Süddeutsche Zeitung

CDU und CSU:Seehofer hat den Obergrenzen-Streit mit Merkel gewonnen

  • Die CSU verbucht das Verhandlungsergebnis um ein tragfähiges konservatives Fundament mit der CDU als Erfolg.
  • Laut Finanzminister Markus Söder ebnen die Gespräche den freien Zugang in "glaubhafte Sondierungsgespräche" mit FDP und Grünen.
  • Die Unionsparteien haben sich auf einen Richtwert von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr geeinigt - wie von Seehofer angedacht.

Von Wolfgang Wittl

Wer nun wissen will, wer sich im unionsinternen Flüchtlingsstreit mehr durchgesetzt hat, der braucht sich keine langatmigen Analysen anzuhören, dem genügt ein einziges Bild. Es war spät in der Nacht am Sonntag, die Gespräche mit der CDU waren soeben beendet, als sich vor dem Konrad-Adenauer-Haus zwei der engsten Gefolgsleute von CSU-Chef Horst Seehofer verabschiedeten. Wie Fußballer, die gerade einen großen Titel gewonnen hatten, klatschten sich Generalsekretär Andreas Scheuer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt ab. Beide zwar gezeichnet vom stundenlangen Kampf, aber beide feixend mit einem Lächeln im Gesicht. Die Verlängerung hatte sich gelohnt, der Sieg war ihrer. So sah das jedenfalls aus.

Die Verhandlungen mit der CDU werden als einer der wichtigeren Termine in die CSU-Geschichte eingehen, noch mehr aber in die Vita ihres Vorsitzenden Seehofer. Für die Partei galt es zu klären, ob es in Zukunft ein tragfähiges konservatives Fundament mit der CDU gibt; Seehofer musste einen erkennbaren Erfolg mit nach Hause bringen, um seine wacklige Position zu festigen. Seit dem historischen Absturz auf 38,8 Prozent bei der Bundestagswahl rumort es in der Partei wie zuletzt vor zehn Jahren.

Zur Erinnerung: Damals musste Edmund Stoiber beide Posten als CSU-Chef und Ministerpräsident räumen. Und es gibt durchaus Menschen in der CSU, die sich so ein Szenario auch diesmal vorstellen können - allen voran die Freunde des ehrgeizigen Finanzministers Markus Söder; aber auch Mitglieder an der Basis, die sich ein neues Gesicht wünschen.

Dass Seehofer mit seinem Verhandlungsresultat indes alle Personaldebatten beendet hätte, ließ sich am Montag nicht feststellen. Einigkeit herrschte in der CSU allerdings darin, dass der Chef sich durch den Erfolg eine "Atempause" verschafft habe. Selbst Söder konzedierte, in dem Kompromiss stecke "viel Gutes drin", er sprach von einem "wichtigen Schritt nach vorne". Jedoch meinte er damit wohl weniger Seehofers persönlichen Weg, sondern eher den freien Zugang in "glaubhafte Sondierungsgespräche" mit FDP und Grünen.

Seinen Ruf als geschickter Verhandlungskünstler hat Seehofer gefestigt. Er wisse schon, wie man in Berlin zum Erfolg komme. "Das lasst mal meine Sorge sein", hatte er im Wahlkampf betont, wenn es darum ging, Merkel in der Flüchtlingspolitik auf CSU-Linie zu bringen. So gesehen hat er Wort gehalten. Nur vereinzelt meldeten sich am Montag Kritiker, welche die Vereinbarung mit der CDU für "zu weich" hielten. Im Grunde hat Seehofer durchgesetzt, was er vor zwei Monaten - ausgerechnet bei Söders Bezirksparteitag in Nürnberg - angekündigt hatte.

Damals hatte er von einer Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen im Jahr gesprochen, die in humanitären Ausnahmefällen wie einst im jugoslawischen Bürgerkrieg nach oben korrigiert werden könne. Aber die Entscheidung müsse beim Bundestag liegen, nicht bei der Bundesregierung. Genau darauf haben sich die Unionsparteien nun verständigt. Ein Alleingang Merkels wie 2015 ist damit ausgeschlossen, auch das war der CSU wichtig.

Völlig unstrittig ist in der CSU, dass Seehofer die Gespräche zur Bildung einer Bundesregierung führen soll. "Das Ergebnis ist ein Erfolg für die CSU, der so auch in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt werden muss", sagte der bayerische JU-Chef Hans Reichhart, einer der größten Befürworter einer Obergrenze. Aber wie soll es weitergehen? Für Seehofer heiße das, "dass er gut verhandelt hat und wir mit demselben Elan in die Analyse des Wahlergebnisses gehen müssen", sagte Reichhart. Am Ende der Analyse soll Klarheit herrschen, wer die CSU in die Zukunft führt.

Seehofer überlegt, den Parteitag zu verschieben - wie er sagt, aus Kostengründen

Die Zerrissenheit der Partei ließ sich am Montag erneut an den Wortmeldungen aus beiden Lagern ablesen. Söders Fürsprecher wie die fränkischen Landtagsabgeordneten Alexander König und Petra Guttenberger, die als Erste einen personellen Neubeginn angemahnt hatten, betonten, die Gespräche in Berlin hätten nichts mit der Aufstellung für die Landtagswahl 2018 zu tun. Die CSU müsse Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wolle sie die Alleinregierung verteidigen, sagten auch andere CSU-Leute.

Ilse Aigner, die Chefin des größten CSU-Bezirks Oberbayern, sagte hingegen: "Wieder einmal zeigt sich, wie entscheidend die Durchsetzungskraft und Erfahrung - auch im Berliner Politikbetrieb - von Horst Seehofer sind." Auch in einer Telefonschalte am Montagvormittag mit dem engsten Führungszirkel soll der Beifall für Seehofer groß gewesen sein. Nicht dabei waren allerdings kritische Bezirkschefs, die für einen personellen Neuanfang werben.

Seehofer hat Basisdialoge in allen Bezirken angekündigt, er will die Stimmung der Mitglieder aufnehmen. Die Termine werden aber noch warten müssen. "Jetzt geht es um die Bildung einer Regierung", sagte er am Montag. Die Dialoge seien ohnehin nicht dazu da, um für seine Wiederwahl zu werben. Offen ist außerdem, ob der Parteitag wie geplant Mitte November stattfindet. Auch hier gehe es nicht um personaltaktische Fragen, betonte Seehofer, sondern um Kostenersparnis. Sollte das Ende der Koalitionsgespräche bis Dezember absehbar sein, sei es sinnvoll, den Wahlparteitag und die Abstimmung der Delegierten zum Koalitionsvertrag zusammenzulegen.

Die nicht enden wollenden Personaldebatten nannte Seehofer einen schädlichen Vorgang, der die ganze Partei schwäche. "Wir geben ein miserables Bild in der Öffentlichkeit ab." Für ihn habe die Sacharbeit Vorrang, Kritikern werde er am Parteitag antworten. Nur so viel schon jetzt: "Dahinter stehen handfeste Eigeninteressen. Wir denken ans Land, andere denken an sich - ganz einfach."

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SZ vom 10.10.2017/libo
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