Süddeutsche Zeitung

Foto-Ausstellung in Cham:"Heimat ist für jeden Menschen etwas Elementares"

Aus dem Bayerischen Wald kommen viele großartige Fotografen. Zum Beispiel Thomas Dworzak und Olaf Unverzart, deren gemeinsamen Ausstellung gerade großes Interesse hervorruft.

Von Hans Kratzer, Cham

Es ist wirklich erstaunlich, wie viele großartige Lichtbildner und Fotografen aus dem Bayerischen Wald sowie aus dem Böhmerwald hervorgegangen sind. Das Bedürfnis, Land und Leute zu dokumentieren, ist dort seit jeher stark ausgeprägt. Schon seit den Anfängen der Fotografie gilt diese Grenzregion als ein äußerst fruchtbares Mistbeet für viele große Meister dieser Kunst. Umso schöner ist es, dass diese Tradition nie abgerissen ist und auch jetzt noch kraftvoll blüht. International bekannt geworden sind zum Beispiel die aus Cham und Waldmünchen stammenden Fotografen Thomas Dworzak und Olaf Unverzart. Dworzak fungiert seit 2017 sogar als Präsident der berühmten Agentur "Magnum Photos", zu deren Gründern herausragende Könner wie Henri Cartier-Bresson und Robert Capa zählten.

Insofern ist es kein Wunder, dass die erste gemeinsame Ausstellung der beiden Fotografen aus dem Bayerischen Wald zurzeit ein großes Interesse hervorruft. "Es ist die bestbesuchte Ausstellung, die wir bisher hatten", sagt Anjalie Chaubal, die Leiterin der Galerie Cordonhaus in Cham, die sehr glücklich darüber ist, dass sie Dworzak und Unverzart zu dem Projekt überreden konnte. Das Leitthema der Ausstellung ist die Heimat, ein Thema, das mancher vielleicht als etwas abgedroschen empfindet.

Im Ausstellungstitel in Cham wurde dieses Motiv allerdings auf Englisch formuliert: Home. Dies ist der globalen Sichtweise der beiden Fotografen auf dieses Thema geschuldet, denn Dworzak und Unverzart haben die Enge ihrer ursprünglichen Heimat längst abgestreift, was dem Thema wiederum Spannung verleiht. "Heimat ist für jeden Menschen etwas Elementares, man schleppt das Thema dauernd mit, wo kommt man her, wo geht man hin?", sagt Unverzart, der neben seiner fotografischen Tätigkeit auch noch am Salzburger Mozarteum unterrichtet.

Dworzak wiederum hatte seine Chamer Heimat in den frühen 90er Jahren verlassen, um sich als freier Fotograf in Osteuropa zu verdingen. 1993 zog er nach Tiflis in Georgien. Von dort aus bereiste er den Kaukasus, insbesondere auch das unruhige Tschetschenien, und oft war er als Fotograf mitten drin in den Kriegen, von denen diese Länder damals heimgesucht wurden. Heute lebt Dworzak in Paris. Für die Serie "Home" suchte er im Jahr 2017 drei jener Orte auf, die für ihn am deutlichsten seinen Heimatbegriff prägten. Er reiste dafür nach Georgien, das ihm nach seinem Weggang aus Bayern viele Jahre zur Heimat wurde, obwohl er es im Krieg kennenlernte. Wie er selbst sagt, "in seiner dunkelsten Stunde". "Aber ich sehne mich stets nach meinen Freunden dort, nach der Stadt, den Gerüchen, der Sprache, den Klängen, dem Essen", sagt Dworzak.

Eine weitere Woche verbrachte er mit seiner Frau Sahar in deren Geburtsstadt Teheran. Auch dort regt sich bei ihm ein Gefühl von Heimat. Und schließlich kehrte er zurück nach Bayern, um mit seinem Vater nach Mähren im heutigen Tschechien zu reisen, in eben jenes Dorf, in dem sein Vater auf die Welt kam und von wo aus er als sechsjähriger Bub deportiert wurde.

Der, wie auch Dworzak, im Jahr 1972 geborene Olaf Unverzart verbrachte im vergangenen Jahr viele Monate in seinem Heimatort Waldmünchen, wo er sich auch ein Atelier eingerichtet hat. Die Serie, die dort für die aktuelle Ausstellung entstanden ist, nannte er schlicht und einfach "987". So habe die alte Telefonnummer seiner Eltern gelautet, sagt er, dreistellig und sehr leicht zu merken, wie es auf dem Land üblich war. Es sind diese kleinen, beharrlichen und deshalb im Gedächtnis bleibenden Dinge des Alltags, die ihn faszinieren. Als leidenschaftlicher Radlfahrer nimmt er sie auch in der Landschaft wahr. Auf seinen Touren markiert er sie, um dann mit der Großformatkamera zurückzukehren. "Für mich spielten Erinnerungen, Bilder und Ereignisse, die mit der heimischen Landschaft zu tun haben, immer eine Rolle", sagt er. "Der Ostwind, die Wälder. Dazu die Autos, die für Jugendliche ein Tor zur Freiheit sind, die Discos und die Kirchen, die Vereine und die Menschen, die sich immer wieder grüßen."

Unverzart fängt gerne Stimmungen ein, die beim Betrachten entschleunigen. Seine Kompositionen zeigen Menschen in ihren Häusern, in der Natur und beim Fußballspiel. Einen Kontrast dazu bilden in der Ausstellung großformatige Einzelarbeiten und Rückblicke auf Serien und Buchprojekte, die ebenfalls das intensive Interesse des Fotografen an seiner Heimat belegen.

Einen ungewöhnlichen Aspekt der Erinnerung zeigt Dworzaks Serie "Feldpost WWI". Sie ist geprägt von seinen zahlreichen Reisen in Kriegsgebiete und besteht aus 1568 Fotografien von Orten aus dem Ersten Weltkrieg, die als Postkarten gedruckt sind. Der Autor Chris Bird steuerte dazu Kurztexte bei, je einen für jeden Kriegstag von 1914-18. Bei diesem Projekt kommen Schauplätze ins Spiel, die man kaum mit dem 1. Weltkrieg in Verbindung bringt: Papua-Neuguinea, Thailand, Brasilien ... Als begleitenden Beitrag zur Ausstellung lädt die Städtische Galerie Cordonhaus Cham am Sonntag, 3. November, zu einem Gespräch über den Begriff Heimat ein (14 Uhr). Die Diskutanten sind Tobias Appl, Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, Hubert Ettl, ehemaliger Lichtung-Herausgeber, Bärbel Kleindorfer-Marx, Kulturreferentin des Landkreises Cham und Olaf Unverzart. Es moderiert Anjalie Chaubal.

Home, Fotografien von Thomas Dworzak und Olaf Unverzart, Cordonhaus Cham, Propsteistr. 46, bis 17. November, Mi-So/Feiertage 14-17 Uhr, Do 14-19 Uhr, Telefon 09971/8579-420. Am 1. November (Allerheiligen) ist geschlossen.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2019/fema
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