Fotografien zur Theresienwiese:Momente der Freiheit

Fotografien zur Theresienwiese: Wiesn-Wadl-Workout

Wiesn-Wadl-Workout

(Foto: Ursula Zeidler)

Die Fotografin Ursula Zeidler zeigt in einer Ausstellung in Burghausen, was sie in den vergangenen zwei Jahren auf der Münchner Theresienwiese erlebt hat.

Von Hans Kratzer, Burghausen

Das sieht man wahrlich nicht alle Tage: Mitten auf der Münchner Theresienwiese vollführt eine vielköpfige Frauenschar gymnastische Übungen, ein Workout, die Vorturnerin trägt eine Sporthose, die wie eine kurze Lederhose aussieht, und dazu Loferl. Auf der Fotografie, welche diese Szene festhält, wirkt die junge Frau, als vollführe sie gerade den Tanz der lustigen Holzhackerbuam in einer Aerobic-Variante. Die Fotografin Ursula Zeidler hat diese Szenerie mit einer Leichtigkeit festgehalten, die typisch für sie ist. Sie nähert sich einem Geschehen stets leise und unaufdringlich, um dann im exakt treffenden Moment auf den Auslöser zu drücken. Wie hier auf diesem Foto, dem sie den Titel "Wiesn-Wadl-Workout" verpasst hat, was die Aussage des Bildes mit einer Prise Ironie kongenial untermalt. Nicht die großen Sensationen interessieren sie, sondern die Szenen am Rande, die oft mehr über die Menschen verraten als alles Laute und Marktschreierische.

Fotografien zur Theresienwiese: Fotografin Ursula Zeidler

Fotografin Ursula Zeidler

(Foto: Ursula Zeidler)

"Beim Fotografieren will ich mich zurücknehmen", sagt Zeidler. Das entspricht dem Wesen der Künstlerin, deren Anwesenheit oft gar nicht bemerkt wird. Wie neulich beim Brotfest in Tacherting, wo sie in aller Stille und Unauffälligkeit Szenen einfing, die am Ende mehr über das Ereignis verraten als die üppigste Dokumentation.

Das Foto mit den turnenden Frauen ist Teil einer Fotoserie über die Münchner Theresienwiese, die Ursula Zeidler zurzeit im Fotomuseum in Burghausen zeigt. Zwei Jahre lang hat sie beobachtet, was an dem berühmten Ort vor sich geht, wenn dort gerade keine Wiesn, kein Tollwood und kein Riesenflohmarkt tobt. Als sie im April 2019 das auf ein Jahr ausgelegte Projekt startete, war Corona noch kein Thema. Dann brach im Februar 2020 die Pandemie aus, und Zeidler verlängerte ihre Beobachtungen um ein weiteres Jahr, um auch diese Ausnahmesituation zu dokumentieren. "Ich wollte sehen, was die Menschen auf dem 42 Hektar großen Gelände in Zeiten der Ruhe alles anstellen."

Fotografien zur Theresienwiese: Theresienwiese, April 2020

Theresienwiese, April 2020

(Foto: Ursula Zeidler)

Zunächst fotografierte sie die Theresienwiese vom Turm der Paulskirche aus. Man erkennt auf dem Panoramabild deutlich das Oval der einstigen Pferderennbahn, auf der 1810 das erste Oktoberfest stattfand. Die Theresienwiese dann zu beobachten, wenn sie quasi einer Steppe gleicht, auf diese Idee kamen bisher nur wenige.

Fotografien zur Theresienwiese: Gymnastik am Sockel der Bavaria, Januar 2021

Gymnastik am Sockel der Bavaria, Januar 2021

(Foto: Ursula Zeidler)

Zeidler fotografierte Spaziergänger und Radler, Skater und Surfer, Menschen, die hier sporteln, musizieren, lesen und sich beim Picknick entspannen. In der Pandemie kamen dann die Demonstrationen dazu, Zeidlers Bilder belegen, wie die Theresienwiese wieder politisch wurde, wie so oft, etwa 1918, als hier die Revolution begann.

