Die Zeit des Jahreswechsels war früher mit einer heute unvorstellbaren Magie aufgeladen. Gelegentlich ist dieser Zauber immer noch zu erahnen, und manchmal kippt er sogar ins Lustige. Der Bayreuther Historiker Adrian Roßner erforscht die Phänomene des Aberglaubens, der ja der Dünger dieser alten Vorstellungen ist. In einer Welt, die noch nicht vom Fortschritt erhellt war, wucherten die Ängste, überall sahen die Menschen Geister und Dämonen am Werk, denen sie sich schutzlos ausgeliefert fühlten. Umso heftiger klammerten sie sich an Bräuche und diffuse Regeln, die ihnen ein bisserl Halt, Sicherheit und Hoffnung spenden sollten.
Auch die Belange der Liebe waren von Unsicherheit geprägt, wie Roßner erfahren hat. Junge Mädchen glaubten damals fest daran, in der Natur Hinweise auf ihren Zukünftigen zu finden. Um mehr über ihre Zukunft zu erfahren, sollten sie in der Andreasnacht (30. November) einen Apfelbaum umarmen, hieß es. Er habe dies selber ausprobiert, doch ohne Erfolg, erzählte Roßner kürzlich bei einem Vortrag. Er habe dann seiner Oma erzählt, dass es nicht funktioniert hat. "Das ist doch klar", sagte diese, "du hast ja einen Birnbaum umarmt."
Vor allem die zwölf Nächte zwischen Heiligabend und Dreikönig, die sogenannten Raunächte, waren mit Geheimnissen und Unerklärlichem turmhoch aufgeladen. Die Übergangszeit am Jahresende ist mehr als jede andere Jahreszeit erfüllt von Ahnungen. Sie war wie geschaffen für Geister und Dämonen, für die Wilde Jagd, wie sie genannt wurde, die dem Mythos nach tausendköpfig durch die kahlen Bäume fährt, angeführt von Wotan, Frau Percht, der Drud und der Haberngoaß, um nur einige dieser Figuren zu nennen. Um sich vor ihnen zu schützen, wurde eifrig geräuchert, mit Weihrauch und allerlei getrockneten Kräutern. Wenigstens das lag in der eigenen Macht in der Raunacht, der Nacht des Räucherns.
Aber auch bei diesen Schutzhandlungen war der Mensch den Launen der überirdischen Kräfte ausgeliefert. Vor gut 150 Jahren mussten die Bauersleute auf dem Burgerhof im Erdinger Holzland hilflos zuschauen, wie in einer Raunacht plötzlich ein Feuer ausbrach, das den Stall, die Tiere und die Ernte jäh vernichtete. Nach altem Herkommen hatte man den Weihrauch auf eine Glutpfanne gestreut und dann den Rauch im Haus verteilt. Die Chronik spricht von einem Sturmwind. Es war ein Leichtes für die Naturgewalt, einen Funken von der glühenden Kohlenschaufel davonzutragen und ihn im Heustadel abzusetzen. Die bösen Geister, die der Rauch vertreiben sollte, hatten genügend Zeit, um ihr zerstörerisches Werk zu vollenden.
Dem Räuchern werden heute noch Heilkraft und Schutz vor bösen Mächten zugeschrieben. Und doch ist auch hier die Grenze zum Aberglauben fließend. Dem einstigen Pfarrer von Kiefersfelden, Johann Gierl, missfiel dies schon vor hundert Jahren so stark, dass er seine Verzweiflung über die Borniertheit seiner Mitbürger schriftlich festhielt. Auf seiner vorherigen Pfarrstelle in Niederbayern kam er sich manchmal vor wie im Mittelalter, wie seinem Tagebuch zu entnehmen ist. Vom Hexenglauben, von den Druden und von dubiosen Segenssprüchen wollte das Landvolk partout nicht lassen, klagte er.
Eine Sonderrolle an Weihnachten spielt der Lärm. Das beginnt schon im Kleinen, wie der Volksschauspieler Toni Berger in seiner vor 20 Jahren erschienenen Biographie belferte. Bei der Weihnachtsfeier des FC Bayern, so schrieb er, sollte er eine besinnliche Geschichte vorlesen. Allein, es hörte ihm niemand zu, im Saal herrschte ein Riesenlärm, was Berger veranlasste, die Gäste allesamt als Stoffeln zu bezeichnen, zumal sie danach beim Auftritt eines Schlagersängers geradezu ausflippten.
Wie groß für manche die Versuchung ist, in der sogenannten staden Zeit Lärm zu erzeugen, das erlebte vor wenigen Tagen die Feuerwehr Burghausen in einer Tiefgarage. Ausgelöst wurde der Alarm durch einen Feuerwerkskörper in der Herrentoilette, der vom Täter vermutlich auf seine Silvestertauglichkeit überprüft wurde.
Nicht nur an Silvester wird geschossen, sondern auch an Heiligabend. Christkindlanschießen nennt man diesen Brauch, was leicht zu Missverständnissen führt. Natürlich wird nicht auf das Christkindl gezielt, sondern seine Ankunft wird mit freudigem Lärm begleitet. Das Böllerschießen ist nicht ungefährlich. Die Historikerin Susanne Mittermaier zitierte kürzlich den Rosenheimer Anzeiger, der anno 1868 seine Leser vor der Ausübung des Brauchs warnte: "Gar mancher Freund des Weihnachtsschießens ist in dieser Nacht zum armen Krüppel geworden oder gar ums Leben gekommen, was hunderte von traurigen Beispielen bestätigen."
Kein Wunder, dass die Knallerei verboten wurde, aber die wenigsten hielten sich daran. Im 19. Jahrhundert wurde der Brauch dann Bestandteil der weihnachtlichen Liturgie. Schon seit fast 400 Jahren wird er von den Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes gepflegt, die vor Beginn der Christmette mit ihren Handböllern auf den Anhöhen schießen.
Dass der Krach tatsächlich die bösen Geister vertreiben sollte, lasse sich in den alten Quellen nicht belegen, sagte der Regensburger Kulturwissenschaftler Manuel Trummer vor wenigen Tagen im Bayerischen Rundfunk. Darin uralte germanische Rituale zu sehen, sei eine überholte Deutung aus dem 19. Jahrhundert, in dem man auf dem Weg zur Nationalwerdung einen gemeinsamen kulturellen Unterbau schaffen wollte.
Pflegen also die jetzt lebenden Menschen eine rationalere Sicht auf die Welt als etwa die uninformierte Landbevölkerung zur Zeit des Pfarrers Gierl? Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, nicht nur wegen abergläubischer Reste im Weihnachtsbrauchtum und der vielen Fake News, die zuhauf gläubige Abnehmer finden. Dazu die Verschwörungstheorien, die Hochkonjunktur haben, auch weil sich immer schrägere Formen des Aberglaubens zu ihnen gesellen, in denen wiederum archetypische Gefühle wie Angst, Hoffnung und Trost zum Ausdruck kommen.
Es scheint so, als bekämen in der immer komplexer werdenden modernen Informationswelt jene Auftrieb, die sich von der Wissenschaft abkehren und dem Aberglauben huldigen. Aber wo die Schatten wachsen, ist das Gute trotzdem nah. Dringend wurde früher davor gewarnt, an Weihnachten im Freien Wäsche aufzuhängen. Denn es bestehe die Gefahr, dass sich Dämonen und Geister darin verfingen. Brauchtumsforscher Roßner aber sagt: In den Trockner könne man die Wäsche ruhig geben.