Claudia Roth: Mein Augsburg:"Der OB schart nur Männer um sich"

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Die Frauenfußball-WM macht Station in Augsburg. Doch Claudia Roth fragt sich: Wo sind die Frauen in der Stadtregierung? Im Fragebogen erzählt die Grünen-Chefin außerdem, welcher Brecht-Vers sie zu Tränen rührt.

Tobias Dorfer

Jeder Ort hat kleine Geschichten und große Geheimnisse. Und wer könnte diese Geheimnisse besser lüften als jemand, der dort wohnt - oder der dort zumindest eine ganze Weile gelebt hat? Jede Woche präsentiert ein Prominenter im sueddeutsche.de-Fragebogen "sein Bayern". Heute stellt die Grünen-Chefin Claudia Roth ihre Heimatstadt Augsburg vor.

Claudia Roth, Grünen-Chefin seit Oktober 2004, ist in der Nähe von Augsburg aufgewachsen. (Foto: ddp)

Eines kann man Claudia Roth ganz gewiss nicht vorwerfen: dass sie eine trockene Bürokraten-Politikerin ist. Als "Eichhörnchen auf Ecstasy" wurde sie von Late-Night-Lästerer Harald Schmidt einmal bezeichnet. Keine Frage, die Parteivorsitzende der Grünen zeigt Emotionen und trägt ihr Herz auf der Zunge - was im Herbst 2007 dazu führte, dass sie den ehemaligen Augsburger Bischof Walter Mixa als "durchgeknallten, spalterischen Oberfundi" bezeichnete.

Überhaupt Augsburg: Die Stadt in Bayerisch Schwaben liegt Claudia Roth am Herzen. Die Politikerin wuchs im nahe gelegenen Babenhausen auf. Und da Augsburg auch die Stadt des Lyrikers Bertolt Brecht ist, beginnt Claudia Roth den Fragebogen mit Worten ihres Lieblings-Augsburgers:

"Denn ihr, ich bitte euch, wollt nicht in Zorn verfallen,

Denn alle Kreatur braucht Hilf von allen."

Ein Refrain aus Brechts "Hauspostille", der mich ganz unbrechtisch zu Tränen rührt. Er stammt aus dem Gedicht über das Augsburger Waisenmädchen Marie Farrar.

Fragebogen

Sie leben bei Augsburg. Warum hier und nicht woanders?

Ich bin in Babenhausen aufgewachsen, ganz in der Nähe von Augsburg. Bayerisch Schwaben und seine Metropole Augsburg - das ist Heimat für mich. Und das sage ich auch ganz selbstbewusst mit Blick auf eine gewisse bayerische Regionalpartei, die glaubt, immer noch das Abo auf den Heimatbegriff zu haben. Aber natürlich verbringe ich wegen meines bundespolitischen Engagements auch viel Zeit in Berlin.

Das Schönste an Augsburg ist, ...

... dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt sich nicht auf der nun über 2000 Jahre währenden Geschichte ausruhen, sondern nach vorne blicken. Und das auch früher schon getan haben. Die Römer, frühe Christianisierung, Reformation, die Fugger, später dann die enorm große Textilindustrie, und dazwischen Leopold Mozart, Rudolf Diesel und Bertolt Brecht, um nur einige zu nennen. Und heute ist Augsburg eine Stadt, in der Menschen aus 140 Nationen leben. Von den gut 260.000 Einwohnern haben über 100.000 einen Migrationshintergrund. Und ich bin stolz, dass Mietek Pemper, der wichtige Informationen an Oskar Schindler zur Rettung hunderter Juden weitergab, Ehrenbürger der Stadt ist. Aber Augsburg ist auch die süddeutsche Heimat des Poetry Slams. Augsburg ist bunt - und nicht dröge Monokultur.

Am meisten geärgert habe ich mich in Augsburg über...

- die aktuelle Stadtregierung, die in ihren Reihen keine einzige Referentin hat. Da beschließt die CSU eine Frauenquote, aber der Augsburger Oberbürgermeister schart nur Männer um sich.

- den verpassten Aufstieg des FC Augsburg in die 1. Bundesliga im Jahr 2010. Aber 2011 haben wir's ja gepackt!

- so manche Entscheidung der Stadtregierung, wenn gute Konzepte und Projekte, die lange gewachsen sind, einfach mit einem Federstrich zunichte gemacht werden. Und zum Beispiel auch wie der Kulturbürgermeister von Pro Augsburg beim Brecht-Festival mit absoluten Top-Leuten aus der Literaturszene umgesprungen ist.

Ihr schönstes Erlebnis in Augsburg?

Die Frauen-Fußball WM 2011 mit Augsburg als einzigem bayerischen Spielort. Nach dem Sommermärchen bei der Männer-WM 2006 konnten die Augsburgerinnen und Augsburger jetzt der großen Weltöffentlichkeit zeigen, was Fußball von seiner schönsten Seite ist. Und spannend wurde es auch im Rahmenprogramm zur WM, mit kulturellen, sportlichen und musikalischen Veranstaltungen in der ganzen Stadt.

