten. Was soll da schiefgehen?
Soll etwa der Abtrünnige Jürgen Weber, kurz zuvor noch selbst CSUler, eine Chance haben? Der Mann hat keine ernst zu nehmende Organisation hinter sich, gilt als Einzelkämpfer, wird von den alten Parteifreunden mit schonungsloser Härte attackiert. Auf so einen tippen nur Ahnungslose. Tja, Weber gewinnt.

100 Jahre im Stadtrat:"Wir sind provinzielle Weltbürger"
Wer nach den bayerischen Kommunalpolitikern schlechthin sucht, der könnte in Würzburg fündig werden: Jürgen Weber und Willi Dürrnagel blicken auf 100 gemeinsame Jahre im Stadtrat zurück. Sie eckten an, wurden politisch verstoßen - und machten einfach immer weiter.
Zwölf Jahre später, Weber hat jetzt landesweites Profil, man kennt ihn. Ein etablierter OB muss silberne Löffel geklaut haben, um aus dem Amt gewählt zu werden, so sagt man das damals. Pia Beckmann? Albern. Zu jung, zu wenig profiliert, aber irgendjemanden muss die CSU ja aufstellen. Keine Chance. Ach ja? Beckmann wird Oberbürgermeisterin, eine Sensation.
Sechs Jahre später. Die OB gilt jetzt fast schon als Mythos: Diese Frau hat einen CSU-Albtraum beendet, das Würzburger Rathaus endlich erobert, in so jungen Jahren. Eine Gewinnerin, für diverse Kabinettsposten gehandelt. 2008 tritt ein SPD-Mann ohne Stadtratserfahrung gegen sie an, der – so sind die Regeln zu der Zeit – aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nur für eine Amtszeit kandidieren darf. Georg wer? Rosenthal. Muss man den ernst nehmen? Schon. Der Mann wird OB.

Und jetzt also 2025. Claudia Stamm – Tochter jener Frau, die an ihrer Niederlage 1990 ein Leben lang zu knabbern hatte – ist inzwischen offizielle Kandidatin. Sie musste erst mal Unterschriften sammeln, um überhaupt antreten zu dürfen. Hat sie geschafft. Aber plakatiert jetzt auch jemand eine Kandidatin ohne unterstützende Organisation? Oha, offenbar schon.
Es gibt Würzburger, in der Lokalpolitik tief verwurzelt, die prognostizieren: höchstens zehn Prozent, mehr ist definitiv nicht drin für Stamm. Andere, ebenfalls örtliche Polit-Routiniers, wollen unterdessen nicht mehr kategorisch ausschließen, dass CSU (meist dominierend bei überregionalen Wahlen am Main), Grüne (stärkste Stadtratsfraktion) und SPD (langjährigste OB-Tradition) mit ihren Bewerbern in einer Stichwahl am Ende den Kürzeren ziehen könnten – gegen eine Unabhängige. Was, klar, einer Sensation gleichkäme. Aber es ist eben auch: Würzburg.
Wie auch immer: Buchmacher der Welt, schaut auf diese Stadt!