Milliarden sehen und hören zu. Die Sängerin taucht mit geschlossenen Augen und leeren Lungenflügeln in einem Menschenmeer auf. In einem US-Stadion, beim größten Sportspektakel der Welt, in der Halbzeit-Show alle Augen und Ohren und Kameras auf sie gerichtet. Das ist so ein Moment, wo man als Musiker zur Legende werden kann, oder zur Lachnummer. Was macht Heidi, die noch nie ansatzweise vor so vielen Leuten gesungen hat? „Sie hauchte die ersten Töne ins Mikro. Zart, aber keine Spur wackelig. Die Worte, die sie sang, begriff sie erst in diesem Moment in ihrer ganzen Dimension. Sie sang ihre Geschichte.“
Heidi ist nun nicht Claudia. Aber Claudia Koreck kann mitfühlen, wie es in Heidi Morales aussehen mag an dieser zentralen Stelle des Romans „Sing lauter, Heidi!“ (Volk-Verlag). Die Sängerin aus dem Chiemgau hat selbst einschüchternde Auftritte erlebt, vielleicht am vergleichbarsten jener in der ZDF-Weihnachtsshow von Helene Fischer vor ein paar Millionen Fernsehzuschauern. Deutschlands Schlagerkönigin hatte die Traunsteiner Liedermacherin persönlich eingeladen und ihr zuvor viele Komplimente gemacht. So wie im Buch eine Superstar-Diva namens Queen Drama der Newcomerin Heidi, mit der sie gleich die Superbowl-Bühne teilen wird: „Ich habe deine Stimme gehört. Du singst absolut fantastisch! Du bist unglaublich nervös, oder?“
Deswegen hat Claudia Koreck in der Figur der Heidi geschrieben. Ziemlich glaubwürdig, mit dem Popstar-Sein kennt sie sich seit ihrem Nummer-1-Hit „Fliang“ von 2007 aus. Aber natürlich liest sich das anfangs auch romantisiert: Musiker-Tagträume. Nun geht es aber nicht nur um die chilenisch-stämmige Heidi, die in Brooklyn ihren Popstar-Traum angeht, obwohl sie wegen ihrer suchtkranken Mutter bei Walmart an der Kasse jobben und ihre Schwestern großziehen muss. Es geht ebenso um Mick, der es als Spross einer stinkreichen Waffenfabrikanten-Dynastie nun auch nicht leicht hat. Kurz: Er wechselt das Lager in die Boheme und wird supererfolgreicher Musikproduzent.
Mick Montgomerys Part im Buch hat Gunnar Graewert geschrieben. Und der ist: Musikproduzent. Auch er hat was vom Business zu erzählen, er hat für Disney gearbeitet, mit Mario Adorf, Annett Louisan, Helene Fischer. Und mit Claudia Koreck, seiner Ehefrau. Die hat er vor 20 Jahren zum ersten Mal auf einer Open Stage in München angehimmelt, wie auch Mick seine Heidi beim Talentabend in New York. Deswegen darf Graewert seinen Romanhelden auch unverhohlen die Sängerin anhimmeln lassen. Etwa in jenem „Gänsehautmoment“ im Stadion, wo sie ihrer beider gemeinsamen Song „Born To Fly“ singt: „Sie zog alle in ihren Bann. Seine Augen wurden feucht. Es funktionierte ... Eine unbekannte Künstlerin mit Gitarre war der eigentliche Superbowl. Der Underdog, dem man den Sieg von Herzen gönnt.“
Das ist wohl so beim ersten Roman, da packt man alles hinein, was man hat. Dass die beiden sich überhaupt an ein Buch heranwagten, ist wieder mal ein Beweis für diese kreativ sprudelnde Künstler-Ehe. Einfach machen! Das letzte gemeinsame Werk war ein Kalender mit Zeichnungen, Videos und einem Song für jeden Monat. Und jetzt haben sie zusammen 350 Seiten verfasst und die Songs, die in der Geschichte vorkommen, gleich mit. Man kann sie über QR-Codes beim Lesen abrufen oder auf CD am Stück durchhören.
In dieser Art – zwei Autoren komponieren einen Soundtrack zu ihrem Buch – hat es das wohl noch nie gegeben. Ist aber auch aus Musikersicht eine interessante Kreativtechnik: Für andere Charaktere etwa eine Latino-Nummer („Mi Alma“) oder im überrumpelnden Ende Taylor-Swift-Country („This is on us“) zu schreiben oder auch mal eine Stadionhymne rauszuballern, habe sie ganz schön gefordert, sagt Graewert; den Paul-McCartney-School-Absolventen selbst hat das Doppelprojekt wieder zum Singen („Donnez Moi L'espoir“) gebracht. Dafür haben die Eheleute sogar ein eigenes gegründet, mit dem sie die eigene Lesung begleiten: The Loveolution Project.
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Es begann urlaubslocker in einer Bucht. In Griechenland habe mal wieder der Wald gebrannt, berichtet Koreck, und sie seien frustriert gewesen vom Klimawandel und der Weltlage. In ihrer Ohnmacht hätten sie nach einem Film gesucht, der ihnen „ein besseres Gefühl“ gebe, aber sie fanden „nur dystopische Sachen, wo man sich gleich noch schlechter fühlt“. Und sie dachten: „Das wäre doch toll, mal einen Gegenentwurf zu machen.“
Sie schrieben drauflos, aus der Filmidee wurde (erst mal) ein Buch. Von Spinnereien, dass ihnen eine Band aus der Zukunft erscheint und die Erde retten will, kamen sie ab, fanden vertrautere Figuren, die nun auch die Erde retten wollen – und am Ende driftet alles ab in etwas Science-Fiction mit KI und so. Mit Musik starten Heidi und Mick eine „Loveolution“, also eine Revolution der Liebe. Im zugehörigen Song heißt es: Stoppe den Hass, mach aus der Natur das Beste, sei ein guter Friedensstifter ...

Flowerpower und Hippie-Happyness. „Ja, klingt etwas naiv“, räumt Koreck ein, aber sie glauben durchaus an die Wirkmacht der Kunst und der Liebe in dieser Zeit: „Die Menschen haben Angst und greifen nach jedem Anker, den die Rechten ihnen hinwerfen.“ Also schaffen sie im Buch „eine Gegenkraft zu einer Gesellschaft, die von Angst, Manipulation und politischen Intrigen vergiftet ist“. Und dazu passt es, finden sie, dass sie alles gemeinsam geschrieben haben, dabei durchaus auch „Türen geknallt“, sich dann wieder aufeinander eingelassen haben: „Es gibt so viele Egomanen in der Welt. Wichtiger ist es, sich gegenseitig zu sehen und zu fragen: Was sind Deine Ideen? Deine Träume?“
Kann es einfach sein? In dem Sinn, wie Claudia Koreck sagt: „Ich wünsche mir, dass wir die Welt nicht nur ertragen, sondern wieder Lust bekommen, sie gemeinsam zu gestalten.“ Jedenfalls hinterlassen Lesen und Hören das motivierende Gefühl, selbst aktiv zu werden – und das ist die stärkste Kunst, die über den Moment hinaus wirkt.