Sie fing mit dem ihr eigenen Blick Momente der Freiheit, der Lebenslust und der Buntheit ein, eine Melange, die sich ohne Oktoberfest von selber ergeben hat. Das Gezeigte ist nicht immer spektakulär, aber oft hintergründig und witzig und in der Summe ein einzigartiges Dokument.

Fotografien zur Theresienwiese: Zwei Damen vor einem Kaufhaus in Haidhausen, 1980

Zwei Damen vor einem Kaufhaus in Haidhausen, 1980

(Foto: Ursula Zeidler)

Die 1946 in Ratzeburg in Schleswig-Holstein geborene Ursula Zeidler lernte ihr Handwerk in den 60er-Jahren an der Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie in München. Danach folgte ihr erster Aufenthalt in Irland, wo sie 1968 in Dublin ihre erste Ausstellung erlebte. Viele Jahre lang arbeitete sie danach als Fotojournalistin, die sowohl im Ausland tätig war, als auch ihr hiesiges Lebensumfeld interessiert verfolgte. 1983 war im Gasteig in München ihre Ausstellung über den Stadtteil Haidhausen zu sehen, wo sie viele Jahrzehnte lang lebte.

2004 zog sie mit ihrem Mann, dem Künstler und Autor Fritz Dumanski, auf ein Anwesen bei Taubenbach im Rottal, wo sie eine echte Heimat gefunden hat. "Hier fühle ich mich, als hätte ich immer Urlaub", sagt sie.

Fotografien zur Theresienwiese: Irisches Paar 1968

Irisches Paar 1968

(Foto: Ursula Zeidler)

Neben dem Journalismus begann sie sich auf Porträts zu konzentrieren. Sie fotografierte zum Beispiel Paare jeglicher Couleur, meist in ihrem Lebens- und Wohnumfeld. Sie stellte nämlich fest: "Die Dinge, sie sich quasi als Niederschlag einer längeren Beziehung ansammeln, verraten meist ebenso viel über die Personen wie ihre Mienen und ihre Gesten."

Fotografien zur Theresienwiese: Heile Bubenwelt: Leo und Finn

Heile Bubenwelt: Leo und Finn

(Foto: Ursula Zeidler)

Die "Theresienwiese" knüpft an ihre frühere Serie "Augenblicke" an. Schon damals bewies sie ihren Sinn für die hintergründige Komik einer Situation, für die Kuriositäten des Alltags wie auch für die zärtlichen Seiten des Lebens. Etwa auf jenem Bild, auf dem ein Bub einer Braut im weißen Kleid ganz aufgeregt einen Haufen Pferdeäpfel zeigt, der ihn sichtbar mehr berührt als die Hochzeit.

Fotografien zur Theresienwiese: Wiesnbeginn ohne Wiesn, September 2020

Wiesnbeginn ohne Wiesn, September 2020

(Foto: Ursula Zeidler)

Solche Motive kann man nicht vorausahnen. Ursula Zeidler besitzt diesen Sinn, und sie geht souverän damit um. Nie wird jemand in ihren Fotografien lächerlich gemacht oder bloßgestellt. Im Gegenteil: Sie zeigt die Menschen in ihren Wünschen und Freuden, und wenn es sein muss, auch in ihrer Unerschütterlichkeit, wie etwa zwei ältere Damen in Haidhausen, ein Paar in Irland oder den Einheimischen in Tracht, der mangels Wiesnzelt am Fuße der Bavaria ganz alleine seine Wiesn feiert.

Ursula Zeidlers Fotos zeigen das, was jeder kennt, mit einer ganz anderen Nuance, aber gerade das bereitet beim Hinschauen eine große Freude.

Ursula Zeidler, Münchner Freiheiten, Zwei Jahre Theresienwiese, bis 7. November, Haus der Fotografie, Dr. Robert-Gerlich-Museum Burghausen, Dienstag-Sonntag, Feiertag 10-18 Uhr. Am 22. Oktober (19 Uhr) bietet Ursula Zeidler eine Führung an (Tel. 08677/4734).

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