Burnout bei Bauern:Alles Mist!

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Irgendwo im Nirgendwo: Die über Generationen vererbte Scholle kann für Bauern auch zur Last werden. (Foto: Johannes Simon)
  • Jeder sechste Bauer, der sich krankschreiben lässt, leidet unter Burnout, Depression oder einer anderen psychischen Krankheit.
  • Der Grund: hoher Leistungsdruck und extremes Arbeitsethos.
  • Doch das Reden darüber fällt ihnen schwer. So bleiben sie alleine mit sich und ihrer Depression - bis zum Zusammenbruch.

Von Andreas Glas

Es sind kräftige Hände, echte Pranken, mit Dreck unter den Fingernägeln. Auf seine Hände hat er sich immer verlassen können. Seine Hände haben Kühe gebändigt, haben Traktormotoren zerlegt und zusammengebaut. Aber als es um Leben und Tod ging, da haben seine Hände ihn im Stich gelassen. Er hat gegraben und ins Leere gegriffen, hat weiter gegraben, und als er den Schorsch zu fassen bekam, da war der Schorsch schon tot.

Toni Röhrl (Name geändert) sitzt im Stüberl, der Herrgott hängt an der Wand - und im Winkel der Eckbank schaut in Schwarz und Weiß der Schorsch aus einem Fotorahmen. Toni Röhrl lacht wenig an diesem Novembertag, aber er hat schon weniger gelacht in seinem Leben. Damals, als er nächtelang an die Decke gestarrt und sich gefragt hat, wie er das alles unter einen Hut kriegen soll: die Arbeit in der Kfz-Werkstatt, die Arbeit auf dem Hof, den Papierkram, die Schulden, die Ehe, die Kinder.

"Ich habe gemerkt, dass ich an eine Grenze komme, wo es nicht mehr weiter geht", sagt Röhrl. Aber als der Wecker geklingelt hat, ist er doch wieder aus dem Bett gekrochen, hat doch wieder funktioniert. Bis der Schorsch gestorben ist.

"Von selbst wäre ich nie zum Doktor gegangen"

Ein Jahr ist es jetzt her, da hat ihm der Schorsch geholfen, einen Entwässerungsgraben für seine Biogasanlage zu schaufeln. Eineinhalb Meter breit, zweieinhalb Meter tief. Der Schorsch stand unten in der Grube, als die Erde nachrutschte und ihn verschüttete. Toni Röhrl hat den Schorsch ausgegraben, dann ist er zusammengeklappt.

Aufgewacht ist er in der Psychiatrie. "Von selbst wäre ich nie zum Doktor gegangen, der Schorsch hat mir das Leben gerettet", sagt Röhrl heute. Er weiß, dass es nicht mehr lang gut gegangen wäre. Dass er irgendwann nicht mehr aus dem Bett gekrochen wäre, nicht mehr funktioniert hätte. Und er weiß, dass es auf einem Bauernhof viele Balken gibt. Dass sich überall ein Strick findet.

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Es gibt ja dieses Vorurteil: Bauern jammern pausenlos. Über das Wetter und die Preise, über die Politik und die Bürokratie. Vielleicht steckt in dem Vorurteil schon ein Grund, warum so viele Bauern krank werden. Sie dürfen nicht jammern, die Gesellschaft erlaubt es ihnen nicht. Und wer nicht jammern darf, wer den Frust runterwürgt, der wird erst recht depressiv.

Wie viele Landwirte betroffen sind

Laut Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau ist jeder sechste Bauer, der sich krankschreiben lässt, psychisch krank, leidet an einer Depression oder einem Burnout. Tendenz steigend. Man kann jetzt weiter behaupten, dass die Bauern furchtbare Mimosen sind und die Krankheitszahlen deswegen höher sind als in anderen Berufen. Man kann die Bauern aber auch fragen, was hinter ihrem Gejammer steckt.

"Das Tretradl" sei schuld, sagt Bauer Röhrl, Schnauzbart, breites Kreuz, dicke Unterarme. Die Tretradl-Theorie geht so: Ein Landwirt muss seine Produktion steigern, muss immer größere Anlagen und Maschinen kaufen, um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Ist der Vorsprung irgendwann aufgebraucht, geht die Tretradl-Fahrt in eine neue Runde, der Bauer muss noch größere Anlagen und Maschinen kaufen, noch mehr produzieren, hat immer mehr Druck, immer mehr Arbeit, er radelt und radelt und irgendwann radelt er sich krank. Toni Röhrl hätte nicht aufs Radl steigen müssen, damals, als ihm der Vater den Hof übergeben hat. Er hätte die Kühe verkaufen, hätte die Wiesen verpachten können, "dann hätte ich ein Superleben gehabt, ein ruhigeres".

Doch hätte er verkauft, er wäre mit der Schuld nicht klargekommen. Er hätte sich wie ein Verräter gefühlt, der das Lebenswerk des Vaters wegschmeißt. Er hat also weitergemacht, aber nur auf die Kühe zu setzen, das war ihm zu riskant. Er hat deshalb gleich mehrere Standbeine aufgebaut: ein Sägewerk, eine Pension, eine Biogasanlage. Nebenbei ging er halbtags in einer Kfz-Werkstatt arbeiten. Wenn die Biogasanlage genug Geld bringt, würde er in der Werkstatt aufhören, würde nur noch auf dem Hof arbeiten, hätte endlich weniger Stress, das war sein Plan. "Ich war eh schon an der Leistungsgrenze", sagt Röhrl.

