Ausstellung in Kempten:Nie endende Hoffnung

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Den Schmerz von der Seele geschnitten: Ein Blatt aus Carl Rabus' "Passionszyklus" (Linol), der zu den Höhepunkten der Ausstellung in Kempten gehört. (Foto: Nikolaus Steglich/Buchheim Museum der Phantasie)

Kempten würdigt einen Sohn der Stadt, den heute zu Unrecht fast vergessenen Maler Carl Rabus (1898-1983), mit einer Ausstellung.

Von Sabine Reithmaier, Kempten

Manche der Bilder von Carl Rabus berühren tief. Sie berichten von Erschöpfung, Erniedrigung und Verzweiflung, aber auch von nie endender Hoffnung und Überlebenswillen. Der bärtige Mann beispielsweise, der zeichnend im südfranzösischen Internierungslager St. Cyprien sitzt. Oder die Menschen am Strand, die fast wie Badegäste wirken. Wären sie bloß nicht so mager und verhärmt und von Stacheldraht umgeben.

Der Künstler Carl Rabus saß in St. Cyprien im Sommer 1940 für einige Monate fest. Deutschland hat er bereits im Jahr 1934 verlassen. Sein Leben als Mitglied der kommunistischen "Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands" ist dort nicht mehr sicher. Er emigriert nach Wien, lernt seine spätere Frau kennen, die jüdische Fotografin Erna Adler. Mit ihr zieht er weiter nach Brüssel. Dort nimmt man ihn 1940 fest, da er nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Belgien als "potenziell feindlicher Ausländer" gilt und übergibt ihn den französischen Behörden.

Immerhin darf er im Lager zeichnen, auch wenn Stifte und Papier Mangelware sind. Manche Skizzen kolorierte er sogar mit Rotwein. Als das Lager Ende Oktober 1940 geschlossen wird, flieht Rabus wieder nach Brüssel. Doch wegen Erna Adler bleibt er im Visier der Gestapo. 1942 landet er wegen Rassenschande in einem Wiener Gefängnis. Als er durch die Intervention eines Freundes nach mehreren Monaten freikommt, verschwindet er mit Erna Adler von der Bildfläche, taucht erst wieder auf, als die Alliierten im September 1944 Brüssel befreien. Die beiden heiraten und Rabus beginnt, das in der Nazi-Zeit Erfahrene und Erlebte in seinem "Passionszyklus" zu verdichten.

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Die 15 großformatigen Linolschnitte, mit kurzen handschriftlichen, poetischen Texten versehen, gehören zu den Höhepunkten der Ausstellung in Kempten. Anlass für die umfangreiche Schau im Hofgartensaal der Residenz ist der 125. Geburtstag des Künstlers. Denn Rabus ist 1898 in Kempten geboren worden. Auch wenn er nur kurz in der Stadt gelebt hat - seine Eltern ziehen mit ihm bereits 1900 nach München -, stieß der Vorschlag des leidenschaftlichen Rabus-Sammlers Roland Krüppel, den expressiven Realisten mit einer Ausstellung zu würdigen, auf offene Ohren.

Vor 125 Jahren in Kempten geboren: Ein Foto von Carl Rabus aus den Dreißigerjahren, der später vor den Nazis fliehen musste, erst 1950 nach Deutschland zurückkehrte und 1983 in Murnau starb. (Foto: Repro: Nikolaus Steglich)

Rabus studiert bei Angelo Jank an der Akademie der Bildenden Künste in München und feiert bald erste Erfolge. Das belegen schon die Namen der Galerien, in denen er 1920 ausstellt: Hans Goltz und Heinrich Thannhäuser. Schnell macht er sich auch einen Namen als Buchillustrator. Zu Recht, wie in Kempten die grandiosen Radierungen dokumentieren, die er zu Honoré de Balzacs Novelle "El Verdugo" (Der Henker) fertigte - jener schrecklichen Erzählung, in der ein Sohn gezwungen wird, seine Eltern und Geschwister hinzurichten. Die Exekution interessiert Rabus nicht; er konzentriert sich mit feinem Strich auf die Momente davor, zeigt den verzweifelten Sohn, die bittenden Hände der Familie, die den Sohn anfleht, der Ehre wegen nicht zu zögern.

1923 zieht Rabus nach Berlin, zeichnet für diverse Zeitschriften, unter anderem die Jugend, und satirische Magazine wie den Eulenspiegel. Er stellt in Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm" aus, arbeitet als hoch gerühmter Bühnenbildner in der Schaubühne. 1927 kehrt er nach München zurück, reist viel. Malt in Südfrankreich und Italien flanierende Menschen, Palmen und das Spiel des Lichts in Olivenhainen. In den schwungvollen Landschaftsbildern dieser Zeit entdeckt man Cézanne und van Gogh, die den jungen Maler in seiner starken Expressivität und Emotionalität beeinflussen. Eindrucksvoll auch die Clochards am Pariser Seine-Ufer, die er mit wenigen reduzierten Strichen zeichnet.

Dieses Selbstporträt des Künstlers, ein Holzschnitt aus den Dreißgerjahren, ist Teil der Rabus-Sammlung von Roland Krüppel, der die Ausstellung in Kempten angestoßen hat. (Foto: Nikolaus Steglich/Buchheim Museum der Phantasie)

Vermutlich hätte für den jungen Künstler das Leben so weitergehen können. Der Bruch kommt mit den Nazis, denen Rabus' Malstil genauso wenig gefällt wie seine politische Gesinnung. Die Zeit der heiteren Landschaften endet abrupt, Rabus' Zeichnungen werden zu Dokumenten des Grauens. Apokalyptisch hält er in der "Passion" eine dämonische Vernichtungsmaschine fest, die einen am Boden liegenden, mit Stacheldraht gefesselten Menschen zermalmt. Auf einem anderen Blatt kriecht eine Schar kreuztragender Menschen an einem dominant großen Soldaten vorbei. Ein drittes zeigt zwei Hände, die durch Stacheldraht greifen. Dazu den Text: "Das ist ein Traum - / die Erde brennt / in Flammen / Aber deine Hände / greifen durch den Stacheldraht / der Milchstraße." Er arbeite sich den Schmerz von der Seele, hatte Erna Rabus später einmal zu den Werken ihres Mannes gesagt.

Nach Deutschland kehren die beiden 1950 zurück, Rabus' Bilder sind in vielen Ausstellungen vertreten. Das Paar lebt erst in Essen, dann in München und schließlich von 1974 an in Murnau, wo der Künstler 1983 auch stirbt. Nach dem 1945 abgeschlossenen Passions-Zyklus hat er sich der Abstraktion zugewandt, vermutlich nicht nur des Zeitgeistes wegen. Doch zumindest die Bilder, die in Kempten gezeigt werden, vermögen von dieser Wendung nicht zu überzeugen.

Da hält man sich besser an die farbenfrohen Urlaubsaquarelle, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren an der Amalfiküste entstehen. Auch sie sind stark abstrahiert, aber in ihnen hat Rabus Rhythmus, Schwung und Intensität seiner frühen Jahre bewahrt.

Carl Rabus (1898-1983): Ein Künstler zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Bis 7. Mai, Sonderausstellung im Hofgartensaal der Residenz Kempten (Eingang über die Hofgartenstraße).

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