Welches ist ihr liebster Platz in Augsburg - und warum?

Gerne gehe ich an die Augsburger Kahnfahrt. Einfach nur am Wassergraben sitzen, an der alten Stadtmauer, oder ein Ruderboot mieten, das ist Entspannung pur. Zum Bummeln geht´s in die Altstadt, mit den Lechkanälen und den kleinen Gassen.

Wo sollte jeder Besucher mal ein Bier trinken, wo schmeckt das Essen besonders gut?

Augsburg und das direkte Umland haben eine Vielzahl an Brauereien, große, mittlere und auch ganz kleine Wirtshausbrauereien. Ich würde mich auch einmal auf dem Stadtmarkt umtun, da kann man sich mit den Marktleuten gleich noch über die besten Früchte, die Stadtpolitik oder auch nur über das Wetter unterhalten.

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Tobias Dorfer

Fragebogen Teil 2

Der Lieblingsort von Claudia Roth in Augsburg ist die Kahnfahrt. (Foto: picture-alliance / dpa)

Angenommen, der US-Präsident käme zu Besuch nach Augsburg: Was würden Sie ihm zeigen?

Zuerst natürlich den Goldenen Saal im Augsburger Rathaus, einem der schönsten Profanbauten der Renaissance. Die Fuggerei dürfte natürlich nicht fehlen. Und da das Augsburger Bekenntnis, die Confessio Augustana, die Entwicklung von Kultur und Religion in Europa und auch den USA mit geprägt hat, würde ich den Präsidenten zu den Augsburger Orten der Reformationsgeschichte führen.

Was sollte man als Besucher unbedingt vermeiden?

Kommt darauf an. Wer sich´s mit den Stadtoberen nicht verderben will, sollte nicht nach den politisch Verantwortlichen für die schlechten Sichtverhältnisse im Eishockeystadion fragen!

Was für ein Gebäude oder welche Einrichtung fehlt Augsburg noch?

Gestalten macht Spaß, besonders in der Politik! Ich hätte deshalb nicht nur eine gute Antwort auf Ihre Frage. Leider wurde im letzten Jahr hauptsächlich diskutiert, was man alles schließen soll in Augsburg, zum Beispiel das Historische Stadtbad oder die Staats- und Stadtbibliothek. Aus der Opposition heraus kämpfen wir deshalb erst einmal dafür, das fantastische kulturelle und historische Erbe der Stadt zu erhalten und es nicht zu verspielen. Und dann schauen wir mal, was sauber durchfinanziert alles geht. Nachhaltige Stadtentwicklung und natürlich Bildung und Betreuung, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, stehen ganz oben an. Die besten Chancen für alle Kinder und Jugendlichen in der Stadt!

Wer ist Ihr Lieblings- Augsburger und warum?

Ganz klar Eugen Bertolt Friedrich Brecht. Der für mich größte deutschsprachige Lyriker und Dramatiker im 20. Jahrhundert ist hier geboren. Und vor allem: Hier ging er zur Schule, hat seine Sprache erprobt, hat geliebt und Freunde fürs Leben gefunden. Und er hat als Theaterkritiker die ersten scharfen Verrisse verfasst. Und was mich freut: Nach langer Zeit der Distanz zu Brecht sprechen die Augsburgerinnen und Augsburger heute mit Stolz von ihrer Brecht-Stadt, einen großen Beitrag dazu hat auch Albert Ostermeier mit den Brecht-abc-Festivals geleistet.

Was zeichnet den typischen Augsburger aus?

Es soll Menschen geben, die Augsburg als "Muffelburg" bezeichnen. Doch das sind meistens diejenigen, die immer nur an der Stadt vorbei fahren. Denn kommt man mit den Menschen hier ins Gespräch, entdeckt man viele ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, mit ganz eigenen Geschichten, Herkünften und Ideen. Die typische Augsburgerin und den typischen Augsburger gibt es nicht. Die kreative Mischung macht´s!

Welches Geheimnis über Augsburg muss noch gelüftet werden?

Augsburg ist die Stadt mit den meisten Feiertagen in ganz Deutschland. Denn zusätzlich zu allen anderen kirchlichen und weltlichen Feiertagen gibt es hier das Augsburger Hohe Friedensfest am 8. August. Es wird seit 1650 gefeiert und erinnert an den Westfälischen Frieden. Heute steht das Fest für den offenen und nicht ausgrenzenden Dialog zwischen den Kulturen und Religionen.

Wenn Sie Augsburg in einem Wort beschreiben müssten - wie würden Sie das tun?

Kulturvielfalt!

Was soll man in Augsburg über Sie sagen?

Sie engagiert sich ehrlich und aufrichtig für die Stadt.

Vervollständigen Sie bitte diesen Satz:

Augsburg ist insgesamt ziemlich lebenswert und historisch spannend. Aber wer dort wohnt, braucht keinen Augsburg-Stammbaum bis zur "Confessio Augustana" zurück, weil er schnell Freunde findet in einer weltoffenen Stadt.

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