Mit der Biogasanlage wollte er sich aus dem Tretradl befreien - und hat sich erst recht drin verfangen. Er nahm einen Kredit auf, kaufte Erntemaschinen und pachtete Maisfelder. "Du bist gezwungen, dass du Mais herbringst, dass du Fläche hast, da kommst du in so einen Zugzwang rein", sagt Röhrl, "das ist brutal."

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"Du bist den Verpächtern ausgeliefert"

Weil das Erneuerbare-Energien-Gesetz einen fixen Abnahmepreis für Biogas-Strom garantiert, haben immer mehr Bauern auf Biogas gesetzt und haben so die Pacht für Anbauflächen in die Höhe getrieben. "Du bist den Verpächtern ausgeliefert", sagt Röhrl - ähnlich wie die Viehbauern den Molkereien, den Schlachthöfen und den Einzelhändlern ausgeliefert seien, die den Preis für Milch und Fleisch bestimmen. Und wenn nach 20 Jahren die gesetzliche Preisgarantie für Biogas ausläuft, dann wird die Schlinge noch enger, dann ist er nicht nur den Verpächtern der Maisfelder ausgeliefert, sondern auch den Stromkonzernen, da ist sich Röhrl sicher.

Die deutsche Förderpolitik, die EU-Agrarpolitik, die Marktmacht der Großkonzerne - all das erzeuge Leistungsdruck, sagt Alfred Weisz von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. Er sagt aber auch, dass die Bauern ihren Teil zum Burnout beitragen. "Viele definieren sich über die Arbeit", sagt Weisz, "nach dem Motto: Wer nichts tut, ist nichts wert." Das lerne der Sohn vom Vater und der Vater habe das von den eigenen Eltern geimpft bekommen.

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Der Landwirt sei ein sehr eigener Menschenschlag, sagt Weisz. Er meint das nicht böse, er weiß eben wie Bauern ticken. Man muss sich ja nur mal die Fotoalben der Bauernfamilien anschauen. Die Opa-Gesichter, die so zerfurcht sind wie die Ackerflächen, die buckligen Omas. "Landwirtschafts-Syndrom" nennt Weisz dieses extreme Arbeitsethos.

Wenn das Arbeits-Ethos zum Problem wird

Dieses Ethos, sagt Toni Röhrl, "das hat eigentlich jeder Landwirt. Aber das wird dir erst bewusst, wenn das schwarze Loch kommt". Doch selbst wenn er das schwarze Loch früher erkannt hätte, er hätte sich ja doch niemandem anvertraut. Weil er nie gelernt hat, dass ein Bauer jammern darf. "Jeder sagt: Reiß' dich zam! Aber dass du dich am liebsten in ein Eck verkriechen und den ganzen Tag plärren würdest, das begreift keiner", sagt Röhrl. Erst als der Schorsch gestorben sei, als er unfreiwillig in der Psychiatrie landete, da habe er begonnen, sich gegenüber seinem Vater, seiner Frau, seinen Kindern zu öffnen - und stieß auf Verständnis. Er nimmt jetzt Medikamente, kommt langsam wieder auf die Beine. Und er überlegt, wie er aus dem Tretradl rauskommen könnte.

"Aber das ist nicht so leicht", sagt Röhrl. Würde er die Arbeit in der Kfz-Werkstatt aufgeben, müsste er sich privat krankenversichern - ein Draufzahlgeschäft, das er sich nicht leisten könne. Würde er die Biogasanlage aufgeben, brächen die Haupteinnahmen weg - dann könnte er die Kredite nicht mehr bedienen. Wenn er die Kredite nicht mehr zahlen könne, habe seine Bank gesagt, "dann nehmen wir deinen Grund, den versteigern wir. Das wäre das Schlimmste", sagt Röhrl.

Das Problem sei, dass vielen Bauern das unternehmerische Denken fehle, sagt Alfred Weisz. Es müsse raus aus den Köpfen, dass derjenige das meiste Geld verdiene, der den größten Stall hat. Darum sei es wichtig, dass alle Behörden und Betriebe, die Bauern beraten, stärker auf die Risiken des Wachstums hinweisen. Den Landwirten rät er, auch mal Arbeit abzugeben, das sei kein Zeichen von Schwäche. Toni Röhrl hat das inzwischen verstanden, er hat sich Helfer auf den Hof geholt. Das rechne sich sogar, weil drei gesunde Leute mehr leisten können als einer, der fix und fertig ist, weil er für Drei arbeitet.

"Im Grunde arbeite ich nur dafür, dass mein Sohn einen gesunden Hof übernehmen kann", sagt Röhrl. Ob der Sohn das will, sei dessen Entscheidung, "aber er hat schon Interesse". Denn Bauer zu sein, sagt Röhrl, sei ja schon ein Superjob. Die Unabhängigkeit, die frische Luft, die körperliche Arbeit. Er höre das öfter von den Stadtleuten, die in seine Pension kommen. Von denen, die auf seinem Bauernhof Urlaub machen, um keinen Burnout zu kriegen.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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